Zell a.
H, Dezember 2008
„Exerzitien“:
Das Wort hört sich streng an, schwierig und für viele fremdartig. Und
auch die Sache, die sich dahinter verbirgt, klingt recht ernst.
„Exerzitien = Geistliche Übungen“.
Das erinnert an exerzieren, trainieren, sich mühen, fleißig üben.
Trotzdem erfahre ich immer
wieder wie Menschen am Schluss von Exerzitien innerlich erfüllt sind,
wie sie sich erneuert und gestärkt fühlen, wie sie mit strahlenden Augen
von ihren Erfahrungen berichten.
Vor achtzehn Jahren habe ich
eine zweijährige Ausbildung zum Exerzitien- und Meditationsleiter
absolviert. Seitdem bin ich in diesem Bereich der Seelsorge tätig.
In all diesen Jahren bin ich
die Exerzitienseelsorge nie leid geworden. Nach wie vor macht mir diese
Tätigkeit viel Freude, bei aller Kraft die sie auch kostet. Ich halte
sie auch für sehr wichtig und sinnvoll.
Häufig
werde ich für Exerzitien von Mutterhäusern und Provinzialaten angefragt.
Dabei handelt es sich gewöhnlich um Gemeinschafts- bzw.
Vortragsexerzitien für Ordensleute.
Besonders tief gehend und intensiv erfahre ich Einzelexerzitien,
die ich auch besonders gern gebe. Dabei bin ich als Begleiter durch das
tägliche Einzelgespräch ganz nahe am Prozess des Exerzitanten. Natürlich
muss ich mich bei sechs bis acht Einzelgesprächen am Tag auf jede Person
neu einstellen, um spürig im Hören und achtsam im Mitgehen des
Exerzitienweges meines Gegenübers zu sein. Das ist nicht immer einfach.
(Beim Einzelgespräch geht es u. a. darum: Wie war der
zurückliegende Exerzitientag? Wie ging es in den persönlichen Gebets-
und Meditationszeiten? Was hat sich getan oder nicht getan? Was hat sich
bewegt, gezeigt? Gibt es Störungen, Widerstände, Fragen, Einsichten?
Und: Wie sieht der nächste Schritt aus? Was könnte hilfreich sein?)
Immer
wieder darf ich gerade in der Begleitung beglückend erleben, wie Gottes
Geist führt und lenkt, wo jemand offen ist und sich einlässt. Immer
wieder erfahre ich, wie das Wort Gottes eine wunderbare Wirkkraft
entfaltet. Es reinigt und heilt, richtet auf und befreit. Ich spüre:
Gott ist am Werk. Das Eigentliche tut ER. Das entlastet und erfüllt mich
mit großer Dankbarkeit. Nie habe ich das Gefühl, nur in der Rolle des
Gebenden zu ein, sondern erfahre mich immer wieder selbst beschenkt.
Mein
eigenes Angebot an Exerzitien ist breit gefächert. Neben den bereits
erwähnten Exerzitienformen gehören auch Meditationsexerzitien
dazu. Den Schwerpunkt hierbei bilden etwa drei Stunden
Schweigemeditation über den Tag verteilt. Sehr gefragt sind auch
Wanderexerzitien, die ich den letzten Jahren im Schwarzwald
(Zell a. H.) und Südtirol (Völs am Schlern) durchgeführt habe.
Bei den
Meditations- und Wanderexerzitien ist immer eine Kollegin mit in der
Leitung. Sie ist zuständig für Leibübungen, meditativen Tanz,
Gebärdenlieder sowie für die Musik beim Gottesdienst. Viele Teilnehmer
und Teilnehmerinnen dieser Exerzitien schätzen das frauliche Element als
Ergänzung und bewerten es im Sinne der Ganzheitlichkeit sehr positiv –
das gilt auch für die Einzelexerzitien – wenn auch der Leib etwa durch
Eutonie- Joga- oder Qigongübungen angesprochen und einbezogen wird.
In
meinem Jahresprogramm stehen auch „Franziskanische Exerzitien“
bzw. "Ignatianische Exerzitien" .
Dabei sind die Impulse, Gebets- und Meditationszeiten von den
franziskanischen Quellen und der franziskanischen Spiritualität geprägt.
(Es werden z. B. Ereignisse aus dem Leben des Hl. Franziskus
vorgestellt, gedeutet und mit dem eigenen Leben in Beziehung gebracht.
