„Man brachte einen Taubstummen zu Jesus und bat ihn, er möge ihn
berühren.“
Wo wurden
Sie in den letzten Tagen berührt?
Beim
Abschied von zu Hause?
Bei einer
Begrüßung, bei einem Wiedersehen?
Ein
herzlicher Händedruck, ein aufmunterndes Schulterklopfen, eine
liebevolle Umarmung?
Wir
können uns berührt fühlen durch Musik, ein Gedicht, eine Erzählung,
einen Blick, eine Landschaft, ein Abendrot, durch ein Bild, ein Wort…
Man
brachte einen Taubstummen zu Jesus und bat ihn, er möge ihn berühren.
Wo wurden
Sie heute innerlich berührt?
Was hat
Sie angesprochen? Wo haben Sie Betroffenheit gespürt?
Was ist
Ihnen so wichtig geworden, dass es Sie jetzt noch bewegt?
Die
Voraussetzung einer jeden Berührung ist Offenheit und Begegnung.
Berührung
geht nicht ohne Nähe. Ich muss jemanden oder etwas an mich herankommen
lassen.
Es
braucht Vertrautheit, Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Ehrfurcht.
Wie
heilsam sich Berührung auswirken kann, sehen wir immer wieder in der
Begegnung Jesu mit Menschen:
Zum
Beispiel: Jesu zärtlicher Umgang mit Kindern. Er lässt sie zu sich
kommen, er nimmt sie auf seine Arme, er segnet sie.
Immer
wieder wird berichtet, dass Jesus Kranke berührt, dass er sie ganz nah
an sich heranlässt, dass er ihnen die Hände auflegt:
Das
geschieht zum Beispiel bei der Heilung der Schwiegermutter des Petrus
oder der gekrümmten Frau. Im Augenblick der Berührung vermögen sich
beide aufzurichten.
Jesus
lässt sich auch berühren. Er hat keine Berührungsängste:
Zum
Beispiel von der Sünderin im Haus des Pharisäers Simon, die ihn salbt,
sich über seinen Füßen ausweint, sie küsst und mit ihren Haaren
trocknet.
Dem
Apostel Thomas hat Jesus gestattet seine Wundmale zu berühren.
Dadurch
kommt er seinem Nicht-Glauben-Können, seinen Zweifeln, seiner Skepsis
entgegen.
Oder
denken wir an die blutflüssige Frau, die Heilung erfährt, als sie auch
nur den Saum des Gewandes Jesu berührt.
Gerade
die Heilungsgeschichten zeigen, wie viel Lebensenergie Berührung
freisetzen kann und welche „Dynamik“ dabei in Gang kommt.
Berührung
kann Menschen neue Lebenskraft schenken: die Hand halten, jemanden in
den Arm nehmen, über den Kopf oder den Rücken streicheln.
All das
tut gut, all das tröstet und ermutigt, es ist helfend, heilend,
befreiend.
In den
Exerzitien möchte uns Gott berühren, möchte uns ganz nahe kommen. In der
stillen Zeit, im Gebet, bei der Meditation sind wir eingeladen, uns von
ihm berühren zu lassen durch einen Impuls, durch ein Wort, ein Symbol,
ein Bild.
Wie
spricht da Gott zu mir?
Höre ich
seine Stimme? Bin ich offen, wach, hellhörig?
Oder bin
ich zu, verschlossen, besetzt, taub, stumpf?
Jesus
möchte in diesen Tagen der Stille und der Meditation nicht nur meine
Ohren erreichen, sondern mein Innerstes, mein Herz.
Bin ich
bereit, mich auf ihn einzulassen?
Bin ich
bereit, ihn bei mir einzulassen, ihn aufzunehmen, ihn bei mir wohnen zu
lassen?
Auch im
Evangelium heute geschieht Heilung durch Berührung:
Zunächst nimmt Jesus den Taubstummen beiseite.
Er will
keine Zurschaustellung. Er nimmt ihn weg von der Menge, weg von den
Gaffern, weg vom Gerede, vom Geraune, dem Urteilen und Verurteilen.
