Vorbemerkung
Die
Kölner Kirche St. Maria im Kapitol erhebt sich über den Fundamenten
eines römischen Tempels, der dem Jupiter Capitolinus geweiht war.
Das
Holzportal von St. Maria im Kapitol, stammt aus der Mitte des 11.
Jahrhunderts und zählt zu den bedeutendsten mittelalterlichen
Kunstwerken in Köln.
Sie
ist die letzte bildgeschmückte Holztür des Mittelalters, die nördlich
der Alpen erhalten geblieben ist.
Ein
einzigartiges Denkmal! (Heute steht die Tür im Innern der Kirche)
Jeder
der zwei schmalen 5 Meter hohen Türflügel hat 13 Bildtafeln. Sie sind in
Holz geschnitzt und waren ursprünglich farblich gestaltet. (Der
farbliche Glanz ist fast ganz verloren gegangen)
Alle
Szenen haben einen dichten Verkündigungscharakter. Die überaus
detailreiche bildliche Darstellung diente als Veranschaulichung der
biblischen Geschichte für die Bevölkerung, die größtenteils des Lesens
unkundig war.
Die
Bilder auf den Türflügeln zeigen das Leben Christi.
Der
linke Flügel ist der Kindheit und Jugend Christi gewidmet.
Der
rechte Flügel zeigt Szenen der Passion und Auferstehung.
Kunstvoll gestaltete Flechtbandmuster trennen die einzelnen Bildfelder.
Rankenornament bildet den äußeren Rahmen.
Bildbetrachtung
Die „Verkündigung an die Hirten“ gehört zu den besonders ausdrucksvollen
Bildtafeln der Holztür von St. Maria im Kapitol. Wie auf einer Miniatur
oder einem Buchdeckel ist die Darstellung eingerahmt.
Drei
Gestalten sind auf dem Bild zu sehen.
Aus
der rechten Ecke oben erscheint ein Engel, ein Bote Gottes.
Unten
stehen sich auf einem rampenartigen Vorsprung zwei männliche Gestalten
gegenüber,
eine
größere links und eine kleinere rechts.
Beide
stehen da wie gebannt,
wie
aus der Fassung gebracht,
wie
vom Blitz getroffen und aufgeschreckt.
Überraschung, Erstaunen und Betroffenheit prägt die Haltung, die Gestik,
den Gesichtsausdruck von beiden.
Es
handelt sich um zwei Hirten.
Sie
haben eine „umwerfende“ Erscheinung.
Sie
vernehmen eine unglaubliche Botschaft.
Was
sie sehen und hören, haut sie fast um.
Der
Größere fährt erschrocken zurück, stürzt fast hintüber und stützt sich
dabei auf einen dicken Stock. Er hat Mühe, sich auf den Beinen zu
halten. Seine Knie sind eingeknickt und seine linke Hand ist wehrlos
erhoben. Die Augen hat er voll Staunen weit aufgerissen. Der Mund ist
leicht, die Hand weit geöffnet.
Ebenso
fassungslos blickt der kleine Hirte empor.
Er ist
genauso überwältigt, sprachlos, hingerissen.
Sein
Kopf ist weit nach hinten geworfen. Vor lauter Hören und Staunen
scheinen ihm Mund und Nase offenzustehen. Auch seine Hand ist staunend
geöffnet. Zwischen seinen gespreizten Beinen kauert ein Hund, während
einige Ziegen oder Schafe am Strauch und am Boden nach Futter suchen.
Die Tiere wirken eher teilnahmslos, wie wenn sie von dem, was geschieht
nichts mitbekommen. Nur das Tier rechts bei dem kleinen Hirten reckt
sich hoch in Richtung der drei Hände und dem sich kelchartig nach oben
öffnenden Baum, der sich zwischen den beiden Hirten befindet.
Alles
an den beiden Hirten weist nach oben, zum Boten, zur Botschaft.
Sie
sind ganz Auge, ganz Ohr!
Der
„Gottesschrecken“ hat ihre Finger wie Antennen gespreizt. Sie fühlen
sich von einer überwältigenden Nachricht getroffen.
Der
Bote Gottes trägt Menschenantlitz und Menschenhände.
Die
eine Schwinge greift elegant und weit aus, bis hinüber zum anderen
Bildrand.
Die
andere Schwinge gleitet hinter der Schulter zurück.
Die
linke Hand umschließt eine Schriftrolle. Es könnte auch ein Zepter sein.
Die
Rechte ist in verkündigender Geste bedeutungsvoll ausgestreckt.
Geheimnis und Würde prägen das Antlitz des geflügelten Boten.
Eine
unfassbare Botschaft haben seine Lippen gerade verkündet.
Sein
Mund scheint noch zu beben vom verkündeten Wort.
