Den 50. Jahrestag der Ordensprofess von
Bruder Pius als Kapuziner, den wir heute als „Goldenes Ordensjubiläum“
feiern, lädt uns ein, zunächst einen Blick zurückzuwerfen auf die
Anfänge des Ordenslebens unseres Jubilars. Zunächst darf ich anmerken,
dass Pius ja nicht der erste aus der Familie ist, der Kapuziner wurde.
Sein Onkel Pater Kilian war ein sehr geschätzter Mitbruder, der auch
wichtige Aufgaben in unserer Provinz hatte. Pius war der letzte Schüler
unserer Internate Zell am Harmersbach und Bensheim, der Kapuziner wurde
und geblieben ist. Und als er nach dem Abitur Kapuziner werden wollte,
war er zunächst allein auf weiter Flur, der einzige Kandidat, so dass
kein Noviziatskurs zustande kommen konnte. So fand sein Noviziat
überwiegend in unserem Studienkloster Münster statt, wo er zeitgleich
die beiden ersten Semester Philosophie und Theologie an unserer
Ordenshochschule studierte.
Ein gutes halbes Jahr später standen
plötzlich fünf weitere junge Männer auf der Matte, die Kapuziner werden
wollten. Keiner von ihnen hatte ein Internat besucht, sie alle hatten
auf andere Weise die Kapuziner kennengelernt. So kam auf einmal wieder
ein Noviziatskurs zustande, ich gehörte auch zu dieser Gruppe. Ein
Viertel Jahr später kamen vier weitere Kandidaten. Hinzu kam noch der
einzige Kandidat der Südtiroler Provinz. So waren wir mit Pius zusammen,
der noch rund zwei Monate unserer Noviziatsgruppe angehörte, auf einmal
elf Novizen. Der damalige Provinzial Pater Alexander verlegte das
Noviziat von Stühlingen nach Münster, dem damaligen Neupriester Bruder
Leonhard wurde die Noviziatsleitung anvertraut. Am Hochfest Mariä
Empfängnis 1973 durfte Pius dann in unserer Klosterkirche in Bensheim in
die Hände seines Onkels Pater Kilian die Einfache Profess ablegen.
Damit kam der Novize Pius aus dem
Noviziat ins Juniorat, oder – wie es damals noch hieß ins Klerikat.
Leider mussten wir dann erleben, dass aus der ursprünglich großen Gruppe
einer nach dem anderen früher oder später wieder wegging. Von den vorhin
genannten elf Novizen sind als Kapuziner heute leider nur drei
übriggeblieben: Pius, der südtiroler Bruder Michael und meine Wenigkeit.
Pius war dann im September 1974 mit den übriggebliebenen Novizen unter
Leitung von Pater Leonhard und Pater Osmund mit auf einer
Assisi-Wallfahrt, die erste mit Novizen in unserer Provinz überhaupt,
was aber für das Kennenlernen und das Vertiefen der franziskanischen
Spiritualität natürlich äußerst wertvoll war – und es gab dann noch
einen gemeinsamen Urlaub in Form eines Hüttenaufenthaltes in Südtirol.
Den Weg ins Ordensleben unseres Jubilars
und seinen weiteren Weg als Kapuziner und dann auch Priester möchte ich
mit fünf Stichworten umschreiben, die auch in den biblischen Texten, die
Pius für diesen Festgottesdienst ausgewählt hat, vorkommen: „hören
– kommen – sehen - antworten – bleiben“.
Die Berufungsgeschichte des jungen Samuel
macht deutlich: Glaube kommt vom Hören.
Und wer genau zuhört – und immer wieder
hört – wird durch alle Unsicherheiten und Missverständnisse hindurch
hören, wer es ist, der ruft. Und Gerufene dürfen auch nachfragen, wenn
sie unsicher sind. Das dürfen wir von der Berufung der Gottesmutter
Maria lernen, deren Fest der Erwählung wir gestern gefeiert haben.
Oder ich denke an die Berufung der ersten
Jünger. Auf die Einladung Jesu an die beiden, die auf der Suche sind,
mit der berühmten Frage: „Meister, wo wohnst du?“ sagt Jesus klar und
knapp zu ihnen: „Kommt und seht!“ – So lesen wir im Johannesevangelium.
Diese Frage „wo wohnst du?“ bezieht sich
in erster Linie nicht auf einen lokalen Wohnort, sondern auf das
innerliche Zuhause Jesu, auf seine eigentliche Heimat, auf seinen
Ursprung, und der Evangelist hat dabei auch schon den Vater im Blick.
