Zell am Harmersbach im Advent 2022
Liebe Leserin, lieber Leser!
Liebe Verwandte, Freunde und
Wohltäter!
„Aufbrechen“ ist immer wieder neu
eine Aufgabe für jeden Menschen, erst recht für Christinnen und
Christen. In der biblischen Tradition gibt es viele Beispiele und
Vorbilder dafür.
An Weihnachten stehen uns
besonders die Weisen vor Augen. Sie brechen auf, machen sich auf den
Weg, folgen dem Stern, um den neuen König – der sich als neugeborener
Jesus im Stall entpuppt – zu huldigen.
Aus diesem weihnachtlichen Bild der
Weisen lässt sich der Auftrag für uns ableiten: „Brich auf, mein
Herz, und wandere!“
Wichtig ist: auf die Verheißung zu
hören, den Stern wahrzunehmen und ihm zu folgen. Dabei wird es nicht
ausbleiben, dass auch wir im Unterwegssein im Lauf unseres Lebens
vielfältig die Erfahrung machen, loslassen zu müssen. „Viel geht dir
unterwegs verloren.“ Kann ich es lassen und trotzdem erfahren, dass
Entscheidendes bereits gegeben ist und immer wieder neu geschenkt wird –
„Gold der Liebe, Weihrauch der Sehnsucht“ –, manches aber auch zu
tragen, zu er-tragen und zu bewältigen ist – „Myrre der Schmerzen“.
Und in allem darauf vertrauen, dass diese
persönlichen Erfahrungen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, die
Kostbarkeiten sind, die als Geschenke in die Begegnung mit anderen – und
in diesen Tagen auch an die Weihnachtskrippe – gebracht werden, Schweres
und Schönes, Leidvolles und Frohes. „Er wird es annehmen.“ – Das finde
ich unheimlich tröstlich.
Loslassen und aufbrechen, Abschied nehmen
und neu anfangen, das steht im neuen Jahr auch für mich an. Nachdem das
Provinzkapitel der deutschen Kapuziner im Juni beschlossen hat, das
Kapuzinerkloster in Zell samt dem dazugehörigen Haus der Begegnung (HdB)
aufzuheben, hat nun die neue gewählte Provinzleitung Schritte der
Umsetzung vollzogen. Das HdB schließt Ende dieses Jahres. Es wird an die
Stadt Zell vermietet, die es für Flüchtlinge verwenden will. Die jetzt
noch im Kloster lebenden 10 Brüder siedeln an andere Orte um. Ich selbst
– so ist es vorgesehen – breche meine Zelte nach Ostern ab und mache
mich auf den Weg nach München. Dort gehöre ich zur Gemeinschaft von
sieben Mitbrüdern im Kapuzinerkloster, werde aber in dem unmittelbar
benachbarten Kreszentiastift wohnen und mit halber Stelle als Superior
für das Mutterhaus der Kongregation der Kreszentiaschwestern zuständig
sein, die ein großes Wohnstift und Pflegeheim betreuen. Mit der anderen
halben Stelle soll, kann und darf ich weiterhin in der
Exerzitienseelsorge tätig sein. Wie sich dies gestalten wird, muss sich
zeigen. Es gilt erst einmal am neuen Ort anzukommen, mich einzufinden
und neu zu orientieren.
Eines ist für mich klar, dass ich –
Anfang Oktober 70 geworden – dem Alter und der Gesundheit entsprechend
ein Stück kürzertreten will und muss.
Ansonsten schaue ich überaus dankbar auf
die 20 Jahre in Zell zurück. Es ist mir Heimat geworden. Ich lasse in
der Tat viel Liebgewonnenes zurück. Das ist nicht leicht. Gleichzeitig
blicke ich gespannt und erwartungsvoll nach vorn und gehe zuversichtlich
dem entgegen, was neu auf mich zukommt.
Jedenfalls, in dem „Brich auf, mein
Herz, und wandere“ von Karl Rahner finde ich mich gerade ganz gut
wieder. Ebenso in dem berühmten Wort von Dag Hammarskjöld: „Für das
Vergangene Dank! Dem Kommenden Ja!“ Sowie in dem mir seit
Jahrzehnten sehr vertrauten und lieben Gedicht „Stufen“ von Hermann
Hesse. Darin sprechen mich in momentan besonders die Zeilen an: „Es
muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und
Neubeginne, um sich in Tapferkeit und ohne Trauern in andere, neue
Bindungen zu geben.“ Weiter heißt es: „Und jedem Anfang wohnt ein
Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“
Dass auch Ihr Euch bzw. Sie sich in allem
behütet und beschützt wissen und so vertrauensvoll
Schritte ins neue Jahr wagen können, das wünsche ich Euch/Ihnen von
Herzen. Vergessen wir nicht: „Gott ist mit uns am Abend und am
Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag“ (Dietrich Bonhoeffer).
Von Herzen danke ich für alle liebe
Verbundenheit und alle wohlwollende Güte, die ich empfangen durfte und
darf. Und verbleibe mit treuem Gebetsversprechen und eine gnadenreiche
Weihnacht wünschend sowie ein gutes und von Gott gesegnetes Neues Jahr
Dein/Euer/Ihr
Pater Pius
|