Zieht
man durch die Köpfe der drei Gestalten eine Linie, so ergibt sich ein
Kreis.
Zieht
man durch die drei Hände eine Linie, dann ergibt sich ein kleinerer
Kreis: die Form einer Schale!
Das
Geheimnis der Weihnacht ist für uns die große Gabe Gottes.
„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen
einzigen Sohn hingab…“
(Joh 3,16) „Wie sollte er uns mit ihm nicht
alles schenken?“ (Röm 8,32)
Mit
den übergroßen Händen macht der Künstler allerdings auch deutlich:
das
Geschenk der Weihnacht ist unseren Händen anvertraut!
Wie
den Hirten bleibt uns nur die offene und gläubige Annahme der Botschaft
und als Antwort die offene und gläubige Hingabe. Empfangen und Geben!
Bedeutsam ist auch, dass es zwei Hirten sind, nicht nur einer.
In der
Bibel ist sogar von mehreren die Rede. Ein Hinweis darauf, dass
Glaubenserfahrungen meist zusammen mit anderen gemacht werden, dass
Glaube vor allem in Gemeinschaft geschieht.
Insgesamt handelt es sich bei diesem Bild um eine Momentaufnahme:
Übermittlung der Botschaft – erschreckendes Aufnehmen der Botschaft.
Bei
dieser Schreck-situation wird es aber nicht bleiben.
Gleich
werden die Hirten einander zurufen: „Auf, lasst uns nach Bethlehem
gehen!“
Und
sie werden sich „eilends“ – ohne Diskussion, ohne Rückfragen,
ohne Wenn und Aber – aufmachen und die Botschaft bestätigt finden.
Noch
etwas fällt auf: Die Dynamik des Verkündigungsgeschehens weist über das
Bild hinaus: die hinweisende Hand und der machtvoll deutende Flügel
sowie der aufbruchbereite, über den Rand gestellte Fuß des Hirten rechts
zeigen an, dass die verkündete und aufgenommene Botschaft in eine
Richtung drängt.
Als
Relief an einer Tür mahnt dieses Bild:
Die
christliche Botschaft muss immer wieder neu aus dem Kirchenraum heraus,
von
„innen“ her in die Welt hinaus, nach „draußen“ verkündet werden.
Die
Weihnachts-Botschaft ruft die Menschen auf, selbst wieder zu Boten zu
werden.
Die Hirten haben das verstanden. Wir sind aufgerufen, uns ihnen
anzuschließen gemäß dem alten Weihnachtslied: „Gehn
wir mit ihnen, Friede soll uns werden!“
Nachbemerkung
Der
Evangelist Lukas berichtet:
In
der Umgebung lagerten Hirten unter freiem Himmel und hielten Nachtwache
bei ihrer Herde. Auf einmal stand ein Engel des Herrn vor ihnen, und der
Glanz des Herrn umstrahlte sie. Da erschraken sie sehr. Der Engel aber
sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht! Denn ich verkünde euch eine große
Freude, die allem Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt
Davids der Retter geboren, Christus, der Herr.“
Die
Hirten von Bethlehem sind keine harmlosen Krippenfiguren. Ihr Stand ist
verachtet. Sie sind Entrechtete, ohne Zuhause, ohne Besitz,
Randexistenzen, Namenlose.
Mietlinge, die für Hungerlohn die Herden der Reichen bewachen. Sie
gehören zu den „Armen Israels“, die mehr als die „Frommen“
nach Erlösung verlangen.
Als
erste erfahren sie von der Geburt ihres Erlösers.
Wir
sind Zeugen ihrer Betroffenheit, ihrer Verwandlung.
Ihre
Erlösung hat schon begonnen.
„Eilends gingen sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in
einer Krippe lag.“
Da
werden sie selbst zu Boten.
Sie
verkünden, was ihnen der Engel von dem Kind gesagt hatte.
Die
Hirten glauben.
Dann
kehren sie zu ihren Herden zurück:
Gott
preisend und dankend.
Sie
quittieren nicht ihren Dienst, sondern kehren zurück in den Alltag, zu
ihrer Arbeit – aber zuinnerst verwandelt.
Gebet
Herr,
hat
mich deine „gute Nachricht“
auch
so getroffen und betroffen gemacht,
wie
die Hirten,
so
erschüttert und fast umgeworfen?
Hat
deine Botschaft mich,
wie
die Hirten,
zum
Boten, zur Botin gemacht?
Wie
und wo sage und trage ich
deine
Botschaft weiter?
Bin
ich Bote, Botin deiner Liebe?
Gibt
mein Leben Zeugnis von dir?
Herr,
lass
mich glauben wie die Hirten!
Gib
mir das Herz eines Armen!
Mach
mich zum Bruder, zur Schwester der Hirten!
Amen