Später wird Jesus sagen: „Ich und der Vater sind eins.“ Es geht hier um
das tiefste Geheimnis Jesu, seine Wesenseinheit mit dem Vater, die vor
allem vom Johannesevangelisten immer wieder hervorgehoben wird.
„Meister, wo wohnst du?“, fragen die
beiden Jünger. - Jeder Mensch verlangt nach Geborgenheit, nach einem
Daheim, nach Heimat. Wer keine Geborgenheit und keine Heimat findet,
kann nicht der werden, der er ist, und er wird niemals den wahren
Frieden erfahren. Ja, Heimat ist etwas anderes und mehr als Wohnraum.
„Meister, wo wohnst du?“ diese Frage im Evangelium geht in die Tiefe
und in die Weite.
Auf die Einladung Jesu: „Kommt und
seht!“, ist die Antwort der Jünger: Sie bleiben den ganzen Tag bei ihm.
Sie sehen und wundern sich. Nie mehr in ihrem Leben konnten sie diese
Begegnung vergessen, sie veränderte ihr Leben von Grund auf und machte
ihr Herz weit. Das ganze Johannesevangelium ist eine einzige Einladung,
zu kommen und zu sehen und – zu bleiben.
In diesem Schauen und im tieferen
Schauen, in der Kontemplation, wird der Mensch verwandelt und mehr und
mehr zum Glauben an den Vater geführt. „Wer mich sieht, sieht den
Vater“, unterstreicht Jesus. Ja: Kommt, bleibt nicht weg – haltet keine
ängstliche Distanz, ihr seid willkommen! Kommt in den Kreis meiner
Jüngerinnen und Jünger!
Ich denke, das ist auch eine Einladung,
die unser Jubilar in seinem nunmehr 50jährigen Ordensleben immer wieder
erfahren hat und nicht nur selbst erfahren hat, sondern die er auch in
reichem Maß weitergegeben und weitervermittelt hat. In jungen Jahren in
der Jugendarbeit etwa in meiner Heimatgemeinde Karlsruhe St. Franziskus
oder im westfälischen Werne, wo ich nun stationiert bin und Pius noch in
bester Erinnerung ist und ich ihn von vielen grüßen darf, in Werne auch
in der Begleitung der Novizen und etwas später in der Begleitung unserer
Postulanten in Dieburg.
Oder dann eben auch durch die inzwischen
jahrzehntelange Begleitung vieler Menschen und gerade auch
Ordensschwestern in Exerzitienkursen, Einkehrtage, religiösen
Freizeiten, Bibliodramen und geistlicher Begleitung.
Da kommen auch Menschen, die hören und
sehen möchten und immer wieder neu ihrer je eigenen Berufung nachspüren
wollen. Als Standorte, von denen aus Pius wirkte, dürfen wir Reute, Ave
Maria Deggingen, Bad Mergentheim und dann lange Jahre unser
Schwarzwaldkloster Zell erwähnen, von wo aus Pius in diesem Sommer nun
hierher nach München kam.
Schwestern und Brüder, Von den ersten
Jüngern, die der Einladung Jesu zum Kommen und Sehen gefolgt sind,
erzählt der Evangelist Johannes, dass sie mit Jesus gingen und dass sie
diesen Tag bei ihm blieben. Die Einladung Jesu zum Bleiben finden wir
gerade bei Johannes sehr häufig. „Bleiben“ ist ein Lieblingswort des
Johannes; 40-mal kommt es in seinem Evangelium vor (und 27-mal in den
ihm zugeschriebenen Briefen). Dieses Wort „bleiben“ wird zum bildhaften
Ausdruck für Geborgenheit und sogar Einheit. Ja, „Bleiben“ ist ein
Schlüsselwort des Johannesevangeliums. „Jünger“ ist nur, wer „bleibt“.
Im heutigen Evangelium, im Bildwort vom
Weinstock, fordert Jesus seine Jünger und damit auch uns ausdrücklich
auf: „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch“. Das Johannesevangelium
kennt eine ganze Serie von „bleiben“. Wir finden sie am prägnantesten in
dieser Bildrede vom Weinstock und vom Fruchtbringen.
