Sicht trauen
Liebe Miriam und
lieber Hendrik,
liebe Verwandte,
Bekannte und Freunde des Brautpaares!
Ein altes Wort rät:
Wer aufs Meer fährt, bete einmal; wer in den Krieg
zieht, bete zweimal; wer heiratet, bete dreimal.
Das bedeutet doch:
Auf das Meer hinausfahren ist eine gewagte Sache. Noch
gewagter ist es, in den Krieg zu ziehen. Aber am
gewagtesten ist es zu heiraten.
Ob das stimmt, weiß ich
nicht. Aber es ist wohl etwas Wahres dran. Denn hinter
solchen Lebensweisheiten verbergen sich ja uralte
Erfahrungen, Menschheitserfahrungen.
Die Ehe ist zweifellos
ein Wagnis. Wir alle wissen: Längst nicht immer geht es
gut. Fast jede zweite Ehe in Deutschland wird
geschieden. Man kann es natürlich auch anders sehen,
positiv: Mehr als jede zweite Ehe hält. Wie auch immer,
es ist und bleibt wahr: Die Ehe ist kein Spaziergang.
Sie ist ein Wagnis.
Ihr beide, Miriam und
Hendrik, wagt etwas Großes! Ihr wagt das Abenteuer einer
christlichen Ehe. In aller Öffentlichkeit und vor Gott
sagt Ihr: Wir wollen einander lieben und uns treu sein,
solange wir leben. Wir wollen zueinander halten, uns
achten und ehren ein Leben lang.
„Seid Ihr verrückt?“
– Auf diese Frage hat ein Brautpaar geantwortet:
„Nein, wir trauen uns!“
Die heutige
Gottesdienstfeier hat den Namen „Trauung“.
Ja, liebe Miriam und
lieber Hendrik, Ihr beide traut euch! Im doppelten Sinn
des Wortes traut ihr Euch: Ihr traut es Euch zu. Ihr
seid mutig. Ihr wagt etwas Großes. – Ihr traut Euch aber
auch gegenseitig. Im Vertrauen zueinander sprecht Ihr
Euch heute das „Ja“ zu – ohne Wenn und Aber, ohne
Bedingungen und Einschränkungen. Ihr lasst Euch
aufeinander ein, nicht erst mit dem heutigen Datum.
Heute wollt Ihr Eure Bindung festigen, sie gleichsam
ratifizieren – vor Gott und allen Anwesenden.
Freilich, damit das
Wagnis der Ehe gelingt, gehört Einiges dazu: Es geht z.
B. nicht, ohne sich um das Gelingen auch zu mühen.
Liebe Miriam und
lieber Hendrik!
Ihr habt Euch viel Mühe
gemacht mit der Vorbereitung dieses Tages und dieses
Gottesdienstes. Das Ergebnis haben wir mit dem
Gottesdienstheft in Händen. Nun, damit Eure Ehe gelingt,
braucht es ebenfalls Mühe, immer wieder aufs Neue, in
all den kommenden Jahren, die Euch beiden geschenkt
sind.
Das dauerhafte Glück der
Ehe fällt nicht einfach in den Schoß wie eine reife
Frucht. Es will gehütet, umsorgt und gepflegt werden –
wie eine zarte Blume oder ein Garten.
Das dauerhafte Glück der
Ehe ist wie ein mühsamer, aber lohnender Aufstieg auf
einen hohen Berg.
Ganz gewiss ist die Liebe
des anderen, die Liebe dessen, der mich liebt, ein
großes Geschenk. Aber das gemeinsame Leben, die Liebe
zueinander brauchen die sorgsame Pflege, das tägliche
Bemühen miteinander.
Lernt die Kunst der
kleinen Schritte! Sich immer wieder etwas einfallen
lassen, was dem anderen guttut und ihn froh macht. Seid
nicht knauserig mit Zeichen und Gesten der Zärtlichkeit
und Liebe! Vergesst das Grüßen und Bitten und Danken
nicht!
Vielleicht scheitern
manche Ehen daran, dass die zwei es aufgegeben haben,
sich umeinander zu bemühen und für den anderen attraktiv
zu bleiben, so wie man es in der Zeit des Verliebens und
Kennenlernens getan hat.
Ein anderes Bild: Die Ehe
als Brücke. Sie muss täglich neu gebaut werden, und zwar
von beiden Seiten. Sucht immer wieder, was Euch
verbindet, was Euch vereint! Trennung fängt nicht vor
dem Scheidungsrichter an, sondern in ganz kleinen
Dingen, die man nicht hegt und pflegt, die man verkommen
lässt, die man nicht ausspricht und nicht miteinander
aufarbeitet.
Und das ist das
zweite, was eine Ehe gelingen lässt, weil es die
Liebe und die Aufmerksamkeit füreinander lebendig hält:
das Gespräch. Ich möchte Euch ermuntern: Redet
miteinander, redet viel miteinander. Nehmt Euch dafür
Zeit, erst recht und gerade dann, wenn Euch der Beruf
arg in Beschlag nimmt.
Ich bin über eine Notiz
erschrocken, auf die ich vor einiger Zeit gestoßen bin.
Da beziffert ein Psychologieprofessor und Ehetherapeut
die durchschnittliche Sprechzeit von Paaren mit nur 7
Minuten pro Tag. Und er fügt hinzu: „Zu wenig, um
alle Probleme und Fragen zur Zufriedenheit beider lösen
zu können.“
Wenn ein Paar nicht mehr
miteinander redet, sagt er, dann ist das der Anfang vom
Ende. Dann stirbt die Zuneigung.