Vielleicht will er ihn auch vor Neugier schützen.
Jedenfalls wendet sich Jesus ihm allein zu. Er hat jetzt Zeit für diesen
einen. Durch diese Sonderbehandlung erfährt der Taubstumme eindrücklich,
wie kostbar, wie wichtig er für Jesus ist. Er fühlt sich ernstgenommen,
angenommen, wertgeschätzt.
Jesus
nimmt den Taubstummen nicht nur von der Menge weg, sondern auch vom Lärm
und führt ihn in die Stille. Er will ihn zu sich selbst, zu seinem
wahren Wesen finden lassen.
Es
braucht Zeit und Raum, es braucht Stille und Schweigen, um zu sich
selbst zu finden. Darum sind Stille und Schweigen bei Exerzitien so
notwendig und heilsam.
In der
Stille erfahren wir, wie laut es in uns ist, wie viel Unruhe es in uns
gibt, wie viele Zwänge uns gefangen halten.
In der
Stille kann uns aufgehen, wie verschlossen, wie unerlöst wir sind, wie
sehr wir der heilsamen Berührung und des heilenden Wortes bedürfen.
In der
Stille erfahren wir, dass wir selbst im Grunde unseres Herzens jener
Taubstumme sind:
der Taube,
weil unser Herz vielleicht hart und eng geworden ist;
der Stumme,
weil wir bei all unserem Reden oft genug nichts Wesentliches zu sagen
haben. So vieles ist überflüssig und Geschwätz.
Je
nachhaltiger uns all das in der Stille bewusst wird, umso mehr wächst in
uns die Sehnsucht, Jesus zu begegnen und seine heilende Kraft zu spüren.
Es
braucht allerdings Zeit, viel Zeit und viel Raum, bis die vielen,
verschiedenen Stimmen im Innern zur Ruhe kommen:
die
Stimmen der Sorgen und Ängste, der Pflicht, der Vorurteile, des
Misstrauens, der Schuldgefühle und Minderwertigkeit.
Es
braucht viel Zeit bis die vielen äußeren Stimmen schweigen und die
innere Stimme, die Stimme der tiefen Sehnsucht gehört werden kann.
Das ist
die Chance der Exerzitien: Wie der Taubstumme mit Jesus allein sein,
seine heilende Nähe spüren, seine wohltuende Gegenwart wahrnehmen.
Dann
steckt Jesus dem Taubstummen die Finger in die Ohren:
Er
berührt ihn ganz konkret, handgreiflich, um zu lockern, was da starr und
festgefahren ist; um zu lindern, was schmerzt; um zu heilen, was
verwundet ist.
Jesus
legt seine Finger auf die wunde Stelle. Genau dort, wo jener Mensch
leidet, erfährt er durch die Berührung heilende Energien, die von Jesu
ausgehen: Wärme, Zärtlichkeit, Vertrauen.
In den
Exerzitien sind wir eingeladen, unsere Sorgen, unseren Schmerz, unser
Ängste, unsere wunden Stellen, unsere Verletzungen Gott hinzuhalten und
uns von ihm heilsam berühren zu lassen.
Der Mann
in unserer Heilungsgeschichte war taub. Jesus steckte ihm die Finger in
die Ohren.
In den
Exerzitien sind wir eingeladen, wirklich zu hören, das zu hören, was
Gott uns sagen möchte.
Ein Vater
hat mir erzählt, dass es ihm, wenn er am Computer arbeitet, wiederholt
passiert ist, dass er sein Kind nicht hört, wenn es ruft und schreit.
Wir sind
oft so mit uns selbst beschäftigt, dass wir überhören, wenn Gott uns
ruft.
Wir
müssen, statt nach außen zu hören, zuerst lernen, nach innen zu hören,
auf die leise Stimme Gottes in unserem Herzen, in seinem Wort, in den
Begegnungen mit den Menschen und in den Geschehnissen des Alltags.
Gott
spricht viel mehr als wir meinen!
Anschließend berührt Jesus die Zunge des Mannes mit Speichel.
