EVANGELIUM
Lasst beides
wachsen bis zur Ernte
+ Aus
dem heiligen Evangelium nach Matthäus
In jener Zeit
24erzählte
Jesus der Menge das folgende Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem
Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte.
25Während
nun die Menschen schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging weg.
26Als
die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum
Vorschein.
27Da
gingen die Knechte zum Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Weizen
auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut?
28Er
antwortete: Das hat ein Feind getan. Da sagten die Knechte zu ihm:
Sollen wir gehen und es ausreißen?
29Er
entgegnete: Nein, damit ihr nicht zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen ausreißt.
30Lasst
beides wachsen bis zur Ernte und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündeln, um es
zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune!
Liebe
Schwestern und Brüder!
Haben Sie zu
Hause einen Garten? Oder stammen Sie gar von einem Bauernhof ab? – Dann handeln
Sie ganz bestimmt anders als es das Evangelium heute nahe legt.
Von wegen, das
Unkraut wachsen lassen! Sobald es sich zeigt, rücken wir ihm zu Leibe. – Wie
schnell nimmt es überhand!
Ganz
anders verhält
sich der Gutsherr im heutigen Gleichnis.
Er verbietet
seinen säuberungswilligen Knechten ausdrücklich, gegen das Unkraut vorzugehen.
Unkraut und
Weizen sollen zusammenwachsen bis zur Ernte.
Natürlich geht
es in diesem Gleichnis nicht um landwirtschaftliche Einsichten. Es entstammt
auch nicht einem Lehrbuch für Hobbygärtner. Es handelt sich vielmehr um ein
Reich-Gottes-Gleichnis.
Und
trotzdem stellt
sich die Frage: Warum duldet der Gutsherr das Unkraut in der guten Saat?
Warum lässt er die Knechte die Säuberungsaktion nicht durchführen?
Gleichen
wir nicht auch
bisweilen diesen Knechten, bereit und willig, einzugreifen, aufzuräumen, Ordnung
zu schaffen?
Und
hätten wir nicht auch manchmal gern, dass Gott eingreift, durchgreift, für klare
Verhältnisse sorgt, vielleicht sogar mal dreinschlägt und zeigt, wer das Sagen
hat und Herr ist im Haus?
Warum
duldet er so viel Schlimmes, Übles und Böses, das es in der Welt gibt.
Warum
tritt er ihm nicht energisch entgegen und verhindert es, wo er doch allmächtig
ist?
Warum
lässt er beides wachsen: das Unkraut und den Weizen?
Beides
wachsen lassen,
heißt das nicht, alles laufen lassen und sich mit dem Bösen abfinden?
Wird das
Böse nicht
sogar unterstützt und gefördert, wenn man nichts dagegen unternimmt?
Wäre es
nicht besser,
bereits den Anfängen zu wehren und das Böse, wenn möglich, schon im Keim zu
ersticken?
Andererseits:
Ist denn immer so eindeutig, was gut und schlecht ist, recht und verkehrt? Ist
das immer so klar zu unterscheiden?
Beim
Unkraut im Gleichnis,
das Jesus erzählt, ist das gar nicht so einfach und klar. Es handelt sich
nämlich um eine giftige Queckenart, den so genannten Taumellolch. Und der sieht
dem Weizen zum Verwechseln ähnlich.
Dazu
kommt: Seine
Wurzeln verwachsen und verflechten sich gern mit denen des Weizens. Beim
Herausreißen kann es leicht passieren, dass man auch den Weizen mit herausreißt.
So
gesehen macht
es Sinn, dem Eifer der säuberungswilligen Knechte zu wehren und beides, den
Weizen und das Unkraut, wachsen zu lassen bis zur Ernte. Dann lässt sich mühelos
das Unkraut vom Weizen unterscheiden und trennen.
Liebe
Schwestern und Brüder!
Worum geht es in
diesem Gleichnis? Was will es uns sagen?
Es geht um die
Geduld Gottes. Nicht dass es ihm egal wäre, was wächst, ob Weizen oder Unkraut.
Gott ist nicht gleichgültig gegenüber dem Bösen. Wenn es Zeit ist, wird ganz
klar unterschieden. Dann wird Weizen Weizen genannt und Unkraut Unkraut.
