„Unkraut vergeht nicht!“
Wenn Sie
zu Hause einen Garten haben oder von einem Bauernhof abstammen, dann
wissen Sie, dass das stimmt. Und dann handeln Sie ganz bestimmt auch
ganz anders als es das Evangelium heute nahe legt.
Von
wegen, das Unkraut wachsen lassen!
Sobald es
sich zeigt, rücken wir ihm zu Leibe.
Wir
setzen alles dran, es zu entfernen oder zu vernichten.
Bekanntlich wächst das Unkraut auch ziemlich schnell.
Wenn man
nichts dagegen tut, nimmt es überhand.
Es
überwuchert und erstickt die gute Saat.
Und zu
ernten gäbe es nicht viel.
Ganz
anders verhält sich der Gutsherr im heutigen Gleichnis.
Er
verbietet seinen Knechten ausdrücklich, gegen das Unkraut vorzugehen.
Unkraut
und Weizen sollen zusammenwachsen bis zur Ernte.
Natürlich
geht es in diesem Gleichnis nicht um landwirtschaftliche Einsichten.
Es
entstammt auch nicht einem Lehrbuch für Hobbygärtner.
Es
handelt sich vielmehr um eines der zahlreichen Reich-Gottes-Gleichnisse,
die immer einen springenden Punkt haben und nie ein zu eins aus der
Lebenswirklichkeit von damals in unsere heutige Situation übertragen
werden können.
Und
trotzdem stellt sich die Frage:
Warum
duldet der Gutsherr das Unkraut in der guten Saat?
Warum
lässt er die Knechte nicht gewähren, die zu einer Säuberungsaktion
bereit sind?
Gleichen wir nicht auch bisweilen diesen Knechten?
Bereit
und willig, einzugreifen, dazwischen zu fahren, aufzuräumen, Ordnung zu
schaffen, sauberen Tisch zu machen?
Und hätten wir nicht auch manchmal gern,
dass Gott eingreift, durchgreift, dazwischen fährt, für klare
Verhältnisse sorgt, vielleicht sogar mal dreinschlägt und zeigt, was
Sache ist, wer Herr ist im Haus?
Fragen
wir nicht auch manchmal,
warum
Gott so vieles, was verkehrt läuft, duldet,
warum er
so vielem Schlimmen, Üblen und Bösen, das es in der Welt gibt, nicht
energisch entgegentritt,
warum er
es in seiner Allmacht nicht verhindert, sondern es zulässt?
Warum
lässt er beides wachsen: das Unkraut und den Weizen?
Beides
wachsen lassen,
heißt das
nicht, alles laufen lassen und sich mit dem Bösen abfinden?
Wird das
Böse nicht sogar unterstützt und gefördert, wenn man nichts dagegen
unternimmt?
Die Hände
in den Schoß legen, zulassen, wachsen lassen,
heißt das
nicht sogar, das Böse billigen und gutheißen?
Man kann
doch unmöglich alles richtig und gut finden?
Gibt es
nicht auch eine übertriebene Laschheit, eine Laxheit, der alles egal
ist?
Gibt es
nicht auch eine falsche Toleranz?
Soll man
immer zu allem Ja und Amen sagen?
Wo kommen
wir denn hin, wenn jeder tun und lassen kann, was er will?
Gälte es
nicht vielmehr, schon den Anfängen zu wehren?
Das Böse
bereits im Keim zu ersticken? Und wenn möglich, wo immer es sich zeigt,
mit Stumpf und Stiel auszurotten?
Liebe
Schwestern und Brüder!
Das
Gleichnis will uns nicht zu einer falschen Toleranz und zu einer
verkehrten Laschheit aufrufen.
Das
Gleichnis will uns vor allem einen Maßstab für unser Handeln mitgeben.
Und
dieser Maßstab ist die Liebe zum Weizen, die Liebe zu dem, was an
Gutem in uns gesät ist und wächst.
Es geht
nicht darum, dass wir die Hände in den Schoß legen sollen.
Natürlich
gilt es, aufmerksam zu sein für das, was unser Leben vergiften kann!
Aber das
Gleichnis will uns vor Radikalkuren warnen, die mehr kaputt machen als
gut.
