„Effata - Öffne
dich!“ Ein wunderbares Wort.
Zu einem
Taubstummen hat Jesus das gesagt. Zu einem Menschen also, der auf eine
doppelte Weise verschlossen war:
Seine Ohren waren
zu. Er hörte nichts. Nie hörte er die Wellen vom See Genesareth, nie das
Zwitschern der Vögel, das Rauschen des Windes, das Lachen der Kinder
oder die Worte seiner Mutter.
Was
andere zu
ihm
sagten, er hörte es nicht.
Auch was andere untereinander
sagten, hörte er nicht.
Als tauber Mensch
lebte er in einem absoluten Schweigen.
Aber auch von
innen nach außen war die Tür für ihn zu.
Weil er nichts
hörte, hatte er auch nicht richtig sprechen gelernt.
Vor dem richtigen
Reden kommt das richtige Hören, denn im Hören liegt die Kraft zum Reden.
Wer richtig reden will, muss damit beginnen, richtig zu hören.
Der Mann war nicht
nur taub, sondern auch stumm. Was er fühlte, was er dachte, er konnte es
niemandem sagen.
Er sieht die Welt
und die Dinge, aber kann sie nicht benamen, kann weder fragen, noch
etwas erklären, noch Antwort geben.
Dazu kommt: Ein
solcher Mensch ist wie abgeschnitten vom Leben. Er lebt sehr isoliert,
einsam.
Da er weithin
ausgeschlossen ist von Begegnungen mit anderen Menschen, verkrampft ein
solcher Mensch allzu leicht seelisch in sich, schließt sich in sich
selbst ein.
Das mag mehr als
die äußeren Funktionsstörungen die eigentliche Not dieses Menschen
gewesen sein.
Jesus bewirkte,
dass diese doppelte Verschlossenheit sich öffnete.
Er sprengte die
Mauern, hinter denen ein solcher Mensch gefangen ist. Er löste ihn aus
seiner Isolation. Er gliederte ihn gleichsam wieder ein in die
Gemeinschaft.
Jesus heilte den
Menschen zur Beziehungsfähigkeit, zum Hören aufeinander und zum Reden
miteinander.
Damals war es ein
Taubstummer.
Aber das ist auch
unsere Geschichte.
Sind wir nicht
auch in gewisser Weise oft taub, auch wenn wir ganz gut hören, am besten
das, was wir nicht hören sollen und selbst wenn wir das Gras wachsen und
Flöhe husten hören?
Und stumm, auch
wenn wir ganz gut reden können und Tag für Tag viele Worte machen.
Manche reden ja wie ein Wasserfall.
Unsere Zeit
scheint mir eine Zeit großer Geschwätzigkeit zu sein.
Ich
weise nur auf die vielen Talkshows
hin. Aber wie einsam muss ein Mensch wohl geworden sein, dass ihm nichts
mehr übrig bleibt, als die Gespräche der anderen anzuschauen!
Der Mensch ist ein
dialogisches Wesen. Dialog heißt Gespräch: Ereignis des Wortes von einem
Menschen zum anderen, von Du zu Du. „Der Mensch wird am Du zum Ich“
(Buber). Der Mensch verwirklicht sich im Gespräch. Ohne Gespräch
verkümmert er.
Manchmal komme ich
mit Menschen ins Gespräch, deren Ehe nur noch auf dem Papier existiert
oder auch auseinander gegangen ist.
Eheberater wissen:
wenn Beziehungen scheitern, liegt es auch daran, dass die Partner „zu“
machen, nicht mehr einander zuhören und nicht mehr miteinander reden.
Sie sind nicht mehr aufmerksam füreinander. Sie teilen sich einander
nicht mehr mit. Sie geben nichts mehr preis von ihren Gedanken, von
ihren Wünschen, ja auch von ihrem Ärger oder ihren inneren Verletzungen.