Und
dennoch:
Zunächst darf beides wachsen. Gott ist ungeheuer langmütig. Gott ist voll
Geduld. „Er lässt“, so sagt es Jesus in der Bergpredigt, „seine Sonne scheinen über Guten und Bösen und er lässt es regnen
über Gerechten und Ungerechten.“
Und so
wie Jesus in der Bergpredigt sagt: „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist!“ –
So sagt
er uns mit dem Gleichnis heute: „Richtet nicht,
damit ihr nicht gerichtet werdet! Mit dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt,
wird auch euch gemessen und zugeteilt werden!“
Wie
schnell sind
wir dabei zu urteilen und zu verurteilen. Oder wir malen schwarz-weiß und
stecken in Schubladen.
Doch Gott allein
schaut in die Herzen der Menschen. Er sieht tiefer. Er kennt uns besser als wir
uns selber kennen.
Wie oft
täuschen wir uns im anderen! Manchmal vergucken wir uns ganz gehörig.
Auf
einer Spruchkarte habe ich einmal gelesen: „Im Himmel werden wir uns über drei Dinge wundern: Erstens, dass wir dort
Menschen treffen, die wir da nie vermutet hätten. Zweitens, Menschen dort nicht
zu treffen, die wir unbedingt dort erwartet hätten. Und drittens, dass wir
selbst da sind.“ (nach Voltair)
Jesus
mahnt:
Verzichtet auf alles Urteilen und Verurteilen. Zügelt allen Übereifer! Bremst
allen Fanatismus, der ausmerzen und ausrotten will. Blinder Eifer schadet nur.
Überlasst das letzte Urteil Gott! Er allein ist der höchste Richter. Er wird es
richten. Und er wird – hoffentlich – auch uns selbst gegenüber ein gnädiger
Richter sein.
Denn, liebe
Mitchristen, ist nicht auch in jedem von uns Unkraut und Weizen? Wie oft
wächst Gutes und Böses auf gleichem Boden!
Wie schätze ich
mich selber ein, wenn ich meine, ausmerzen und vernichten zu müssen?
Bin ich von
meinem Gutsein so sehr überzeugt? Gibt es auf meinem Acker nur Weizen?
Suche ich das
Unkraut immer lieber bei anderen? Sehe ich es immer nur dort gefährlich wuchern,
nicht aber bei mir?
Liebe
Schwestern und Brüder!
Wenn wir einmal
den Acker unseres eigenen Lebens und nicht immer nur den der anderen
durchforsten, dann schrumpft vielleicht der Weizen zugunsten des Unkrauts mehr
und mehr.
Ob wir
dann den Herrn
auch noch ungeduldig bitten, streng und unverzüglich das Unkraut vom Weizen zu
trennen?
Ob
es dann nicht unsere Chance und unser Glück ist, dass Gott nicht zu schnell
ausreißt, aufräumt, abschreibt und fallen lässt?
Ob
wir dann nicht froh und dankbar sind über die Langmut und die Geduld Gottes?
Jesus
jedenfalls hatte nicht nur ein Herz für die Armen und Kranken, sondern auch für
die Ausgestoßenen und Sünder.
Er hat es
für möglich gehalten, dass auch ein verpfuschtes und verkorkstes Leben anders,
neu, heil und gut wird. „Hat dich niemand verurteilt?
Auch ich verurteile dich nicht!“
Auch
so genannten „hoffnungslosen Fällen“ hat er einen neuen Anfang
ermöglicht, z.B. Zachäus: „Bei einem Sünder ist er eingekehrt!“ Den
Zöllner Levi ruft er in seine Gemeinschaft. Der Sünderin schenkt er Vergebung.
Mit unendlicher Geduld wartet der barmherzige Vater auf den verlorenen Sohn,
eilt ihm entgegen, schließt ihn in seine Arme und nimmt ihn bedingungslos an und
auf.
Üben wir
uns in der
Langmut! Lernen wir von Jesus Güte und Geduld! Gestatten auch wir einander Zeit
zum Wachsen und Reifen, ohne vorschnell zu urteilen. Dazu gehört mehr Kraft, vor
allem mehr Liebe als zum vorschnellen Ausreißen und Vernichten.
Übrigens: Mir
gefällt ein Weizenfeld, in dem auch Mohn- und Kornblumen blühen, besser als ein
ganz sauberes, astreines. Sein Anblick freut mich.
Beachten Sie auch meine beiden Vorträge "Lasst
beides wachsen bis zur Ernte!" bzw. "Wer
bin ich? Unkraut oder Weizen?" zur gleichen Bibelstelle
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