Der Ausdruck „bleiben“ bezeichnet im
Johannesevangelium die Endgültigkeit und Dauer des durch den Glauben
begründeten Verhältnisses zu Jesus, ein Verhältnis gegenseitiger
Verlässlichkeit und Treue. In diesem Verhältnis ist begründet, dass der
Glaubende "in ihm bleibt" und dieses „in Jesus Bleiben“ ist die
Grundlage für das Fruchtbringen. Wir sind die Reben, in denen der Saft,
ja die Lebenskraft des Weinstocks präsent und wirksam und fruchtbar ist.
- Und dieses Bleiben in Jesus und in seinem Vater ist nicht statisch,
sondern birgt eine enorme Dynamik. Gott ist immer größer. Wie groß wir
auch über ihn denken, er ist doch noch größer. Es gibt Zeitgenossen, die
haben Angst vor allen möglichen und unmöglichen Unheilsmächten und
wittern überall, wo etwas Seltsames oder auch Böses geschieht, etwas
Dämonisches oder sogar gleich den Satan selbst. Das zeugt von einem
mangelnden Vertrauen zu Jesus und zum Vater. Wer mit Jesus in Verbindung
ist, wer in ihm bleibt, der braucht vor keinen Unheilsmächten Angst zu
haben.
Sagt der Auferstandene, der Sünde und Tod
besiegt hat, doch als eines seiner letzten Worte vor seiner Himmelfahrt
im Zusammenhang, dass er bei uns ist alle Tage bis zum Ende der Welt:
„Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde!“ Also steht er
auch über allen Unheilsmächten und wer in der Liebe Christi bleibt und
mit ihm in Verbindung ist wie der Rebzweig mit dem Weinstock, der
braucht in der Kraft der Liebe Christi keine Unheilsmächte zu fürchten,
denn die Liebe überwindet Furcht und Angst.
Wie wird nun das Bleiben in Jesus im
Alltag konkret? Es geht nicht in erster Linie um Frömmigkeitsübungen,
sondern um eine Grundeinstellung, konkret um die Grundhaltung der Liebe.
Die Rebe ist 24 Stunden mit dem Weinstock verbunden und ohne diese
grundsätzliche Christusbeziehung gleichsam „rund um die Uhr“ gibt es
auch keine Frucht, die Gott gefallen könnte, keinen Beitrag zum Reich
Gottes und keine Heiligung des persönlichen Lebens.
Der in Jesus Bleibende macht den Willen
Jesu und damit den Willen des Vaters zu seinem eigenen und bleibt damit
in der Liebe, denn die Liebe ist das Gebot und der Wille des Vaters.
Frucht des in Jesus Bleibens ist das Bewahren der Liebe. Es genügt
nicht, einmal zum Glauben gekommen zu sein, entscheidend ist, in der
Christusbeziehung und in der Liebe zu bleiben, gleichsam als
„Dauerzustand“, als „Lebenswirklichkeit“.
Und vielleicht tut es uns auch einmal
gut, ganz zweckfrei vor Gott still zu werden, sei das zu Hause, draußen
in der Natur, in einer Kirche oder auch vor dem Allerheiligsten, nicht
mit einem großen Gebetspensum, nein, still werden, leer werden, offen
werden, dass ich die Liebe Gottes spüren kann, der sich mir schenken,
der mich ansprechen, der mich lieben möchte. Das können wir auch in
vorzüglicher Weise von unserem Ordensvater, dem Heiligen Franz von
Assisi lernen. - Und das ist ja auch unserem Jubilar ganz wichtig, und
ich denke, daraus erwächst auch die Kraft zum Bleiben und für den Dienst
an den Menschen gerade in geistlicher Begleitung. „In der Stille und im
Vertrauen liegt euere Kraft“, lesen wir beim Propheten Jesaja. Dass Pius
diesen Weg gegangen ist und geht, dafür sind wir alle sehr dankbar und
wir wünschen ihm auf seinem weiteren Weg viel Freude und die begleitende
und segnende Nähe des Herrn.
Woran erkennt man nun also die Qualität
der Christen und auch der Ordenschristen? Daran, dass sie bei Jesus
bleiben. Dass sie mit ihm und untereinander verbunden sind und mit ihm
und untereinander verbunden bleiben – und danach handeln. - „Bleibt in
meiner Liebe!“, so weist Jesus seine Jünger und alle, die ihm
nachfolgen, an. Daran, dass wir einander lieben und in seiner Liebe
bleiben, daran sollen die Menschen erkennen, dass wir Jünger Christi
sind. |