Dieses Bild hängt als
Altarbild in einer Kirche in Solingen. Es hat den Titel „Weihnacht“ und
stammt von dem
Künstler
Ulrich Martini aus Münster. Es ist eine Weihnachtsdarstellung ganz
eigener Art.
Viele Kirchenbesucher
haben sich schon darüber geärgert. Das Bild provoziert. Es stellt
Fragen. Und es stellt in Frage.
Der Künstler verlegt die
Szene der armen Geburt im Stall von Bethlehem in den tristen Hinterhof
einer Stadt hier und heute. Aber noch nicht einmal ein anständiger Ochse
steht an der Krippe.
Apropos Krippe – wo ist
die überhaupt? Auch die Hirten fehlen. Und die Engel. Aber Maria und
Josef sind
da
und das Kind, doch ganz anders als gewohnt.
Maria liegt auf einem
Strohlager am Boden einer schäbigen Hütte, einer wahren Bruchbude. Sie
schaut durch das offene Tor hinaus zu Josef. Dieser hält das in ein
weißes Tuch gehüllte Baby in seinen Armen. Den rechten Ärmel seines
Hemdes hat er hochgekrempelt, den linken Fuß auf einen Klappstuhl
gestellt, auf dem eine Plastikschüssel mit Wasser steht. Es sieht so
aus, als habe er das Kind gerade gebadet. Im Hof eine offene
Feuerstelle. Ein Handtuch liegt auf dem Boden, darauf ein halber Laib
Brot.
Neugierig schauen Kinder –
sommerlich gekleidet – zu. Ein kleinerer und größerer Junge stehen fast
andächtig hinter dem Feuer am Scheunentor und beobachten die Szene. Zwei
andere Kinder, ein Mädchen und ein Junge, klettern gerade auf die Mauer
und schauen von dort in den verwahrlosten Innenhof. Alles ist
unaufgeräumt, marode, heruntergekommen.
Vor der Mauer, links eine
belebte Straße, vielleicht ein Stück Fußgängerzone oder eine
Einkaufspassage. Hinten sind Kaufläden zu sehen, die Schaufenster einer
Metzgerei und eines Modegeschäftes. Auf dem flachen Dach der Metzgerei
steht ein Weihnachtsbaum. Ganz hinten die Hochhäuser einer Altstadt, eng
aneinandergebaut. Einige Fenster sind weihnachtlich geschmückt. Ob die,
die dahinter wohnen mit Weihnachten wirklich etwas am Hut haben? Von der
Spitze eines Stadtturms machen Menschen – vielleicht eine Blaskapelle
oder ein Posaunenchor – Musik.
Auf der Straße viele Leute
mit Geschenken bepackt. Ein Lieferwagen mit Christbäumen, die zum
Verkauf
angeboten
werden. Ein Mann mit einer Drehorgel, dem einige Kinder zuschauen oder
zuhören.
Im Vordergrund in der Nähe
einer Maueröffnung, die einen Durchblick und Zugang zum Hinterhof
gewähren würde, wird ein Foto gemacht von einem Nikolaus (oder ist es
der Weihnachtsmann?), einem Knecht Ruprecht (ein Verschnitt von Mönch
und Kinderschreck), der ein Kind hochhält, das zappelt und schreit,
daneben wohl der Vater des Kindes. Hier ist der Esel zu finden, der
sonst an der Krippe steht. Er streckt dem Geschehen hinter der
Maueröffnung im Innenhof den Hintern zu, während der Weihnachtsmann den
Kopf des Esels umarmt und streichelt.
Zeitlich gar nicht zum
Trubel vor Weihnachten passend ziehen hintereinander drei Sternsinger
daher. Auch sie haben nicht das Kind im Sinn. Sie gehen daran vorbei,
geschweige denn dass sie anbeten und Geschenke bringen. Der heiligen
Familie schenken sie keine Beachtung. Sie und alle anderen lassen
„Weihnachten“ gleichsam links liegen.
Noch weniger passt der
Wintersportler mit seiner Skiausrüstung ins Bild. Vielleicht will der
Künstler sagen: Weihnachten, das heißt für viele Ferien, Freizeit,
Urlaub, Wintersport. Was sich im Hinterhof abspielt, die Geburt Jesu,
gerät zum Nebenschauplatz oder gar zum störenden Anhängsel. Von ein paar
Kindern abgesehen, interessiert sich kein Mensch dafür.
Ich stelle mir vor, der
Weltkirchenrat und der Vatikan würden in einer gemeinsamen Aktion das
Christfest – sagen wir mal – auf den 6. Januar verlegen. Ich bin mir
sicher, vor dem 25. Dezember würden kein Tannenbaum und keine
Wunderkerze weniger umgesetzt.
Weihnachten läuft – auch
ohne das Kind.
Unerhört denken viele
angesichts des Altarbildes in der Kirche von Solingen. Doch nicht das
Bild von Ulrich Martini ist unerhört. Wie wir Weihnachten feiern und was
wir aus dem Fest gemacht haben, ist unerhört. Nicht das Bild ist
daneben, unsere Wirklichkeit ist daneben.
Muss man denn die
Geschehnisse der Heiligen Nacht unbedingt in die zeitgenössische
Hinterhofperspektive einer deutschen Großstadt übertragen? Ich denke man
darf und man muss, angesichts unserer von Jahr zu Jahr mehr überfeierten
und gleichzeitig entstellten und verblendeten Art Weihnachten zu feiern,
angesichts der Adventszeit, die eigentlich eine ruhige, stille,
besinnliche Zeit sein soll, aus der aber die Rennstrecke des Jahres
geworden ist mit viel Hektik und Stress und einem riesen Einkaufsrummel,
der hauptsächlich dem Kommerz dient.
Weihnachten war dann gut,
wenn das Geschäft gut war. Weihnachten muss herhalten, um
die Umsätze zu steigern. Doch „die Ware Weihnacht ist nicht die wahre
Weihnacht.“ (Kurt Marti)
Das Fest kann ausfallen,
wenn Christus nur in Bethlehem geboren worden ist und im Jahr Null und
nicht auch bei uns und nicht auch im Jahr 2021. Bei uns: in unseren
Städten, Häusern, Köpfen und Herzen.
In der Mitte des Bildes
einmal nicht Maria mit dem Kind, sondern der hemdsärmelige Josef als
junger Mann mit dem Meterstab des Schreiners in der Tasche, Josef, der
Handwerker, der sonst auf Weihnachtsdarstellungen oft eine Randfigur ist
und eher im Hintergrund steht.
Schön, wie er das Kind
schützend in seinen Armen hält, es liebend bei sich birgt und zärtlich
wiegt.
Schön, wie er es liebevoll
anschaut und ihm herzlich, väterlich zugetan ist.
Ein ganz anderer Josef wie
wir ihn kennen. Zu ihm hat Jesus auch und zuerst Abba = Papa gesagt.
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