Das
Bild hat zwei Hälften, eine dunkle und eine helle.
Rechts
unten im Dunkeln, in der Tiefe, eine Stadt.
Links
oben auf dem Hügel, im Hellen, zwei Kreuze.
In der
Bildmitte ein Mann mit einem Kreuz auf dem Rücken,
unterwegs vom Dunkel zum Licht, vor ihm ein Felsbrocken.
Der
Mann plagt sich. Die Last ist überschwer, für einen viel zu viel.
Sie
zwingt den Mann im karierten Hemd in die Knie, fast bricht er zusammen.
Auf
dem Längsbalken des Kreuzes sitzen vier Leute und haben es sich da oben
bequem gemacht.
Sie
wirken behäbig, zufrieden.
Sie
sitzen da, als würden sie spazieren getragen.
Da, wo
nach dem Gesetz des Hebels das Gewicht am schwersten lastet, sitzt ein
Pfarrer im langen Talar, ein Mann der Kirche, die Hände in den Schoß
gelegt.
Er
blickt uns als einziger an. Sein Gesichtsausdruck ist nicht genau zu
deuten. Er wirkt wie eine Maske.
Neben
dem Pfarrer ein Paar, abgewandt und ganz mit sich beschäftigt.
Sodann
ein Mann mit Hut, in eine Zeitung vertieft.
Der
Zeitungsleser, das Liebespaar, der Geistliche:
Wissen
diese Menschen auf dem Kreuz, dass sie getragen werden und dass sie zu
tragen geben?
Merken
sie, welche Last sie sind und welche Mühe sie verursachen?
Sie
tun nichts.
Sie
sitzen einfach nur da, bequem und unendlich gleichgültig.
Sie
hocken mit Abstand nebeneinander als hätten sie nichts miteinander zu
schaffen.
Sie
sehen sich nicht an.
Vor
allem sehen sie den nicht, der sie den Berg hinaufschleppt,
Sie
merken nicht wie er sich anstrengt, hören seinen keuchenden Atem nicht,
sein Ächzen und Stöhnen.
Sie
bedrücken und belasten ihn.
Man möchte ihnen zurufen: Absteigen!
Platz
machen für Leute, die es wirklich nötig haben, getragen zu werden!
Keiner
von ihnen macht Anstalten herunterzuspringen, um wenigstens die Last
leichter zu machen, geschweige denn zu helfen.
Ein
Simon von Cyrene, der das Kreuz tragen hilft, ist nirgends zu sehen.
Warum hilft niemand?
Die
Leute sehen alle nicht böswillig aus oder gar brutal.
Keiner
tut etwas Böses.
Sie
machen sich auch nicht lustig über die Quälerei:
Der
Pfarrer nicht. Er hat seine Hände in den Schoß gelegt.
Die
beiden in der Mitte nicht. Sie sind sich selbst genug.
Der
Mann, der sich informiert, ebenfalls nicht.
Sie
sind nur ungeheuer gleichgültig.
Sie
sehen nicht, dass einer leidet.
Sie
sehen einander nicht.
Sie
sind wie blind.
Ist
einer, der so ein Kreuz trägt, einer, der so viel auf sich nimmt oder
sich auch aufhalsen und aufbürden lässt, ist der nicht der Dumme?
Ist
der nicht viel zu gutmütig?
Und
wird Gutmütigkeit nicht immer wieder missbraucht und ausgenützt?
Wer
von uns war nicht schon einmal der Dumme?
Wessen
Gutmütigkeit wurde noch nie ausgenutzt?
Aber wer noch nie ausgenutzt wurde, hat der jemals etwas Gutes getan?
Und
vielleicht waren wir auch schon unter denen zu finden, die andere
tragen, ertragen, mitschleppen, ermutigen?
Bin
ich noch dabei oder bin ich ausgestiegen aus dem beschwerlichen
Geschäft?
