Wie gut, dass es Weihnachten gibt!
Nicht nur, um Gottes Kommen in unsere
Welt zu feiern, sondern auch aus dem ganz einfachen Grund, weil das Fest
Anlass gibt, Verbindung zu Menschen aufzunehmen, die einem nahe
stehen oder etwas bedeuten, Anlass, ein paar liebe Zeilen zu
schreiben, Festtagsgrüße zu senden und gute Wünsche zu übermitteln.
Ich will diesen Weihnachtsrundbrief auch wieder nutzen,
um auf das vergangene Jahr
zurückzuschauen.
Was hat mich berührt, bewegt, beschäftigt?
Verlust – Trauer – gläubige Zuversicht
Im März dieses Jahres ist im 90. Jahr seines Lebens mein
Vater verstorben, ich möchte lieber sagen: „Er
ist
von Gott heimgerufen worden“.
Viele Jahre waren mir und
meinen Geschwistern mit ihm geschenkt. Dafür bin ich und sind wir sehr
dankbar. Wenn ein Elternteil geht, ist das schmerzlich. Wenn dann der
zweite Elternteil nachfolgt, fühlt sich das noch mal ganz anders an. Man
spürt den Verlust und die Lücke noch deutlicher. Es ist nicht mehr so
wie es vorher war.
Ich habe durch den Tod meines Vaters auch die darauf
folgenden Kar- und Ostertage noch mal anders, intensiver als
sonst erlebt. Ich habe erfahren, wie die Botschaft der Kirche und die
Feier der Liturgie, gerade auch die „österliche
Dreitagefeier“ (sacrum triduum)
Licht und Hoffnung, Trost und Zuversicht in das Dunkel der Trauer
bringt.
Mein Vater war auf das Sterben
und den Tod eingestellt. Er selbst hat oft gesagt: „Ich bin bereit!“
– Sein Leben hat nun seine Vollendung gefunden in Gott. An ihn hat er
geglaubt, auf ihn hat er gehofft.
Im Seelenamt für meinen Vater
habe ich ein Wort von Martin Gutl zitiert. Es lautet:
„Ein Mensch, das ist ein
wenig Gestern, etwas
Heute und unendlich viel Morgen.“
Die
Ewigkeitsperspektive relativiert vieles, was sich hier so wichtig
gebärdet. Gleichzeitig lässt das Wissen um die Endlichkeit und
Vergänglichkeit achtsam und wachsam sein für das, was hier und heute
wichtig und dran ist, weil es einmal das ist, was am meisten zählt:
Liebe üben, Gutes tun und in Treue und gläubiger Zuversicht Schritt für
Schritt den Weg an der Hand Gottes zu gehen.
Sünde – Reinigung – Chance
Das zu Ende gehende Jahr ist
überschattet von einer dunklen Wolke von Skandalen. So viel Aufregung um
die katholische Kirche war lange nicht mehr. Die lawinenartigen
Enthüllungen über sexuellen Missbrauch haben das Selbstverständnis der
Kirche erschüttert, ihre Glaubwürdigkeit beschädigt und zu eine großen
Vertrauenskrise geführt.
Die Fastenzeit 2010 war für die
Kirche wirklich Bußzeit geworden. Es war auch für mich eine Leidenszeit.
Fast täglich war das Thema „Missbrauch“ in den Nachrichten. Ich
war geschockt und entsetzt, was da an Verfehlungen, Perversionen und
Abgründen ans Licht kam, zumal wir in Oberharmersbach mit einem der
schlimmsten Fälle überhaupt konfrontiert waren.
Wenn ich daran denke, ruft es
heute noch in mir Ekel und Abscheu hervor, zum Teil auch Wut, weil auch
Zuständige auf Bistumsebene versagt haben, weggeschaut oder durch
Verschleierung manche schlimme Tat ermöglicht haben.
Die Kirche muss alles in ihrer
Macht stehende tun, damit es zu einer inneren Reinigung kommt. Der Papst
sagte bei seiner Reise in Portugal: „Der wahre
Feind, den es zu fürchten und zu bekämpfen gilt, ist die Sünde und das
Böse, das manchmal leider auch Mitglieder in der Kirche ansteckt.“
Es bedarf der Umkehr und
Erneuerung. Für den Akt der Reinigung ist es aber auch wichtig, zu
differenzieren und der Wahrheit eine Chance zu geben.
Ich will auf einige Punkte hinweisen:
-
Zu jeder Zeit und in jeder Hinsicht
widerspricht sexueller Missbrauch dem christlichen Menschenbild. Es
ist ein verabscheuungswürdiges Verbrechen, wenn Kinder oder
Jugendliche in ihrer Personwürde brutal von Erziehern leiblich
verletzt und seelisch gedemütigt werden. Ein Vertrauensbruch
im allerschlimmsten Sinn liegt vor, wenn ein Gott geweihter Mensch,
sich zu solchen schändlichen Taten hinreißen lässt. Tragisch ist
es, wenn es die „Hirten“ selbst sind, die sich dermaßen
verfehlen und verirren. Dass solches die Kirche ins Mark trifft, ist
klar. Auch darf es nicht wundern, dass die Kirche an ihren eigenen
Maßstäben und sittlichen Überzeugungen, die sie vertritt, gemessen
wird.