Das kann
eine zärtliche Geste sein, fast wie ein Kuss.
Er kommt
ihm liebevoll nahe wie eine Mutter, die mit Speichel das Kind berührt,
um seine wunden Stellen zu heilen. Speichel galt in der Antike als sehr
heilkräftig. Jedenfalls geschieht auch bei dieser Geste Heilung in
körperlicher Nähe, in äußerster Intimität.
Der Mann
ist nicht nur taub. Er ist auch stumm, sprachlos. Es fehlen ihm die
Worte.
Reden
kann man nicht befehlen. Da muss erst eine Atmosphäre von Geborgenheit
und Angenommensein entstehen, bevor sich die Zunge lösen kann und einer
wirklich auszusprechen wagt, was ihn bewegt. Da muss erst Vertrauen
wachsen, dann kann die Wahrheit ins Wort kommen.
Dann
blickt Jesus zum Himmel auf.
Jesus
sieht die Not dieses Menschen und er wendet sich für den Kranken zum
Himmel, zum Vater. Er holt göttliche Kraft von oben für sein Tun.
Wenn
Jesus zum Himmel aufblickt, dann stellt er sich auch selber hinein in
den Raum, in den Urgrund seines eigenen Vertrauens. Er bindet sein
Handeln an den Willen und das Wirken Gottes zurück.
Jesus
möchte unseren Blick in den Exerzitien zum Himmel lenken.
Indem wir
in den Exerzitien Jesus auf neue Weise begegnen im Gebet, in der
Meditation, in der Stille, kann sich der Himmel über uns auftun. Und auf
einmal klären sich die Dinge, Leben ordnet sich, Wandlung geschieht,
Schweres wird leichter, Bitteres verliert seinen herben Geschmack, ins
Dunkel kommt Licht. Das Herz wird weit. Und auf einmal können wir
vielleicht wieder neu ja sagen zu unserem Leben. Und wir wissen: es ist
gut, wie es ist, denn Gott ist da. Er ist immer bei mir.
Als letztes seufzt Jesus. Er stöhnt auf.
Es ist
keine einfache Sache, einen verschlossenen Menschen zu öffnen, ihn zu
heilen. Seufzen, das meint eine Kraftanstrengung.
Jesus
kämpft um mich, damit ich mich wirklich für Gott entscheide, damit ich
frei werde von Fesseln, von falschen Abhängigkeiten, von verkehrten
Anhänglichkeiten und Neigungen, die dem gelebten Evangelium
widersprechen.
Jesus
kämpft um mich, damit ich ausbreche aus meinen inneren Gefangenschaften,
dass ich Gott wirklich einlasse in mein Leben.
Er kämpft
mit meiner Verschlossenheit, mit meinem Stummsein, mit meiner Taubheit,
dass ich mich mit allen Sinnen für Gott öffne.
Erst als
ohne Worte, nur durch Gesten, eine Brücke gebaut und ein Raum
vertrauender Nähe entstanden ist, kommt das erlösende und befreiende
Wort.
Jesus sagt zu dem Taubstummen:
„Effata - Öffne
dich!“
Es ist
wie ein Gebet, wenn Jesus dieses Wort spricht.
Die
Begegnung mit Jesus will all meine Sinne öffnen für Gott:
meine
Ohren, dass ich Gottes Stimme neu vernehme; meine Augen, damit sie in
allem Gott erkennen; meinen Tastsinn, damit ich in Sonne und Wind Gottes
zärtliche Liebe wahrnehme.
Und es
ist mehr noch als das Ohr und der Mund das Herz, dem auch bei den
Exerzitien das „Effata“ gilt.
Heilung
geschieht durch vertrauende Nähe.
Wenn wir
bereit sind, uns der Nähe, die Jesus schenkt, zu öffnen, kann auch an
uns Heil und Heilung geschehen.
Amen.
Zu dieser Textstelle im Neuen
Testament finden Sie auch einen Vortrag
"Effata - Öffne dich!"
unter der Rubrik Vorträge \ Neues Testament / Markus
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