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Petrus und der Hahn (Bildmeditation zu einer Farblithographie von Otto Dix, 66 x 52,5 cm, 1958)
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Otto Dix (1891 – 1969) war einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Von ihm stammt dieses Bild: Petrus und der Hahn.
Die beherrschende Figur ist der Hahn. Die Mitte und die oberen zwei Drittel des Bildes werden von ihm eingenommen. Groß und dominant steht auf einem Mauervorsprung und spreizt gewaltig die eckigen Flügel. Er erhebt mit rot geschwelltem Kamm seine Stimme. Scharf gellt sein Schrei. Er schreit ihn nach links – aus dem Bild – hinaus, laut, unerbittlich, fordernd, als wolle er die ganze Welt durchdringen, sie aufwecken und ihr ins Gewissen rufen, ein Schrei, der durch Mark und Bein geht.
Im Vordergrund – ganz in die linke untere Ecke gedrängt: Petrus. Ihm sitzt der Hahn – das schreiende Gewissen – gleichsam im Nacken. Wir sehen von ihm nur den Kopf bzw. das Gesicht. Es ist als ob er in die dunkle Erde kriechen möchte. Er erscheint wie ein Versinkender. Jetzt aber – ganz anders als damals auf dem Meer – streckt Petrus seine Hand nicht nach dem Herrn aus. Er ruft nicht „Herr, rette mich!“ Er vergräbt seine Hände in das Gesicht. Es ist von Gewissensschmerzen zerfurcht und dem Weinen nahe. Die Augenhöhlen wirken wie ausgebrannt und leer. Ein Mensch, der nicht mehr ein und aus weiß, verzweifelt.
Kurz zuvor hat er noch mutig den Herrn beschworen: „Ich nicht! Niemals!“ – Jetzt, um sein eigenes Leben zu retten, hat er den Herrn verleugnet. Er erlebt die schlimmste und niederschmetterndste Stunde seines Lebens. Verweisen die schweren Fundamentplatten rechts von Petrus auf das Wort Jesu: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen?“ Er, dem der Herr die tragende Rolle zugedacht hatte, erscheint hier – in seinem Treuebruch – wie einzementiert in das Fundament. Sieht es so um die Kirche aus? Geht der Verrat bis in die Grundmauern?
Vor diesem Bild gibt es kein Entweichen. Ich selbst bin gemeint! Hier ist meine, unsere, ja die Situation der Kirche dargestellt.
Schauen wir wieder auf das Bild: Es zeigt einen müde aufdämmernden Morgen. Die Sonne steigt gerade hinter der Mauer auf. Welchen Tag wird sie sehen? Die Farbe ist eher düster. Der Widerschein dieser Düsternis lagert oben am Himmel. – Es ist eine müde gedrückte Morgenstimmung. Es wollen keine leuchtenden Farben aufkommen. Die Farbe braun herrscht vor. Das Rot ist nach Braun hin gebrochen, scheint ins Braune „auszulaufen“. In der dichtesten Konzentration findet es sich im Antlitz und in den verklammerten Händen des Petrus.
Alles in diesem Bild ist Sünde, Trauer, Klage und Anklage: stumm und wortlos in Antlitz und Gebärde des Petrus, schrill und laut in der Bewegung und im Schrei des Hahns.
Petrus ist einer von uns geworden in seinem Scheitern. Und der Hahn kräht auch über uns. Wie oft treten wir an, haben Großes vor, machen Versprechungen, fühlen uns ganz stark und sicher. Und versagen doch!
Wenig im Leben ist wohl so schmerzhaft und so bitter, als die Wahrheit über sich zu erkennen und einzusehen, dass man nicht der Mensch ist, für den man sich hielt, nicht der Mensch, der man gerne wäre, nicht der Mensch, der man versucht hat zu sein und dass man genau das getan hat, was man eigentlich am wenigsten wollte, das, was man zuvor – wie Petrus – vehement und selbstsicher als unmöglich und nie in Frage kommend von sich gewiesen hat. Wenig im Leben ist so schlimm, als erkennen und eingestehen zu müssen, versagt zu haben und gescheitert zu sein – aus Angst, aus Schwäche, aus Müdigkeit. Und es ist nicht ungeschehen zu machen. Die Folgen sind irreparabel.
Ein hartes und heftiges Bild der Erschütterung. Unerbittlich stellt es unseren Bekennermut in Frage.
Da bahnt sich die Wende an. Sie kommt von dem, der „zerschlagen wurde wegen unserer Missetaten“ (Jes 53, 5). „Da wandte sich der Herr um und blickte Petrus an… Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich“ (Lk 22, 61f.).
Das Gesicht des Petrus ist so dargestellt, dass wir hineinschauen können. Hineinschauen in das von Jesus angesehene Gesicht. Petrus bereut. Er geht hinaus und weint. Im Bild scheint nicht nur Petrus zu weinen. Es ist als stürzen Tränenbäche vom Himmel und strömen über die Fundamentplatte.
Sünde, Versagen, Verrat und Tränen sind aber nicht das Letzte. Petrus geht aus dieser Erfahrung als ein Verwandelter hervor. Er wird nicht mehr passen. Er wird sich stellen. Nach Pfingsten wird er mit Freimut und voll Eifer auftreten und Zeugnis ablegen für seinen Herrn und Meister. Er wird sich mit Leidenschaft einsetzen, missionarisch sein, die Kirche durch die ersten christlichen Jahre führen, bis er selbst in die Passion gerät und als Märtyrer sein Leben hingibt. Ob dies ohne die Erfahrung seiner dunkelsten Stunde möglich gewesen wäre?
In seinem 1. Brief schreibt Petrus: „Seid nüchtern und wachsam!“ (5, 8). Wachsamkeit, die im letzten Aufmerksamkeit, Hellhörigkeit für den Herrn ist, lebte bei Petrus nach Ostern – und kann auch bei mir nur leben – aus einer tiefen Liebe zum Herrn: „Herr, du weißt alles, du weißt auch, dass ich dich liebe!“ (Joh 21, 17)
Schauen wir noch einmal auf Petrus im Bild von Otto Dix. Es ist der Moment, in dem Petrus sich an das Wort erinnert, das Jesus ihm gesagt hatte: „Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Es ist als bräche alles auf in Petrus, als lehnte er sich kraftlos und gebrochen in seiner Schuld zurück, als fiele und fiele er. Am liebsten würde er wohl im Erdboden versinken, so sehr schämt er sich.
Und doch war er noch nie so umfangen vom Erbarmen Gottes. Jesus hat Petrus nicht fallen gelassen. Er hat ihn nicht verurteilt. Er hat ihn nicht verstoßen. Er hat ihm vergeben. Und er hat ihm einen neuen Anfang geschenkt. Und Petrus gewinnt die Kraft, wirklich zu können, was er Jesus versprochen hat, nämlich ihm überall hin zu folgen, und sei es in den Tod (Mk 14, 31).
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