geistliche Impulse

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Bildmeditation

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Verkündigung an die Hirten

(Bildmeditation zu einem Ausschnitt aus der Holztür von St. Maria im Kapitol, Köln, 1065)

 

 

Vorbemerkung

 

Die Kölner Kirche St. Maria im Kapitol erhebt sich über den Fundamenten eines römischen Tempels, der dem Jupiter Capitolinus geweiht war.

Das Holzportal von St. Maria im Kapitol, stammt aus der Mitte des 11. Jahrhunderts und zählt zu den bedeutendsten mittelalterlichen Kunstwerken in Köln.

Sie ist die letzte bildgeschmückte Holztür des Mittelalters, die nördlich der Alpen erhalten geblieben ist.

Ein einzigartiges Denkmal! (Heute steht die Tür im Innern der Kirche)

 

Jeder der zwei schmalen 5 Meter hohen Türflügel hat 13 Bildtafeln. Sie sind in Holz geschnitzt und waren ursprünglich farblich gestaltet. (Der farbliche Glanz ist fast ganz verloren gegangen)

 

Alle Szenen haben einen dichten Verkündigungscharakter. Die überaus detailreiche bildliche Darstellung diente als Veranschaulichung der biblischen Geschichte für die Bevölkerung, die größtenteils des Lesens unkundig war.

 

Die Bilder auf den Türflügeln zeigen das Leben Christi.

Der linke Flügel ist der Kindheit und Jugend Christi gewidmet.

Der rechte Flügel zeigt Szenen der Passion und Auferstehung.

Kunstvoll gestaltete Flechtbandmuster trennen die einzelnen Bildfelder. Rankenornament bildet den äußeren Rahmen.

 

Bildbetrachtung

 

Die „Verkündigung an die Hirten“ gehört zu den besonders ausdrucksvollen Bildtafeln der Holztür von St. Maria im Kapitol. Wie auf einer Miniatur oder einem Buchdeckel ist die Darstellung eingerahmt.

 

Drei Gestalten sind auf dem Bild zu sehen.

Aus der rechten Ecke oben erscheint ein Engel, ein Bote Gottes.

Unten stehen sich auf einem rampenartigen Vorsprung zwei männliche Gestalten gegenüber,

eine größere links und eine kleinere rechts.

 

Beide stehen da wie gebannt,

wie aus der Fassung gebracht,

wie vom Blitz getroffen und aufgeschreckt.

Überraschung, Erstaunen und Betroffenheit prägt die Haltung, die Gestik, den Gesichtsausdruck von beiden.

 

Es handelt sich um zwei Hirten.

Sie haben eine „umwerfende“ Erscheinung.

Sie vernehmen eine unglaubliche Botschaft.

Was sie sehen und hören, haut sie fast um.

 

Der Größere fährt erschrocken zurück, stürzt fast hintüber und stützt sich dabei auf einen dicken Stock. Er hat Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Seine Knie sind eingeknickt und seine linke Hand ist wehrlos erhoben. Die Augen hat er voll Staunen weit aufgerissen. Der Mund ist leicht, die Hand weit geöffnet.

 

Ebenso fassungslos blickt der kleine Hirte empor.

Er ist genauso überwältigt, sprachlos, hingerissen.

Sein Kopf ist weit nach hinten geworfen. Vor lauter Hören und Staunen scheinen ihm Mund und Nase offenzustehen. Auch seine Hand ist staunend geöffnet. Zwischen seinen gespreizten Beinen kauert ein Hund, während einige Ziegen oder Schafe am Strauch und am Boden nach Futter suchen. Die Tiere wirken eher teilnahmslos, wie wenn sie von dem, was geschieht nichts mitbekommen. Nur das Tier rechts bei dem kleinen Hirten reckt sich hoch in Richtung der drei Hände und dem sich kelchartig nach oben öffnenden Baum, der sich zwischen den beiden Hirten befindet.

 

Alles an den beiden Hirten weist nach oben, zum Boten, zur Botschaft.

Sie sind ganz Auge, ganz Ohr!

Der „Gottesschrecken“ hat ihre Finger wie Antennen gespreizt. Sie fühlen sich von einer überwältigenden Nachricht getroffen.

 

Der Bote Gottes trägt Menschenantlitz und Menschenhände.

Die eine Schwinge greift elegant und weit aus, bis hinüber zum anderen Bildrand.

Die andere Schwinge gleitet hinter der Schulter zurück.

Die linke Hand umschließt eine Schriftrolle. Es könnte auch ein Zepter sein.

Die Rechte ist in verkündigender Geste bedeutungsvoll ausgestreckt.