Andererseits:
Ist denn
immer so eindeutig, was gut und schlecht ist, recht und verkehrt, was
etwas taugt und was nicht?
Ist das
immer so klar zu unterscheiden?
Sehen
Sie:
Beim
Unkraut im Gleichnis, das Jesus erzählt, ist das gar nicht so klar.
Es
handelt sich nämlich um eine giftige Queckenart, den so genannten
Taumellolch. Und der sieht, wenn er jung ist und heranwächst dem Weizen
zum Verwechseln ähnlich.
Dazu
kommt:
Seine
Wurzeln verwachsen und verflechten sich gern mit denen des Weizens. Ein
Herausreißen ist äußerst riskant und schwierig. Denn es passiert leicht,
dass man auch den Weizen mit herausreißt.
Wer dran
geht, vor der Ernte den Acker von diesem Unkraut zu säubern, richtet
mehr Schaden an als er gut macht.
Das Böse
radikal ausmerzen und ausrotten wollen, geht nicht, ohne auch das Gute
zu gefährden, es zu schädigen oder gar zu zerstören. Wer weiß, wie viel
Gutes man mit ausreißt?
Außerdem:
Probieren
Sie einmal, in einem Weizenfeld zu jäten! Sie trampeln mehr kaputt als
die Säuberungsaktion bringt und nutzt.
So
gesehen macht es Sinn, dem Eifer der säuberungswilligen Knechte zu
wehren und beides, den Weizen und das Unkraut, wachsen zu lassen bis zur
Ernte.
Am Tag
der Ernte lässt sich das Unkraut vom Weizen mühelos unterscheiden und
trennen. Es wird in Bündel gebunden und verbrannt, der Weizen aber kommt
in die Scheunen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Worum
geht es in diesem Gleichnis?
Was will
es uns sagen und zeigen?
Was ist
der springende Punkt?
Es geht
um die Langmut, um die Geduld Gottes.
Diese
Geduld Gottes hat ihren Grund nicht darin, dass es ihm egal wäre, ob
Weizen oder Unkraut wächst.
Gott ist
nicht gleichgültig gegenüber dem Bösen.
Wenn es
Zeit ist wird ganz klar unterschieden.
Dann wird
Weizen Weizen genannt und Unkraut Unkraut.
Nichts
wird schöngeredet, nichts eingeebnet oder verwischt.
Und
dennoch: zunächst darf beides wachsen.
Das
zeigt: Gott kann warten. Er lässt Zeit. Er hat einen langen Atem.
Gott ist
langmütig und voll Geduld.
Liebe
Mitchristen!
Gott hat
nicht nur Geduld.
Geduld
ist nicht nur eine Eigenschaft Gottes, ein Charakterzug.
Geduld
gehört zu seinem Wesen.
Weil das
Wesen Gottes Liebe ist, darum ist Gott auch barmherzig und gnädig. Und
er ist voll Langmut und Geduld.
Er löscht
den glimmenden Docht nicht aus und das geknickte Rohr zerbricht er
nicht.
Den
Feigenbaum will er noch ein Jahr pflegen, ob er nicht doch Frucht
bringt.
„Gott lässt“,
so sagt es Jesus in der Bergpredigt, „seine
Sonne scheinen über Guten und Bösen und er lässt es regnen über
Gerechten und Ungerechten.“
Und so
wie Jesus in der Bergpredigt sagt:
„Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist!“
–
So sagt
er uns mit dem Gleichnis heute:
„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!
Mit
dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird auch euch gemessen und
zugeteilt werden!“
Wie
schnell sind wir dabei zu qualifizieren und abzuqualifizieren, zu
urteilen und zu verurteilen, oft auch pauschal und vorschnell.
Oder wir
malen schwarz-weiß, stecken in Schubladen und brechen den Stab über
andere?
Wie oft
lassen wir nichts, aber auch gar nichts Gutes am Nächsten?
Verurteilen in Bausch und Bogen und verdammen in Grund und Boden!
Doch Gott
allein schaut in die Herzen der Menschen.
Er kennt
uns besser als wir uns selber kennen.
Wie oft
täuschen wir uns auch im anderen?