-
Zu sehen ist allerdings auch,
dass es sich um Vergehen Einzelner handelt, von denen die
allermeisten Fälle Jahrzehnte zurückliegen. Damals hat die
Gesellschaft allgemein die seelisch zerstörerischen Folgen für die
Opfer unterschätzt, ja die Opfer oft gar nicht im Blick gehabt und
aus Angst vor Ansehensverlust und Imageschaden eher die Täter
geschützt. Kirche und weltliche Institutionen handelten da gleich:
weggucken, schweigen, vertuschen, für einige Zeit aus dem Verkehr
ziehen, dann versetzen. Man hat sich pastoral und therapeutisch viel
zu wenig um die Opfer gekümmert. Das war selbstverständlich nie
richtig.
-
Zu sehen ist auch, dass der
Staatsanwaltschaft jährlich ungefähr 15.000 Fälle von sexuellem
Missbrauch angezeigt werden, von der Dunkelziffer ganz zu schweigen.
Erwiesenermaßen spielt sich das allermeiste (etwa 90%) im
familiären Umfeld ab, anderes in Sportvereinen, auf Schulfreizeiten,
in Einrichtungen der Jugendhilfe, in Behindertenstätten usw. In
der öffentlichen Debatte konnte man manchmal meinen, das Thema
sei ein rein kirchliches Problem. Die Kirche allein an den Pranger
zu stellen und sie insgesamt in Sippenhaft zu nehmen, ist ebenso
verkehrt wie eine Berufsgruppe in ihr unter Generalverdacht zu
stellen. Man muss auch sagen dürfen, dass die
allermeisten Priester und Ordensleute Tag für Tag ehrenhaft und in
Treue ihren Dienst tun, segensreich wirken und sich mit aller Kraft
zum Wohl der ihnen anvertrauten Menschen einsetzen.
-
Das bittere Thema hat, so
kommt mir vor, wochenlang auch herhalten müssen, Abneigung gegen die
Kirche zu schüren. Es kam da und dort zum „Missbrauch des
Missbrauchs“. Mich hat die Verlogenheit mancher
Fernsehsender geärgert, die breit und mitunter genüsslich über
Missbrauchsfälle in der Kirche berichteten und gleich danach in
Filmen sexuelle Perversionen aller Art zur Unterhaltung anboten.
In manchen Medienberichten und Diskussionsbeiträgen hätte ich
mir auch mehr Unterscheidungen gewünscht. So wurde z.B. nicht selten
sexueller Missbrauch und körperliche Züchtigung in einem Atemzug
genannt und in einen Topf geworfen.
-
Bei allen mitunter diffusen Meldungen, bei allem Stimmengewirr zu
diesem Thema, gilt es das Wesentliche nicht aus den Augen zu
verlieren: das Leid der Opfer. Es verdient eine konsequente und
transparente Aufklärung. Bei aller Hilfe, Aufarbeitung, Begleitung,
Prävention bis hin zu finanzieller Entschädigung ist klar, dass der
Schaden letztlich nicht wieder gut zu machen ist.
Die Kirche selbst braucht
Läuterung und Buße, gründliche Reinigung, auf dass Vertrauen wieder
möglich wird. – Trotz allen Stürmen, denen die Kirche ausgesetzt
ist und die dem Schifflein Petri immer wieder zusetzen, habe ich auch in
diesem Fall die Hoffnung, dass das, was geschehen und offenkundig
geworden ist, auf lange Sicht zum Kairos werden kann und dass auch diese
Krise ihre Chancen hat.
Das „Wunder von Chile“
Wie viele, so habe auch ich mit Spannung
und Interesse die Rettung der 33 Bergarbeiter in Chile verfolgt
und um ihr Schicksal gebangt. Mehr als zwei Monate waren sie in 700 m
Tiefe verschüttet und mussten gefangen ausharren, bis sie aus der Tiefe
der Unterwelt befreit das Licht des Himmels wieder erblickten.