Oder Textabschnitte aus den franziskanischen Schriften bzw. Gebete des
hl. Franziskus werden besprochen, ausgelegt, aktualisiert und dienen als
Betrachtungsstoff für die persönliche Gebets- und Meditationszeit.)
2008 habe ich begonnen, jeden Monat im Meditationsraum des Hauses der
Begegnung (HdB) in Zell a. H. einen Meditationsabend
durchzuführen. Er besteht aus zwei Teilen. Zuerst gibt es eine halbe
Stunde Leibübungen auf der Grundlage der Eutonie, dann folgt eine
25minütige Schweigemeditation, d. h. einfaches stilles Dasein vor Gott,
verweilen in seiner Gegenwart. Der Abend wird beendet mit einem
Gebärdenlied und einem Segensgebet. Die Abende sind gut besucht. Es gibt
einen festen Kern von Leuten, die regelmäßig kommen, aber auch immer
wieder neue und wechselnde Interessenten. Erstaunt bin ich, wenn ich
höre, dass der eine oder andere Teilnehmer für den Meditationsabend eine
Anfahrt von einer dreiviertel Stunde und mehr in Kauf nimmt. „Das ist
mir der Abend wert“, sagte mir neulich jemand. Eine Teilnehmerin
flüsterte mir beim Hinausgehen ins Ohr. „Ich
freue mich schon auf den nächsten Abend. Die Ruhe und Stille tun mir
einfach gut.“
Zur Zeit
nicht mehr in meinem Jahresprogramm sind „Exerzitien im Alltag“
wie sie vielfach in den Pfarreien in der Advents- oder Fastenzeit
angeboten werden. Man geht dabei nicht in ein Exerzitienhaus weg vom
Alltag, sondern macht Exerzitien zu Hause, im Wohnzimmer, im Betrieb,
bei der Arbeit – mitten im Leben. Es scheint eine Form zu sein, die den
Menschen heute oft mehr entgegenkommt als ein kompletter Rückzug. Sie
sind nicht so zeitaufwendig. Man muss dafür keinen Urlaub opfern. Und
man muss auch nicht viel Geld dafür ausgeben.
Dann sind da noch die „Kontemplativen Exerzitien“, die
ich zwar selbst schon mitgemacht, aber noch nicht selber angeleitet
habe. Bei dieser Exerzitienform wird nicht mit Texten oder Bildern
geübt, sondern es geht in erster Linie um ein bewusstes Wahrnehmen der
Gegenwart. Es sind Übungen der Aufmerksamkeit im Hinblick auf die Natur,
den Atem, die innere Stille. Zentral ist die Übung des Jesusgebetes.
(Ein bekannter Vertreter dieser Exerzitien ist Pater Franz Jalics
SJ. Kontemplative Exerzitien werden auch im Kapuzinerkloster Irdning
(Österreich) angeboten und durchgeführt)
Weiterhin gibt es Exerzitien mit Zenmeditation, mit
gestalttherapeutischen Elementen, Exerzitien mit Bibliodrama, mit Malen
und anderem kreativem Tun. Und wir wären nicht im 21. Jahrhundert, wenn
es Exerzitien nicht auch „online“ gäbe. (Wer
sich dazu anmeldet, bekommt vier Wochen lang jeden Morgen per E-Mail
einen Impuls auf seinen Rechner geschickt, einen Gedanken, ein Gebet
oder eine Bibelstelle. Einmal pro Woche schreiben die Teilnehmer eine
E-Mail an ihren persönlichen Online-Begleiter, der ihnen dann auch
wieder Antwort gibt).
Wie man
sieht gibt es eine ganze Vielfalt von Exerzitien. Die Spanne reicht von
2/3-tägigen Kurzexerzitien mit Gemeinschaftselementen bis zu den
sogenannten „großen ignatianischen Exerzitien“, die 30
Tage dauern.
Exerzitien sind Tage eines
bewussten Innehaltens mit viel Zeit für sich selbst
Exerzitien sind Tage der
Stille und des Schweigens.
Exerzitien sind Tage, um das
eigene Leben im Lichte Gottes anzuschauen.
Exerzitien sind Tage des Gebetes und der Meditation.
Exerzitien sind Tage der
inneren Neuordnung und der Neuorientierung.
Exerzitien sind Tage des Wirkens Gottes.
Exerzitien sind Tage der
inneren und äußeren Verwandlung.
Exerzitien sind Tage der
Gnade und des Heiles.