Sie sind taub und stumm geworden. Sie schweigen aneinander vorbei. Und
das ist zermürbend und zerstört auf Dauer die Beziehung. Aus Gewohnheit
oder der Kinder wegen bleibt man noch zusammen. Aber eigentlich hat man
sich nichts mehr zu sagen. Eigentlich hassen sie sich vielleicht sogar
oder sind sich einfach unendlich gleichgültig geworden.
Nicht wahr, der
Taubstumme ist uns bekannt, sehr bekannt?
Das kann ich sein,
oder Sie oder du. Oder haben wir noch nie unsere Ohren auf Durchzug
gestellt, abgeschaltet, zu gemacht?
Wie leicht
passiert das, wenn jemand schon zum zwanzigsten Mal oder hundertsten Mal
die gleiche Geschichte erzählt.
Manchmal will ich
auch nichts mehr hören, will meine Ruhe haben, zieh mich zurück, mach
die Tür hinter mir zu, wenn ich z.B. müde bin oder mich geärgert habe.
Manchmal bin ich
auch nicht mehr offen für Ungewohntes, Neues, Überraschendes.
Ganz anders
Johannes XXIII.: Als er im Januar 1959 überraschend bekanntgab, er wolle
ein Weltkonzil einberufen, fragten manche im Vatikan erschrocken, was er
sich denn davon verspreche. Da öffnete – so wird berichtet – der Papst
ein Fenster und sagte: „Frische Luft!“
Und verschließ ich
mich nicht auch manchmal vor der Not des Mitmenschen, hör Notsignale
nicht, bin taub für versteckte Hilferufe?
Und gilt das nicht
auch für das Wort Gottes?
Im Effata-Ritus
bei der Taufe, wobei der Priester Ohren und Mund der Täuflinge berührt,
da erfleht die Kirche den Neugetauften die Gnade, Gottes Wort zu
vernehmen und es mutig zu bekennen.
Jesus tadelt seine
Jünger einmal: „Ohren habt ihr und hört nicht!“ Und mehr als
einmal ruft er: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“
„Das ist mein geliebter Sohn. Auf ihn sollt ihr hören!“
sagt die Stimme aus dem Himmel auf dem Tabor bei der Verklärung Jesu.
Wie gut können wir
uns auch bezüglich des Stummseins in dem Taubstummen wiederfinden.
Wie oft sind wir
stumm, wo wir reden sollten, stumm aus falscher Rücksicht, aus
Gedankenlosigkeit, vielleicht auch aus Feigheit oder aus Angst, uns zu
blamieren oder uns den Mund zu verbrennen, aus Angst, uns unbeliebt zu
machen oder in etwas hineingezogen zu werden.
Wie oft sind wir
auch stumm, wo wir uns zu unserem Glauben bekennen und Zeugnis ablegen
sollten. Jesus aber will Menschen, die von ihm sprechen und seine
Botschaft weitersagen.
Und gibt es nicht
auch eine Sprachlosigkeit im Gebet?
Offensein –
Verschlossensein.
Wir brauchen nur
darüber nachzudenken, dann merken wir, wie diese Spannung unser ganzes
Leben begleitet.
Wie gut tut es,
einem offenen Blick zu begegnen!
Wie gut tut es,
ein offenes Lachen zu hören!
Was kann ein
offenes Wort alles bewirken!
Nur eine offene
Hand kann trösten, streicheln, geben und empfangen.
Wir möchten alle
so gern offen sein. Aber wir sind nicht immer offen. Ich bin manchmal
gegen meinen Willen verschlossen. Wenn ich müde bin, wenn ich
überfordert bin, wenn ich unsicher bin, wenn ich verärgert bin – dann
kann es sein, dass ich mich verschließe.
Manchmal zeigt es
auch schon die äußere Haltung. Dann stehe einer da mit verschränkten
Armen und verkniffener Mine.
Wie gut könnte ich
es dann gebrauchen, wenn einer mir helfen würde, wenn einer mir sagen
würde: „Öffne dich!“
Wie gut, wenn ich
es dann fertig brächte, aus meiner inneren Verschlossenheit
herauszutreten und offen und transparent zu werden.