Wir
vergucken uns manchmal ganz gehörig und denken dann:
Mensch,
das hätte ich von dem nicht gedacht!
Oder das
hätte ich der gar nicht zugetraut!
Oder das
hätte ich von dem oder der gar nicht für möglich gehalten! Die oder der
ist gar nicht so.
Auf einer
Spruchkarte habe ich einmal gelesen:
„Im
Himmel werden wir uns über drei Dinge wundern:
Erstens, dass wir dort Menschen treffen, die wir da nie vermutet hätten.
Zweitens, Menschen dort nicht zu treffen, die wir unbedingt dort
erwartet hätten.
Und
drittens, dass wir selbst da sind.“ (nach Voltair)
Jesus
mahnt:
Verzichtet auf alles Urteilen und Verurteilen. Zügelt allen Übereifer!
Bremst
allen Fanatismus, der ausmerzen und ausrotten will.
Blinder Eifer schadet nur.
Überlasst das letzte Urteil Gott! Er allein ist der höchste Richter.
Er wird
es richten und hoffentlich auch uns selbst gegenüber ein gnädiger
Richter sein.
Denn, liebe Schwestern und Brüder,
ist nicht auch in jedem von uns Unkraut und Weizen?
Wie nahe
ist oft das Schädliche dem Nützlichen?
Wie oft
wächst Gutes und Böses auf gleichem Boden!
Sind es
nicht die gleichen Menschen, die, einmal wahre Engel und dann reinste
Teufel sein können?
Und: Wie
schätze ich mich selber ein, wenn ich meine, ausmerzen und vernichten zu
müssen?
Bin ich
von meinem Gutsein so sehr überzeugt?
Habe ich
immer und in allem eine weiße Weste? Kann ich meine Hände in Unschuld
waschen?
Gibt es
auf meinem Acker nur Weizen?
Suche ich
das Unkraut immer lieber bei anderen?
Sehe ich
es immer nur dort gefährlich wuchern, nicht aber bei mir?
Sehe ich
zwar den Splitter im Auge des Bruders, den Balken im eigenen aber nehme
ich nicht wahr?
Wir
können gut sein wie die Engel.
Wir
wissen aber auch, wie oft uns der Teufel reitet,
wie sehr
das Böse in uns steckt, wie sehr Streit und Neid, Missgunst und
Eifersucht, Rechthaberei und falscher Ehrgeiz, Arroganz und Selbstsucht…
uns lenken und leiten.
Der Riss
geht wohl durch unser eigenes Herz.
Und Gut
und Bös scheinen manchmal so eng verflochten wie das Wurzelwerk von
Unkraut und Weizen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wenn wir
einmal den Acker unseres eigenen Lebens und nicht immer nur den der
anderen durchforsten, dann schrumpft vielleicht der Weizen zugunsten des
Unkrauts mehr und mehr.
Ob wir
dann den Herrn auch noch ungeduldig bitten, streng und unverzüglich das
Unkraut vom Weizen zu trennen?
Ob wir
dann nicht dankbar sind über die Langmut und die Geduld Gottes?
Ob es
dann nicht unsere Chance und unser Glück ist, dass Gott nicht zu schnell
ausreißt und aufräumt, abschreibt und fallen lässt?
Ob wir
dann nicht darüber froh sind, dass Gott gut ist, gut auch zu den
Undankbaren und Bösen?
Jesus
jedenfalls hatte nicht nur ein Herz für die Armen und Kranken, sondern
auch für die Sünder.
Er hat es
für möglich gehalten, dass auch ein verpfuschtes und verkorkstes Leben
anders, neu, heil und gut wird.
So kehrt
er beim Oberzöllner Zachäus ein und dessen Leben wandelt sich.
Er beruft
den Zöllner Levi in seine Nachfolge.
Er
verzeiht der Sünderin im Haus des Pharisäers Simon
Und zur
Ehebrecherin sagt er:
„Hat
dich niemand verurteilt? Auch ich verurteile dich nicht!“
Mit
unendlicher Geduld wartet der barmherzige Vater auf den verlorenen Sohn,
eilt ihm entgegen, als er ihn kommen sieht, schließt ihn in seine Arme
und nimmt ihn bedingungslos an und auf.