Wie kann
ich herausfinden, ob Exerzitien etwas für mich sind?
Wenn
beim Lesen dieses Artikels in Ihnen eine Sehnsucht aufsteigt, wenn es an
dieser oder jener Stelle „klingelt“, dann sind Sie
„exerzitienverdächtig“. Wenn Sie spüren, dass sie nach einer Vertiefung
ihres Glaubenslebens suchen, wenn Sie im Bibelkreis, bei
Meditationstagen oder Besinnungswochenenden „Lust auf mehr“
spüren, dann könnten Exerzitien für Sie in Frage kommen.
Was braucht man für Exerzitien?
Mitbringen sollten Sie
sich selbst, Ihr Leben, Ihre Sehnsucht, Ihre Bereitschaft zum Wachsen
und Hören, die Hl. Schrift, den Willen, auch Durststrecken zu
durchwandern, Offenheit, sich führen und einzulassen, Hoffnung auf
Gottes Wirken.
Was kosten Exerzitien?
Natürlich Unterkunft und
Verpflegung im Exerzitienhaus und
eine Kursgebühr (Honorar für die Begleitung). – Und was kosten
Exerzitien noch? Vor allem Ihre Zeit und die Bereitschaft, sich auf den
Exerzitienweg wirklich einzulassen.
Was bekommt man dafür?
Nicht selten mehr als erwartet, zum Beispiel: größere Klarheit, neue
Entschiedenheit, Leben ordnet sich, Zuwachs an innerer Freiheit, Trost
und Zuversicht aus der festen Gewissheit der liebevollen Gegenwart
Gottes, inneren Frieden, Selbstvertrauen und Gottvertrauen. Was will man
mehr?
Noch eine Erfahrung und
ein Tipp
Seit gut zehn Jahren habe
ich eine eigene Homepage mit dem aktuellen Jahresprogramm meiner
Exerzitienangebote und einer Vorschau für das nächste Jahr. Dort ist
auch näher beschrieben, was z.B. das Besondere an Wanderexerzitien ist,
was Franziskanische Exerzitien ausmacht, wie Meditationsexerzitien
aussehen oder was zu Einzelexerzitien gehört. Ich mache die Erfahrung:
Immer mehr Leute kommen zu Exerzitien nicht mehr über Flyer, (die
am Schriftenstand oder sonst wo aufliegen) sondern übers
Internet.
Erfahrungsbericht einer
Teilnehmerin bei Meditationsexerzitien im Haus der Begegnung, Zell a.
H.:
Ein Mann Ende fünfzig aus
Berlin hatte in seinem Leben schon Höhen und Tiefen durchlebt. Doch
trotz allem hatte er viel für seine körperliche Gesundheit getan und war
für sein Alter überdurchschnittlich in Form. Familiär und geschäftlich
lief alles in ruhigen und geordneten Bahnen und doch fehlte ihm was.
Nebenbei spielte er
leidenschaftlich und recht gut Schach. Bei den Spielen fiel ihm immer
wieder ein etwa 10jähriger Junge auf. Irgendetwas Faszinierendes hatte
das Kind an sich und so wollte er seine Mutter kennen lernen. Bei einem
Gespräch mit ihr stellte sich heraus, dass sie sich immer wieder eine
Auszeit gönnt. Aber nicht wie heute so üblich in einem Wellnesshotel,
sondern, dass sie regelmäßig etwas für ihre Seele tut. Da ihr nächster
Termin schon feststand, fragte sei ihn, ob er keine Lust hätte
mitzukommen. So fuhren beide von Berlin über acht Stunden in ein Kloster
im Schwarzwald zu Exerzitien.
Viel Neuland begegnete ihm
hier. Das Eingliedern war für ihn kein Problem und er fand auch spontan
Aufnahme in der Gruppe. Aus der ehemaligen DDR stammend wurde er mit dem
Satz groß. „Religion ist Opium für das Volk.“ Er war Atheist von Haus
aus. Und nun ließ er sich auf eine, für ihn ganz neue Welt ein.
In der Schlussrunde sagte er:
„Als ich damals aus meinem Loch, in das ich gefallen war,
gerade so heraus kam, folgten drei Jahre Therapie. Nach den vier Tagen
hier kann ich sagen, vierzehn Tage Kloster hätten gereicht.“
H. Fischer
Zu meinen Erfahrungen mit
Exerzitien-Kurse während der Corona-Pandemie wurde ein Interview mit mir
geführt, das Sie
hier nachlesen können.
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