Predigt beim Seelenamt für meinen
Vater Theodor Kirchgeßner
Unser
Vater, der verstorbene Theodor Kirchgeßner, hat ein hohes, ein
gesegnetes Alter erreicht. Wir, seine Angehörigen, sind dankbar, dass
Gott ihm so viele Jahre geschenkt hat und dass wir ihn so viele Jahre
haben und mit ihm zusammen sein durften.
Allerdings, jemand mag noch so alt werden, wenn er stirbt, dann
fehlt er den Seinen. Er hinterlässt eine Lücke. So spüren auch wir
schmerzlich den Verlust unseres Vaters. Auf einmal ist nichts mehr so
wie es war. Sein Mund spricht nicht mehr. Seine Hände begrüßen uns nicht
mehr. Seine Augen schauen uns nicht mehr an. Er sitzt nicht mehr am
Küchentisch und kommt nicht mehr zur Tür herein.
Im
Großen und Ganzen war unser Vater – Gott sei Dank – recht lange
selbständig. Seit vielen Jahren war er allerdings hochgradig
schwerhörig. Kommunikation war mit ihm außer durch Gestik und Mimik
praktisch nur schriftlich möglich.
Umso
mehr hat er erzählt, natürlich viel von früher, von den Jahren im
Krieg und in der Gefangenschaft, aus Pfarrer Magnanis Zeiten und, und,
und. Unser Vater hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis und war an allem
sehr interessiert. Sehr viel hat er gelesen. Seine Schwerhörigkeit hat
er wett gemacht durch seine Augen. Über die Dinge, die sich im Ort und
in der Umgebung ereigneten, aber auch über die Geschehnisse in Kirche,
Politik und Gesellschaft, war er bestens informiert.
In den
letzten Jahren ging er allerdings nirgendwo mehr hin, zu keiner
Versammlung, zu keinem Fest, zu keinem Geburtstag.
„Ich hör ja doch nichts“,
war immer seine Antwort.
Stolz war
er allerdings auf über 68 Jahre Mitgliedschaft beim Kolpingverein. Gern
erzählte er, wie er mit unserer Mutter vor der Heirat zum Brautgespräch
beim Pfarrer Magnani war und wie dieser zu ihm sagte: „Theodor, du
bist ein treuer Kolpingsohn, dir brauche ich nicht viel zu sagen.“
In der
letzten Zeit ließen seine Kräfte zusehends nach. Das Alter machte
sich bemerkbar. Er brauchte auch mehr und mehr Hilfe.
Als dann
vor zwei/drei Wochen auch die Sehkraft nachließ, war das ein herber
Einschnitt. Lesen war für ihn ja Lebenselexier. Von da an hat er
abgebaut. dass es dann aber so schnell mit ihm zu Ende ging, hat niemand
von uns erwartet.
Oft
hat unser Vater gesagt: „Wenn die Kraft zu Ende geht, ist
Erlösung eine Gnade.“ Dieses Wort hat sich jetzt für ihn selbst
bewahrheitet. Der Tod hat ihn von den Mühen des Alters und all seinen
Gebrechen und Leiden erlöst. Sein Leben ist nun vollendet in Gott. An
ihn hat er geglaubt, auf ihn hat er gehofft.
Gottvertrauen war das Fundament, war tragender Grund seines Lebens.
Der Glaube an Gott gab ihm Halt und ließ ihn auch manches Schwere, das
ihm nicht erspart blieb und manches Harte und Schicksalhafte in Geduld
und Treue durchhalten und ertragen.
Wenn ich
früher von ihm einen Brief bekam oder auch zuletzt bei Besuchen zu
Hause, waren seine Worte am Schluss regelmäßig: „Ich bin bereit!“
Und: „Wie Gott will!“ „Was Gott tut, das ist wohlgetan“,
das war eine Grundüberzeugung und eine Grundeinstellung seines Lebens.
„Ich bin bereit!“
Unser Vater war wirklich bereit.
Die
täglichen Gebete, Weihwasser, Kreuzzeichen, der „Engel des Herrn“, all
diese Dinge waren für ihn selbstverständlich und gehörten fraglos zu
seinem Alltag vom Aufstehen bis zum Schlafengehen.
Das Leben
unseres Vaters war einfach, bescheiden und anspruchslos. Es bestand aus
Arbeit, Pflichterfüllung und Gebet. Es war ein Leben eher im
Hintergrund, am Schluss auch ganz zurückgezogen und ans Haus gebunden.
Aber es war, ohne dass er davon großes Aufhebens gemacht hätte, ein
Leben mit Gott und ein Leben für seine Familie.
„Ich bin bereit.“
Auch auf das Sterben war unser Vater eingestellt und vorbereitet. Vier
Tage vor seinem Tod hat er von Pfarrer Balbach noch einmal die heilige
Kommunion und die Krankensalbung empfangen.