Könnte
einer, der ein solches Kreuz trägt nicht auch einer sein, der bewusst in
die Bresche springt, der Verantwortung übernimmt und Lasten trägt, dabei
aber auch weitergeht und die Richtung bestimmt, der weiß, dass es ein
Ziel gibt?
Aber
sitzen wir nicht auch – zumindest dann und wann – breit und satt und mit
uns selbst beschäftigt oben auf dem Balken, auf den Schultern anderer?
Und
lassen es uns möglicherweise gut gehen auf Kosten anderer?
Doch
wer merkt es schon, wenn er anderen zur Last wird oder ihre Gutmütigkeit
ausnutzt?
Wahrscheinlich kennen wir beides:
die
Situation der Leute oben und die des Mannes unten,
tragen
und getragen werden,
anderen zu tragen geben und mittragen,
zur
Last fallen und Lasten tragen.
Wie
geht es mir in den unterschiedlichen Rollen?
Wie
geht es mir, wenn ich unten bin?
Wie
geht es mir, wenn ich oben bin?
Sie
kommen aus dem Dunkel. Die Sonne steht schwarz über der Stadt in der
Tiefe.
Doch
der Weg führt ins Licht. Dort, wo die beiden Kreuze auf der Höhe stehen,
ist es am hellsten.
Ob
denen auf dem Balken dort ein Licht aufgeht? Ob sie da sehend werden?
Der
Mann, der sie auf dem Kreuz hinaufschleppt, ist größer als sie.
Er
könnte es schaffen, den Gipfel zu erreichen.
Er
trägt seine Last freiwillig, ungezwungen.
Er
wirft das Kreuz mitsamt dieser gleichgültigen Gesellschaft nicht ab.
Er sagt nicht: „Rutscht mir doch alle den
Buckel herunter!“
Seine
Kraft scheint unerschöpflich,
seine
Geduld ohne Ende
und
seine Liebe unendlich belastbar.
Die
Liebe Christi ist größer als alle Schuld. Und sie ist durch nichts
umzubringen.
Er
kommt aus dem Dunkel heraus. Er geht ans Licht. Er trägt andere zum
Licht hin. Er kennt den Weg. Er ist auf dem Weg zur Höhe, zum Ziel.
Soll
das Ziel das Kreuz, das Tragen des Kreuzes sein?
Kreuztragen ist kein Selbstzweck. Er trägt das Kreuz um der Menschen
willen.
Die
Kirche – dargestellt durch den Pfarrer -, die sich liebenden oder auch
nicht liebenden Eheleute, die Singles und Alleinstehenden und alle
anderen Menschen, versinnbildlicht durch den Zeitungsleser, sie alle
sind vom Kreuz Christi getragen.
Der
Christus dieses Bildes ist gekleidet wie ein Mann von heute.
Er hat
ein kariertes Hemd an und eine Arbeiterhose.
Könnte
das bedeuten, dass auch wir aufgerufen sind, solche Kreuzträger wie er
zu werden?
Menschen, die das Versagen der anderen durch ihr Opfer, ihr Engagement
und ihre Hingabe ausgleichen?
Der
tschechische Grafiker Bohdan Pivonka hat diesen Linolschnitt 1962 einem
Urlaubsreisenden als Gruß eines Christen an die evangelische Jugend
Deutschlands mitgegeben.
Das Blatt trug den Titel: „Fürwahr, er trug
unsere Schuld.“
Wenn
man bedenkt, dass das Hemd des Kreuzträgers ein Stück weit die Form
eines Globus, also der Erde hat, dann bekommt dieses Bild noch einmal
eine weitere Dimension.
Nicht
nur, dass Christus die Schuld der Welt auf sich genommen und unsere
Sünden an seinem eigenen Leib getragen hat, wie es im 1. Petrusbrief
heißt, sondern Behäbigkeit und Gleichgültigkeit auf Kosten anderer,
Interesselosigkeit am Schicksal so vieler, die unten sind, erhalten eine
soziale, gesellschaftliche und weltweite Dimension. Die Welt schreit
nach Helfern und Rettern.
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