Geheimnis und Würde prägen das Antlitz des geflügelten Boten.

Eine unfassbare Botschaft haben seine Lippen gerade verkündet.

Sein Mund scheint noch zu beben vom verkündeten Wort.

 

Zieht man durch die Köpfe der drei Gestalten eine Linie, so ergibt sich ein Kreis.

Zieht man durch die drei Hände eine Linie, dann ergibt sich ein kleinerer Kreis: die Form einer Schale!

Das Geheimnis der Weihnacht ist für uns die große Gabe Gottes.

 

„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab…“ (Joh 3,16) „Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Röm 8,32)

 

Mit den übergroßen Händen macht der Künstler allerdings auch deutlich:

das Geschenk der Weihnacht ist unseren Händen anvertraut!

 

Wie den Hirten bleibt uns nur die offene und gläubige Annahme der Botschaft und als Antwort die offene und gläubige Hingabe. Empfangen und Geben!

 

Bedeutsam ist auch, dass es zwei Hirten sind, nicht nur einer.

In der Bibel ist sogar von mehreren die Rede. Ein Hinweis darauf, dass Glaubenserfahrungen meist zusammen mit anderen gemacht werden, dass Glaube vor allem in Gemeinschaft geschieht.

 

Insgesamt handelt es sich bei diesem Bild um eine Momentaufnahme:

Übermittlung der Botschaft – erschreckendes Aufnehmen der Botschaft.

Bei dieser Schreck-situation wird es aber nicht bleiben.

Gleich werden die Hirten einander zurufen: „Auf, lasst uns nach Bethlehem gehen!“

Und sie werden sich „eilends“ – ohne Diskussion, ohne Rückfragen, ohne Wenn und Aber – aufmachen und die Botschaft bestätigt finden.

Noch etwas fällt auf: Die Dynamik des Verkündigungsgeschehens weist über das Bild hinaus: die hinweisende Hand und der machtvoll deutende Flügel sowie der aufbruchbereite, über den Rand gestellte Fuß des Hirten rechts zeigen an, dass die verkündete und aufgenommene Botschaft in eine Richtung drängt.

 

Als Relief an einer Tür mahnt dieses Bild:

Die christliche Botschaft muss immer wieder neu aus dem Kirchenraum heraus,

von „innen“ her in die Welt hinaus, nach „draußen“ verkündet werden.

Die Weihnachts-Botschaft ruft die Menschen auf, selbst wieder zu Boten zu werden.

Die Hirten haben das verstanden. Wir sind aufgerufen, uns ihnen anzuschließen gemäß dem alten Weihnachtslied: „Gehn wir mit ihnen, Friede soll uns werden!“

 

Nachbemerkung

 

Der Evangelist Lukas berichtet:

In der Umgebung lagerten Hirten unter freiem Himmel und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Auf einmal stand ein Engel des Herrn vor ihnen, und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Da erschraken sie sehr. Der Engel aber sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht! Denn ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren, Christus, der Herr.“

 

Die Hirten von Bethlehem sind keine harmlosen Krippenfiguren. Ihr Stand ist verachtet. Sie sind Entrechtete, ohne Zuhause, ohne Besitz, Randexistenzen, Namenlose.

Mietlinge, die für Hungerlohn die Herden der Reichen bewachen. Sie gehören zu den „Armen Israels“, die mehr als die „Frommen“ nach Erlösung verlangen.

Als erste erfahren sie von der Geburt ihres Erlösers.

Wir sind Zeugen ihrer Betroffenheit, ihrer Verwandlung.

Ihre Erlösung hat schon begonnen.

 

„Eilends gingen sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in einer Krippe lag.“

Da werden sie selbst zu Boten.

Sie verkünden, was ihnen der Engel von dem Kind gesagt hatte.

Die Hirten glauben.

Dann kehren sie zu ihren Herden zurück:

Gott preisend und dankend.

Sie quittieren nicht ihren Dienst, sondern kehren zurück in den Alltag, zu ihrer Arbeit – aber zuinnerst verwandelt.

 

Gebet

 

Herr,

hat mich deine „gute Nachricht“

auch so getroffen und betroffen gemacht,

wie die Hirten,

so erschüttert und fast umgeworfen?

Hat deine Botschaft mich,

wie die Hirten,

zum Boten, zur Botin gemacht?

Wie und wo sage und trage ich

deine Botschaft weiter?

Bin ich Bote, Botin deiner Liebe?

Gibt mein Leben Zeugnis von dir?

Herr,

lass mich glauben wie die Hirten!

Gib mir das Herz eines Armen!

Mach mich zum Bruder, zur Schwester der Hirten!

 

Amen