Es war für mich sehr bewegend,
nach der Bergung die Kumpel im gleißenden Scheinwerferlicht kniend und
die rauen Hände gefaltet zu sehen. Ebenso ergreifend waren die
geradezu religiös-österlichen Worte des chilenischen Präsidenten:
„Heute Nacht hat das Leben den Tod besiegt“ und sein Bekenntnis:
„Ohne Gottes Hilfe wäre das nicht möglich gewesen.“ Bei aller
menschlichen Anstrengung und bei aller Hilfe der Technik war die
Rettungsaktion – so sahen es die Betroffenen vor Ort – nicht nur
Menschenwerk. Es waren ergreifende Szenen der Erlösung, wenn die Kapsel
langsam aus dem schmalen Schacht auftauchte und die Verlorengeglaubten
den Ihren begegneten, wenn Frauen ihre Ehemänner, Söhne und Töchter
ihren Vater, Geschwister ihren Bruder küssten und umarmten.
Mir fiel das Wort aus der hl. Schrift ein:
„Ich war tot – und siehe: ich lebe!“ Die Dramaturgie des
Geschehens weckte in mir Assoziationen an Ostern und Weihnachten
zugleich. Kein Regisseur hätte den Aufstieg der schon Totgeglaubten aus
den gesprengten Felsen der Unterwelt in die Helle einer lichterfüllten
Winternacht wirkungsvoller inszenieren können.
Angerührt hat mich auch die
Aussage des jüngsten, 19 Jahre alten Bergmanns. Jimmy Sanchez sagte:
„Ich glaube es war Gottes Wille, dass ich unter
Tag bleiben musste. Er wollte, dass ich darüber nachdenke, was ich in
meinem Leben ändern muss. Und ich werde jetzt eine ganze Menge ändern.“
Und nun noch ein paar persönliche
Notizen:
Wir Kapuziner von Deutschland
haben wie schon andere Ordensgemeinschaften auf Grund der kleiner
werdenden Mitgliederzahlen in diesem Jahr fusioniert. Die
rheinisch-westfälische Provinz und die bayrische Provinz haben sich
zusammengeschlossen zu der einen deutschen Kapuzinerprovinz. Das
Provinzialat hat seinen Sitz in München. Ich war sowohl bei der
Abschiedsfeier von unserer rheinisch-westfälischen Provinz Anfang Mai
in Münster/Westf. dabei als auch bei dem Vereinigungskapitel, das nach
Pfingsten im Kloster Reute stattfand. Beides waren schöne Feiern und im
wahrsten Sinne des Wortes brüderliche Treffen, an die ich gute
Erinnerungen habe.
In der Folge der Provinzzusammenlegung
gab es auch eine Reihe von Versetzungen. Ich bin nicht direkt betroffen,
habe meine Bleibe weiterhin in Zell, aber im Konvent gab es einige
Veränderungen. Zwei Brüder haben ihre Aufgabe und ihren Platz woanders
bekommen und drei Brüder sind neu zu uns gestoßen.
Im Moment
befinden wir uns als Gemeinschaft noch in der Phase des Eingewöhnens und
der Neuorientierung, was aber auch spannend und reizvoll ist.
Meine Hauptaufgabe
sind nach wie vor die Exerzitien verschiedenster Art hier im Haus, zum
Großteil aber auch auswärts. Immer noch macht mir diese Aufgabe Freude
und ich erlebe sie als lohnend und erfüllend. Es geht mir gut dabei. Wer
sich mehr dafür interessiert, findet mein Kursangebot 2011, aber auch
Predigten, Vorträge, geistliche Impulse usw. auf meiner Homepage:
www.pius-kirchgessner.de Sie bekommt
immer wieder viel Lob. Es lohnt sich, hineinzuschauen. Eine gute
Homepage macht viel Arbeit und kostet viel Mühe. Darum sage ich
dem Webmaster, meinem Schwager, der viel Zeit und Kraft investiert, an
dieser Stelle ein herzliches Dankeschön und Vergelt’s Gott!
Liebe Verwandte, Freunde und Wohltäter!
Leid und Freude, Schweres und Beglückendes liegen oft nah
beieinander. Auch bei Dir/Ihnen/Euch wird es so in 2010 gewesen sein.
Das Leben hinterlässt seine Spuren, schöne und schmerzliche. Es ist
gut, dass wir alles immer wieder ins Gebet nehmen, zu Gott hintragen
und in seine Hände legen dürfen.
An der Krippe können wir uns treffen.
Sie ist ein guter Ort, Angst und Not abzugeben, Sorgen und Fragen
loszulassen und Licht und Hoffnung zu schöpfen, um mit neuer Kraft u.
frohen Mut im Vertrauen auf Gott u. seine Führung weiterzugehen.
Der Apostel Paulus schreibt an die Korinther:
„Denkt daran, was unser Herr Jesus Christus in seiner Liebe für euch
getan hat. Er war reich und wurde doch arm, um euch durch seine Armut
reich zu machen.“
(2 Kor 8,9)
An Weihnachten feiern wir
wieder die Geburt dessen, der „für uns arm wurde“. Möge uns die
Feier dieses Geheimnisses innerlich reich machen und mit Freude
erfüllen, die uns durch das kommende Jahr begleitet.
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