Und so wünsche ich Euch:
Hört nicht auf miteinander zu sprechen. Und wenn es doch
einmal geschieht: Funkstille, Schmollwinkel, bockig,
trotzig, dann wartet nicht zu lange, lasst es nicht
einfach laufen, nehmt das Gespräch wieder miteinander
auf.
Der Apostel Paulus
schreibt an die Christen in Ephesus (4, 26): „Die
Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen!“ Das
möchte ich Euch gern ins Stammbuch schreiben: „Die
Sonne soll über Eurem Zorn nicht untergehen!“
Und da bin ich beim
dritten Punkt: Steht zueinander auch im Versagen!
Verzeiht einander immer wieder. Tragt nicht ewig nach!
Vielmehr ertragt einander in Liebe! Geduld ist die
Alltagsform der Liebe, Verzeihen ist der Ernstfall und
die Höchstform. Liebende leben von der Vergebung. Ja es
ist sogar so: Die Liebe wächst durch die Vergebung.
Hierher passt auch ganz
gut der Trauspruch, den Ihr Euch ausgesucht habt. Er
stammt von dem französischen Priester Michael Quoist:
„Wer den anderen liebt, lässt ihn gelten, so wie er ist,
wie er gewesen ist und wie er sein wird.“ Ich
finde: Ein ganz großartiger Trauspruch, aber auch
überaus anspruchsvoll! „Wer den anderen liebt, lässt ihn
gelten, so wie er ist, wie er gewesen ist und wie er
sein wird.“ Gar nicht so einfach! Aber gerade darum ist
Eure Liebe, Euer Vertrauen, Eure Treue so wichtig. Es
ist wichtig, dass Ihr einander annehmt, einander gelten
lasst, so wie jeder ist und wie er sein wird. Der
wahrhaft Liebende wächst mit dem Geliebten.
Wer aufs Meer fährt,
bete einmal; wer in den Krieg zieht, bete zweimal; wer
heiratet, bete dreimal.
Liebe Miriam und
lieber Hendrik!
Ihr feiert Eure Hochzeit
mit einem Gottesdienst. Ganz bewusst erbittet Ihr Gottes
Segen für Eure Ehe. Und wir alle beten mit Euch und für
Euch um ein gutes Gelingen. Gott selbst möge Euch zur
Seite stehen. Er möge Euren Weg begleiten und Eure Ehe
segnen. – Dazu gehört freilich auch, dass Ihr die
Verbindung zu Gott genauso pflegt wie Eure Liebe
zueinander. Räumt Gott einen Platz ein in Eurem
gemeinsamen Leben. Lasst ihn gleichsam den Dritten sein
in Eurem Bund!
Vielleicht gelingt manche
Ehe auch deswegen nicht, weil Menschen Gott vergessen,
weil sie ihn nicht teilhaben lassen an ihrem Leben. Wie
füreinander, so nehmt Euch immer wieder auch Zeit für
und mit Gott.
Noch etwas: Als
Schlusslied dieses Hochzeitsgottesdienstes habt ihr ein
Lied ausgesucht, dessen Text von Dietrich Bonhoeffer
stammt. Er hat ihn an der Jahreswende 1944/45 im
Gefängnis verfasst. Dorthin war er eingeliefert worden,
weil er Widerstand gegen das Naziregime geleistet hat.
14 Tage später wurde er von der Gestapo erhängt.
Vor allem der Kehrvers
dieses Liedes hat es mir und wahrscheinlich auch Euch
angetan. Er beginnt so: „Von guten Mächten wunderbar
geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.“ –
Was mag kommen? Wir wissen es nicht. Die Zukunft ist
ungewiss. Manches wird leichter sein, anderes kann
schwerer werden. Vieles kommt anders als man denkt.
Eines aber ist gewiss: Gottes Gegenwart und seine
unverbrüchliche Liebe und Treue. „Gott ist mit uns“
heißt es weiter, „am Abend und am Morgen und ganz
gewiss an jedem neuen Tag!“
Die Gewissheit der
Gegenwart Gottes, die Gewissheit seiner Liebe und Treue,
aber auch Eure gegenseitige Liebe und Treue
mögen das Fundament sein,
auf das das Haus Eurer Ehe gebaut ist. Dann mögen Stürme
kommen, gewaltige Wasser, Ströme, wie es im Evangelium
geheißen hat: Das Haus hält. Es hat bestand.
Diese „Stürme“,
„Wasser“, „Ströme“ können alles Mögliche sein: Das
Vielerlei des Alltags, Hetze und Hast, Kummer und
Sorgen, Misserfolge und Niederlagen, die erschreckende,
abstumpfende Macht der Gewohnheit, andere Bedrängnisse,
Nöte, Ängste…
Doch habt keine Angst!
Habt Mut! Glaubt und vertraut! Denn „stark wie der
Tod ist die Liebe“, die Liebe, die sich in der Treue
bewährt. „Auch mächtige Wasser können sie nicht
löschen und Ströme schwemmen sie nicht weg“, wie es
in der Lesung aus dem Hohen Lied geheißen hat. – Darauf
dürft Ihr hoffen. Darauf könnt Ihr bauen. Darauf könnt
Ihr vertrauen! Das gibt Trost und Halt und Zuversicht.
Gottes Licht leuchte Euch
Tag für Tag!
Gottes Hand führe Euch
Jahr für Jahr!
Gottes Kraft stärke Euch
zu jeder Zeit!
Gottes Liebe berge Euch
heute, morgen und in Ewigkeit! |