Otto Dix (1891 – 1969) war
einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Von
ihm stammt dieses Bild: Petrus und der Hahn.
Die beherrschende Figur ist
der Hahn. Die Mitte und die oberen zwei Drittel des Bildes
werden von ihm eingenommen. Groß und dominant steht auf
einem Mauervorsprung und spreizt gewaltig die
eckigen
Flügel. Er erhebt mit rot geschwelltem Kamm seine Stimme.
Scharf gellt sein Schrei. Er
schreit ihn nach links – aus dem Bild – hinaus, laut,
unerbittlich, fordernd, als wolle er die ganze Welt
durchdringen, sie aufwecken und ihr ins Gewissen rufen, ein
Schrei, der durch Mark und Bein geht.
Im Vordergrund – ganz in die
linke untere Ecke gedrängt: Petrus.
Ihm sitzt der Hahn – das
schreiende Gewissen – gleichsam im Nacken. Wir sehen von ihm
nur den Kopf bzw. das Gesicht. Es ist als ob er in die
dunkle Erde kriechen möchte. Er erscheint wie ein
Versinkender.
Jetzt aber – ganz anders als
damals auf dem Meer – streckt Petrus seine Hand nicht nach
dem Herrn aus. Er ruft nicht „Herr, rette mich!“ Er
vergräbt seine Hände in das Gesicht. Es ist von
Gewissensschmerzen zerfurcht und dem Weinen nahe. Die
Augenhöhlen wirken wie ausgebrannt und leer. Ein Mensch, der
nicht mehr ein und aus weiß, verzweifelt.
Kurz zuvor hat er noch mutig
den Herrn beschworen: „Ich nicht! Niemals!“ – Jetzt,
um sein eigenes Leben zu retten, hat er den Herrn
verleugnet. Er erlebt die schlimmste und
niederschmetterndste Stunde seines Lebens.
Verweisen die schweren
Fundamentplatten rechts von Petrus auf das Wort Jesu: „Du
bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche
bauen?“ Er, dem der Herr die tragende Rolle zugedacht
hatte, erscheint hier – in seinem Treuebruch – wie
einzementiert in das Fundament.
Sieht es so um die Kirche
aus?
Geht der Verrat bis in die
Grundmauern?
Vor diesem Bild gibt es kein
Entweichen. Ich selbst bin gemeint!
Hier ist meine, unsere, ja
die Situation der Kirche dargestellt.
Schauen wir wieder auf das
Bild: Es zeigt einen müde aufdämmernden Morgen. Die Sonne
steigt gerade hinter der Mauer auf. Welchen Tag wird sie
sehen? Die Farbe ist eher düster. Der Widerschein dieser
Düsternis lagert oben am Himmel. – Es ist eine müde
gedrückte Morgenstimmung. Es wollen keine leuchtenden Farben
aufkommen. Die Farbe braun herrscht vor. Das Rot ist nach
Braun hin gebrochen, scheint ins Braune „auszulaufen“. In
der dichtesten Konzentration findet es sich im Antlitz und
in den verklammerten Händen des Petrus.
Alles in diesem Bild ist
Sünde, Trauer, Klage und Anklage: stumm und wortlos in
Antlitz und Gebärde des Petrus, schrill und laut in der
Bewegung und im Schrei des Hahns.
Petrus ist einer von uns
geworden in seinem Scheitern. Und der Hahn kräht auch über
uns. Wie oft treten wir an, haben Großes vor, machen
Versprechungen, fühlen uns ganz stark und sicher. Und
versagen doch!
Wenig im Leben ist wohl so
schmerzhaft und so bitter, als die Wahrheit über sich zu
erkennen und einzusehen, dass man nicht der Mensch ist, für
den man sich hielt, nicht der Mensch, der man gerne wäre,
nicht der Mensch, der man versucht hat zu sein und dass man
genau das getan hat, was man eigentlich am wenigsten wollte,
das, was man zuvor – wie Petrus – vehement und selbstsicher
als unmöglich und nie in Frage kommend von sich gewiesen
hat. Wenig im Leben ist so schlimm, als erkennen und
eingestehen zu müssen, versagt zu haben und gescheitert zu
sein – aus Angst, aus Schwäche, aus Müdigkeit. Und es ist
nicht ungeschehen zu machen. Die Folgen sind irreparabel.
Ein hartes und heftiges Bild
der Erschütterung.
Unerbittlich stellt es
unseren Bekennermut in Frage.
Da bahnt sich die Wende an.
Sie kommt von dem, der „zerschlagen wurde wegen unserer
Missetaten“. (Jes 53, 5)
„Da wandte sich der Herr um und blickte
Petrus an… Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.“
(Lk 22, 61f.)
Das Gesicht des Petrus ist so
dargestellt, dass wir hineinschauen können. Hineinschauen in
das von Jesus angesehene Gesicht.
Petrus bereut. Er geht hinaus
und weint.
Im Bild scheint nicht nur
Petrus zu weinen. Es ist als stürzen Tränenbäche vom Himmel
und strömen über die Fundamentplatte.
Sünde, Versagen, Verrat und
Tränen sind aber nicht das Letzte.
Petrus geht aus dieser
Erfahrung als ein Verwandelter hervor. Er wird nicht mehr
passen. Er wird sich stellen. Nach Pfingsten wird er mit
Freimut und voll Eifer auftreten und Zeugnis ablegen für
seinen Herrn und Meister. Er wird sich mit Leidenschaft
einsetzen, missionarisch sein, die Kirche durch die ersten
christlichen Jahre führen, bis er selbst in die Passion
gerät und als Märtyrer sein Leben hingibt. Ob dies ohne die
Erfahrung seiner dunkelsten Stunde möglich gewesen wäre?
In seinem 1. Brief schreibt
Petrus: „Seid nüchtern und wachsam!“ (5, 8).
Wachsamkeit, die im letzten Aufmerksamkeit, Hellhörigkeit
für den Herrn ist, lebte bei Petrus nach Ostern – und kann
auch bei mir nur leben – aus einer tiefen Liebe zum Herrn:
„Herr, du weißt alles, du weißt auch, dass ich dich
liebe!“ (Joh 21, 17)
Schauen wir noch einmal auf
Petrus im Bild von Otto Dix. Es ist der Moment, in dem
Petrus sich an das Wort erinnert, das Jesus ihm gesagt
hatte: „Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal
verleugnen.“ Es ist als bräche alles auf in Petrus, als
lehnte er sich kraftlos und gebrochen in seiner Schuld
zurück, als fiele und fiele er. Am liebsten würde er wohl im
Erdboden versinken, so sehr schämt er sich.
Und doch war er noch nie so
umfangen vom Erbarmen Gottes.
Jesus hat Petrus nicht fallen
gelassen. Er hat ihn nicht verurteilt. Er hat ihn nicht
verstoßen. Er hat ihm vergeben. Und er hat ihm einen neuen
Anfang geschenkt. Und Petrus gewinnt die Kraft, wirklich zu
können, was er Jesus versprochen hat, nämlich ihm überall
hin zu folgen, und sei es in den Tod (Mk 14, 31). |