Auch so
genannten „hoffnungslosen Fällen“ hat Jesus einen neuen Anfang
ermöglicht.
Er sieht
Entwicklungen und Möglichkeiten, wo wir längst einen Schlussstrich
gezogen haben.
Seine
Liebe und Güte, seine Geduld und sein Erbarmen war vielen ein Ärgernis.
Sie empörten sich darüber.
Vielleicht hat Jesus deshalb einmal gesagt:
„Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt!“
Er setzte
sich sogar mit Judas an einen Tisch im Abendmahlssaal.
Und als
er ihn verriet, nannte er ihn „Freund“.
Jesus
hält nichts von einer blinden Säuberungswut.
„Nie tun sich Menschen so viel Böses an, als wenn sie ungeduldig und
eigenmächtig sich selbst zum Richter erheben in verfrühter Stunde.“
(J.B. Metz)
Wieviel
Unheil hat blinder Eifer, übertriebener Radikalismus, Fanatismus in der
Welt, z. B. im 3. Reich oder auch unter Stalin schon angerichtet. Ich
nenne nur ein Stichwort: die ethnischen Säuberungen. Doch Menschen, die
nicht ins Schema passen, einkerkern, verstümmeln, umbringen, das ist in
vielen Ländern auch heute noch gang und gäbe.
Auch die
Kirche war nie und ist nicht gegen die Versuchung gefeit, mit rigoroser
Gewalt und Unterdrückung im Namen des Guten und sogar im Namen Gottes
gegen anders Denkende vorzugehen, zu urteilen und zu verurteilen,
auszugrenzen und auszumerzen.
Leider
zogen immer wieder übereifrige Knechte aus, das vermeintliche Unkraut im
Weizenfeld der Kirche unschädlich zu machen.
Die
Stichworte Hexen- und Ketzerverbrennung, Inquisition und Exkommunikation
mögen genügen.
Oder in
unserer Zeit die Lehrverbote: Unliebsame Kirchenkritiker (wie z.B. Hans
Küng, Eugen Drewermann oder Leonardo Boff) wurden verteufelt,
diskriminiert, bekamen Maulkörbe verpasst, wurden mundtot gemacht und
ausgeschaltet.
„Sollen wir hingehen und ausreißen?“
Vieles
wurde schon ausgerissen im Namen der reinen Lehre der Kirche, ihrer
Dogmen und Moral.
Dahinter
steht der Wahn, durch die Vernichtung des Bösen könne eine gerechte
Gesellschaft, eine gute Welt, ja, das Reich Gottes hergestellt werden.
Ein
schlimmer Aberglaube.
Der Gott,
den uns das Evangelium vorstellt, ist der Gott der Geduld, der Langmut,
der Gelassenheit, des langen Atems, ein Gott, der Zeit lässt und warten
kann.
Üben wir
uns in der Langmut!
Lernen
wir von Jesus Güte und Geduld!
Lernen
wir von ihm jene Liebe, die keinen Menschen vor der Zeit abschreibt und
verwirft!
Gestatten
auch wir einander Zeit zum Wachsen und Reifen, ohne vorschnell zu
verdammen und zu urteilen! Das steht uns ohnehin nicht zu.
Die
endgültige Scheidung der Geister ist allein Gottes Sache. Er hat das
letzte Wort.
Aber er
lässt uns Zeit zur Besinnung, Zeit, um umzudenken, umzukehren. Er wartet
in Geduld.
Glauben
Sie mir:
Zur
Geduld gehört mehr Kraft, vor allem mehr Liebe, als zum Ausreißen und
Vernichten.
Und noch
etwas. Ich muss ehrlich sagen:
Mir
gefällt ein Weizenfeld, in dem auch Mohn- und Kornblumen blühen, besser
als ein ganz sauberes, astreines.
Jenseits
aller Kosten- und Nutzenrechnung freue ich mich über seinen Anblick.
Beachten Sie auch meine beiden
Predigten "Was
machen wir mit dem Unkraut" bzw. "Blinder
Eifer schadet nur" zur gleichen Bibelstelle
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