Sein
letztes Gebet war: „Jesus, dir leb ich, Jesus, dir sterb ich,
Jesus dein bin ich im Leben und im Tode.“
Am Ende
seines Lebens gab es für unseren Vater nichts mehr, wogegen er sich
aufbäumen wollte. Er hatte ausgekämpft und mit seinem Leben
abgeschlossen. Ganz friedlich, mit entspannten Zügen ist er
eingeschlafen.
Ich bekam
die Nachricht von Tod meines Vaters während eines Exerzitienkurses in
der Schweiz. Es war am Sonntag „Laetare“ nach der Frühmesse.
Jeder
Sonntag ist ein kleines Osterfest und erst recht der Sonntagmorgen
erinnert uns an den Ostermorgen und damit an die Auferstehung unseres
Herrn. Und gerade auch die Liturgie am Sonntag Laetare ist schon ganz
österlich geprägt. Obwohl mitten in der Fastenzeit öffnet dieser Sonntag
bereits den Blick auf Ostern und lädt uns ein zur Freude. In der Frühe
dieses Tages – es erscheint mir symbolträchtig – beim heraufziehenden
Tageslicht ist unser Vater gestorben.
In der
heiligen Messe an diesem Sonntag war das Evangelium vom barmherzigen Vater
und dem verlorenen Sohn. Mein Predigtthema war: „Bei Gott ist
die Tür immer offen. Gottes Liebe ist größer als alle Schuld.“
Spontan
kam mir der Gedanke und ich fühlte mich dabei sehr getröstet: Nun hat
sich auch für ihn, deinen Vater, die letzte Tür geöffnet.
Er hat es
geschafft, den Lauf vollendet, die Treue bewahrt.
Er ist
hinübergegangen aus dem Dunkel ins Licht, aus dem Leben der Mühsal in
das Leben der Seligkeit. Er ist heimgegangen in das Haus des himmlischen
Vaters, wo es keine Trauer, keine Klage, keinen Schmerz mehr gibt, nur
noch Leben in Gottes Leben, Leben in seinem Licht, Leben in seiner
Freude, Leben in seinem Glück, Leben in seinem Frieden. Leben in der
Geborgenheit bei Gott, Leben in der Liebe Gottes, die ohne Ende ist.
Liebe
Schwestern und Brüder!
In der
Präfation für die Verstorbenen heißt es: „Deinen Gläubigen, o
Herr, wird das Leben gewandelt, nicht genommen. Und wenn die Herberge
der irdischen Pilgerschaft zerfällt ist uns im Himmel eine ewige Wohnung
bereitet.“
Unser
Leben endet nicht in einer Sackgasse. Am Schluss steht keine hohe,
unüberwindliche Mauer. Der Tod ist Tor, Durchgang, Übergang, Hinübergang.
Er ist Befreiung, Wandlung, Heimkehr, Vollendung.
Das
Letzte ist – Jesu eigenen Worten zufolge – nicht der Tod, sondern
die Auferstehung und das Leben. Daran glauben wir.
Daran
zu glauben ist keine billige Vertröstung, kein leeres Versprechen,
keine Illusion. Dieser Glaube ist uns Trost, Hoffnung und Zuversicht.
In Gott und durch Gott allein ist Leben über alle Zeit hinaus.
Dieser
Glaube gibt uns eine ungeahnte Bereicherung und Erfüllung und ein
wirkliches, endgültiges Ziel.
Denken
wir daran: Wer heimkehrt zu Gott, der bleibt in der Familie. Unsere
Verstorbenen sind uns nun näher als jemals zuvor.
Und:
Wer einen lieben Menschen verliert gewinnt einen Fürsprecher.
Ich
bin überzeugt: Wir haben einen Fürsprecher mehr bei Gott.
Und
vergessen wir nicht: Es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir uns
wiedersehen. Was sind schon die paar Jährchen!
Jemand
hat einmal gesagt: „Ein Mensch, das ist ein wenig Gestern und etwas Heute und unendlich
viel Morgen“
(Martin Gutl)
Leben
aber auch wir im Blick auf das Morgen, im Blick auf die Ewigkeit! Seien
wir achtsam (auch im Umgang miteinander)! Seien wir wachsam und bereit!
Wir wissen nicht, wann der Tod an unsere Tür klopft. Wir wissen nur,
dass er eines Tages anklopft. Der Tod ist totsicher. Kein Weg führt
daran vorbei, jedoch einer darüber hinaus.
Jeder
Tag, den Gott uns schenkt, ist eine Chance. Jeder Tag ist ein neuer
Anfang. Nutzen wir die Zeit! Leben wir so, dass wir das Ziel unseres
Lebens erreichen und einst zur ewigen Vollendung gelangen. |