Es gibt so viele
Gründe verschlossen zu sein:
Ein
Mensch kann sich selbst
so fremd werden, dass er sich nicht mehr versteht und sich in seiner
Ratlosigkeit verschließt.
Einem Menschen können die
anderen
so fremd werden, dass ganz unbemerkt eine Wand von Teilnahmslosigkeit,
Gleichgültigkeit, Apathie entsteht, die ihn verschließt.
Ein Mensch kann so
enttäuscht sein, weil er nicht geliebt wird, dass er auch selbst nicht
mehr lieben kann und es auch nicht mehr will und sich verschließt in
seiner Verbitterung.
Ein Mensch kann so
verzagt sein wegen seiner Zukunft, wegen dem, was er leisten soll oder
zu leisten sich nicht zutraut, dass er sich verschließt hinter seinen
armen Sorgen.
Eine Trauer, eine
Trennung, der Verlust eines lieben Menschen, kann so verschlossen
machen, dass ein Mensch eine Zeitlang nicht mehr wahrnimmt, was um ihn
geschieht.
Eine Angst kann so
verschlossen machen, dass einer wie gelähmt ist.
Erlittenes Unrecht
kann verschlossen machen, benachteiligt und übergangen werden, nicht
ernst genommen werden...
Da fühlt sich eine
nicht mehr angesprochen und verstanden. Sie zieht sich zurück. Und es
schließen sich Türen, die von selbst so leicht nicht wieder aufgehen.
Da hat eine sich
geärgert oder fühlt sich gekränkt und keine hilft, das beizulegen.
Missstimmung, Verdruss, Eingeschnapptsein sind die Folgen. Verdruss, um
den sich keiner kümmert, macht Türen zu, auch die Türen zur
Gemeinschaft.
Da wird eine
ständig kritisiert, dauernd hackt jemand auf ihr herum. Gekränkt macht
sie die Türen zu.
Auch Neid und
Eifersucht machen leise und unauffällig Türen zu.
Das
alles ist gemeint mit „Effata
- Öffne dich!“
Nicht nur unsere
Ohren und unser Mund, nicht nur die Sinnesorgane sind gemeint, sondern
über das Körperliche hinaus die geistige und seelische Verschlossenheit.
Unser Herz ist gemeint!
„Effata
- Öffne dich!“
Es ist ein
befreiendes Wort.
Jesus lädt uns
ein, uns zu öffnen, uns zu öffnen für ihn, für sein Wort, für sein
Beispiel, für seine Gesinnung.
„Effata - Öffne
dich!“
Es ist auch ein
beunruhigendes Wort.
Beunruhigend wie
alles, was an den Nerv geht. Es gibt nämlich nicht nur die geheime
Sehnsucht, sich zu öffnen. Es gibt auch die geheime Angst, dass das
einem nicht gut bekommt.
Nach dem Motto:
Sag nie etwas Wesentliches, du könntest dich ja blamieren. Gib nichts
von deinem Innern preis, du könntest dich ja lächerlich machen und
verletzt werden. Sag nicht „ich“, sag „man“! Versteck dich
hinter der Allgemeinheit. Rede belanglos: vom Wetter, der Mode,
Kochrezepten, Fußball, Computer, Gesundheit, von allem möglichen
Unverfänglichem, nur nicht von dir selbst.
Will ich mich
überhaupt öffnen? Sich öffnen bedeutet Anstrengung, Risiko. Das geht
nicht ohne Unsicherheit. Wie jedes Wagnis.
So sind wir
manchmal seltsam geteilt. Wir spüren unsere Verschlossenheit und sind
unglücklich darüber, möchten gerne offen sein und trauen uns doch nicht
recht.
In so manchem
Seelsorgsgespräch habe ich erlebt, wie lange es dauern kann, bis einer
wirklich sagen kann, was ihn bewegt.
Es muss erst eine
Atmosphäre des Vertrauens wachsen.
Bei der Heilung
des Taubstummen schafft Jesus eine Basis und Atmosphäre des Vertrauens.
