geistliche Impulse

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Bildmeditation

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

„Weihnacht“

(Altarbild von Ulrich Martini)

 

Dieses Bild hängt als Altarbild in einer Kirche in Solingen. Es hat den Titel „Weihnacht“ und stammt von dem Künstler Ulrich Martini aus Münster. Es ist eine Weihnachtsdarstellung ganz eigener Art.

Viele Kirchenbesucher haben sich schon darüber geärgert. Das Bild provoziert. Es stellt Fragen. Und es stellt in Frage.

 

Der Künstler verlegt die Szene der armen Geburt im Stall von Bethlehem in den tristen Hinterhof einer Stadt hier und heute. Aber noch nicht einmal ein anständiger Ochse steht an der Krippe.

Apropos Krippe – wo ist die überhaupt? Auch die Hirten fehlen. Und die Engel. Aber Maria und Josef sind da und das Kind, doch ganz anders als gewohnt.

Maria liegt auf einem Strohlager am Boden einer schäbigen Hütte, einer wahren Bruchbude. Sie schaut durch das offene Tor hinaus zu Josef. Dieser hält das in ein weißes Tuch gehüllte Baby in seinen Armen. Den rechten Ärmel seines Hemdes hat er hochgekrempelt, den linken Fuß auf einen Klappstuhl gestellt, auf dem eine Plastikschüssel mit Wasser steht. Es sieht so aus, als habe er das Kind gerade gebadet. Im Hof eine offene Feuerstelle. Ein Handtuch liegt auf dem Boden, darauf ein halber Laib Brot.

 

Neugierig schauen Kinder – sommerlich gekleidet – zu. Ein kleinerer und größerer Junge stehen fast andächtig hinter dem Feuer am Scheunentor und beobachten die Szene. Zwei andere Kinder, ein Mädchen und ein Junge, klettern gerade auf die Mauer und schauen von dort in den verwahrlosten Innenhof. Alles ist unaufgeräumt, marode, heruntergekommen.

 

Vor der Mauer, links eine belebte Straße, vielleicht ein Stück Fußgängerzone oder eine Einkaufspassage. Hinten sind Kaufläden zu sehen, die Schaufenster einer Metzgerei und eines Modegeschäftes. Auf dem flachen Dach der Metzgerei steht ein Weihnachtsbaum. Ganz hinten die Hochhäuser einer Altstadt, eng aneinandergebaut. Einige Fenster sind weihnachtlich geschmückt. Ob die, die dahinter wohnen mit Weihnachten wirklich etwas am Hut haben? Von der Spitze eines Stadtturms machen Menschen – vielleicht eine Blaskapelle oder ein Posaunenchor – Musik.

 

Auf der Straße viele Leute mit Geschenken bepackt. Ein Lieferwagen mit Christbäumen, die zum Verkauf angeboten werden. Ein Mann mit einer Drehorgel, dem einige Kinder zuschauen oder zuhören.

 

Im Vordergrund in der Nähe einer Maueröffnung, die einen Durchblick und Zugang zum Hinterhof gewähren würde, wird ein Foto gemacht von einem Nikolaus (oder ist es der Weihnachtsmann?), einem Knecht Ruprecht (ein Verschnitt von Mönch und Kinderschreck), der ein Kind hochhält, das zappelt und schreit, daneben wohl der Vater des Kindes. Hier ist der Esel zu finden, der sonst an der Krippe steht. Er streckt dem Geschehen hinter der Maueröffnung im Innenhof den Hintern zu, während der Weihnachtsmann den Kopf des Esels umarmt und streichelt.

 

Zeitlich gar nicht zum Trubel vor Weihnachten passend ziehen hintereinander drei Sternsinger daher. Auch sie haben nicht das Kind im Sinn. Sie gehen daran vorbei, geschweige denn dass sie anbeten und Geschenke bringen. Der heiligen Familie schenken sie keine Beachtung. Sie und alle anderen lassen „Weihnachten“ gleichsam links liegen.

 

Noch weniger passt der Wintersportler mit seiner Skiausrüstung ins Bild. Vielleicht will der Künstler sagen: Weihnachten, das heißt für viele Ferien, Freizeit, Urlaub, Wintersport. Was sich im Hinterhof abspielt, die Geburt Jesu, gerät zum Nebenschauplatz oder gar zum störenden Anhängsel. Von ein paar Kindern abgesehen, interessiert sich kein Mensch dafür.

 

Ich stelle mir vor, der Weltkirchenrat und der Vatikan würden in einer gemeinsamen Aktion das Christfest – sagen wir mal – auf den 6. Januar verlegen. Ich bin mir sicher, vor dem 25. Dezember würden kein Tannenbaum und keine Wunderkerze weniger umgesetzt.

Weihnachten läuft – auch ohne das Kind.

 

Unerhört denken viele angesichts des Altarbildes in der Kirche von Solingen. Doch nicht das Bild von Ulrich Martini ist unerhört. Wie wir Weihnachten feiern und was wir aus dem Fest gemacht haben, ist unerhört. Nicht das Bild ist daneben, unsere Wirklichkeit ist daneben.

 

Muss man denn die Geschehnisse der Heiligen Nacht unbedingt in die zeitgenössische Hinterhofperspektive einer deutschen Großstadt übertragen? Ich denke man darf und man muss, angesichts unserer von Jahr zu Jahr mehr überfeierten und gleichzeitig entstellten und verblendeten Art Weihnachten zu feiern, angesichts der Adventszeit, die eigentlich eine ruhige, stille, besinnliche Zeit sein soll, aus der aber die Rennstrecke des Jahres geworden ist mit viel Hektik und Stress und einem riesen Einkaufsrummel, der hauptsächlich dem Kommerz dient.

Weihnachten war dann gut, wenn das Geschäft gut war. Weihnachten muss herhalten, um die Umsätze zu steigern. Doch „die Ware Weihnacht ist nicht die wahre Weihnacht.“ (Kurt Marti)

 

Das Fest kann ausfallen, wenn Christus nur in Bethlehem geboren worden ist und im Jahr Null und nicht auch bei uns und nicht auch im Jahr 2021. Bei uns: in unseren Städten, Häusern, Köpfen und Herzen.

 

In der Mitte des Bildes einmal nicht Maria mit dem Kind, sondern der hemdsärmelige Josef als junger Mann mit dem Meterstab des Schreiners in der Tasche, Josef, der Handwerker, der sonst auf Weihnachtsdarstellungen oft eine Randfigur ist und eher im Hintergrund steht.

 

Schön, wie er das Kind schützend in seinen Armen hält, es liebend bei sich birgt und zärtlich wiegt.

Schön, wie er es liebevoll anschaut und ihm herzlich, väterlich zugetan ist.

Ein ganz anderer Josef wie wir ihn kennen. Zu ihm hat Jesus auch und zuerst Abba = Papa gesagt.