Jesus wendet sich
dem Taubstummen voll und ganz zu, in liebevoller Weise, in behutsamen
Gesten. Er fühlt sich ein. Er kommt ihm ganz nahe in zärtlichen
Berührungen.
Heilung geschieht
nicht distanziert, sondern in großer körperlicher Nähe, in äußerster
Intimität. Jesus widmet ihm seine ganze Aufmerksamkeit.
Der Taubstumme
erfährt ganz eindrücklich: Ich bin jemand. Ich bin Jesus wichtig. Er
fühlt sich ernst genommen, angenommen, wertgeschätzt!
Entscheidend ist
aber auch, dass Jesus, während er dem Taubstummen die Hände auflegt,
seinen Blick zum Himmel richtet. Damit macht er dem Taubstummen
deutlich, woher für ihn Hilfe und Heilung kommt.
Wie alle Heilungen
Jesu weist somit auch die Heilung des Taubstummen auf die Nähe Gottes
hin, die Heil und Heilung im umfassenden Sinn bringt und die in Jesus,
in seinen Worten und Taten erfahrbar ist.
Wir
können uns nichts Besseres wünschen, als dass Jesus auch in unser Leben
tritt, uns heilend berührt und uns das befreiende Wort sagt: „Effata - Öffne dich!“
Lass das Leben in
dich einströmen, für das du geschaffen bist und das ich, Jesus, dir im
Namen Gottes bringe!
„Effata
- Öffne dich!“
Lass dir von der Tiefe her Kräfte zuwachsen, die Gott in dich gelegt
hat!
Nehmen Sie diese
Heilungsgeschichte mit hinein in die kommenden Tage, in die kommende
Zeit!
Lassen sie sich
davon berühren!
Nehmen Sie sie mit
hinein in Ihre Arbeit, in Ihre Begegnungen, in Ihr Hören und Sprechen
den Tag über!
Achten Sie einmal
auf Ihr Hören und Sprechen, ob Sie wirklich mit dem Herzen hören und aus
dem Herzen heraus sprechen!
Nehmen sie einmal
wahr, wie es sich bei Ihnen verhält mit dem Sich-Öffnen und
Sich-Verschließen!
Üben Sie auch
immer wieder das Hören auf Gott, auf seine meist gar nicht
aufdringliche, sondern eher leise Stimme!
Es ist eine Kunst,
sie herauszuhören aus den vielen Worten und Stimmen, die täglich und
stündlich an uns heran und in uns eindringen.
Wie höre ich auf
Gott? Höre ich hin? Lasse ich mich treffen?
Oder wähle ich
aus? Lege mir zurecht, was mir passt? Schiebe fort, was unbequem ist?
Und achten Sie
auch einmal auf Ihr Sprechen!
Sind es Worte der
Liebe? Sind es Leben stiftende Worte?
Worte des
Mitgefühls, der Klarheit und Wahrheit?
Selbst bei einer
notwendigen Zurechtweisung macht noch der Ton die Musik!
Ist
es ein Sprechen mit
anderen oder mehr ein Sprechen über
andere? Rede dauernd nur ich oder kann ich auch zuhören?
Jesus will den
Dämon der Verschlossenheit auch aus unserem Leben austreiben. Er kann
und will uns heilen zum richtigen Hören und Reden.
Wenn wir bereit
sind, uns der Nähe, die Jesus schenkt, zu öffnen, kann auch an uns
Wunderbares, kann Heil und Heilung geschehen. Und wir können regelrecht
ins Staunen geraten wie die Menschen im Evangelium.
„Er hat alles gut
gemacht“ Das klingt wie ein neuer Schöpfungsmorgen.
Lied:
„Allen Menschen wird zuteil: Gottes Heil“
Blinde schaun zum
Licht empor, Stumme werden Hymnen singen, Tauben öffnet sich das Ohr,
wie ein Hirsch die Lahmen springen. „Allen Menschen wird zuteil: Gottes
Heil“
Zu dieser Textstelle im Neuen
Testament finden Sie auch eine Predigt
"23. So. - Durch
Berührung Heil und Heilung" zum 23. Sonntag im Lesejahr B.
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