Maria Magdalena gehört zu den
bekanntesten Frauengestalten im Neuen Testament.
Für mich ist sie auch eine der
faszinierendsten.
Jeder von uns hat eine bestimmte
Vorstellung von ihr, ein Bild.
Wer war Maria Magdalena?
Wenn man diese Frage stellt, bekommt man
die verschiedensten Antworten. Antworten, die allerdings das Ergebnis
einer langen und wirkmächtigen Tradition, Frömmigkeitsgeschichte und
Legendenbildung sind. Was hat man nicht in Theologie, Kunst, Dichtung,
in Romanen und Filmen alles aus ihr gemacht!
-
eine von Jesus bekehrte reiche
Prostituierte. (Bekehrte Prostituierte fanden sich im 13.
Jahrhundert im sogenannten „Magdalenenorden“ zusammen).
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eine reumütige Büßerin (als solche
auf vielen Gemälden dargestellt mit langem, aufgelöstem Haar, die
Hände ringend und über ihr früheres sündhaftes Leben weinend). Man
war im frühen Mittelalter sehr um das eigene Seelenheil besorgt.
Maria Magdalena wurde im Zuge der großen Bußbewegungen zum Vorbild
und zur Fürsprecherin für die sich durch und durch als sündhaft
empfindenden mittelalterlichen Menschen. Maria Magdalena war der
Inbegriff der verführerischen Frau und zugleich das Sinnbild, der
Prototyp für Umkehr und Buße.
-
Schließlich trug zur Verfestigung und
Ausmalung des Magdalenenbildes noch bei, dass sie mit Maria aus
Ägypten, der sog. Maria Aigyptiaka identifiziert wurde.
Wahrscheinlich hat die Namensgleichheit dazu geholfen. Jene Maria
lebte im 5. Jahrhundert, sie arbeitete in Alexandria als
Prostituierte, zog sich aber nach ihrer Bekehrung für den Rest ihres
Lebens als Büßerin und Eremitin in die Syrische Wüste östlich des
Jordan zurück.
Im Neuen Testament findet sich von all
dem nichts.
Dennoch sind die Wurzeln für das
verbreitete Magdalenenbild in einigen neutestamentlichen Texten zu
suchen:
-
die namenlose, stadtbekannte
Sünderin, die im Haus des Pharisäers Simon weinend an Jesus
herantritt, mit ihren Tränen seine Füße benetzt, sie mit ihren
Haaren trocknet, sie küsst, solange sie da ist und mit Öl salbt,
während der Gastgeber sich das anschaut und denkt, wenn der wüsste,
was für eine ist. In der kirchlichen Tradition (seit Papst Gregor d.
Großen) wurde Maria Magdalena mit dieser Sünderin in eins gesehen
und ihre Besessenheit durch „sieben Dämonen“ auf die sieben
Todsünden hingedeutet und besonders mit der sexuellen Sündhaftigkeit
der vermeintlichen Dirne gleichgesetzt. Im Johannesevangelium heißt
die Frau, die Jesus salbt, unglücklicherweise auch Maria. Fertig war
das Bild.
-
Eine weitere Folge für das allgemein
weit verbreitete Magdalenenbild kam zustande durch die
Identifikation der Maria Magdalena mit Maria von Betanien, der
Schwester der Marta. Marta hat alle Hände voll zu tun und ist ganz
mit der Bewirtung des hohen Gastes beschäftigt, während Maria zu
Füßen Jesu sitzt und nichts tut, bloß seinen Worten zuhört. Da kommt
es zum Konflikt. Doch Jesus ergreift Partei für die hörende Maria,
er verteidigt sie und erteilt der Marta eine Abfuhr. Aufgrund dieser
Geschichte wurde Marta stets als die aktive der beiden Schwestern
angesehen, Maria dagegen als die kontemplative, und beide wurden zu
regelrechten Typen stilisiert. Im Zuge der Identifikation der Maria
Magdalena mit Maria von Betanien erhielt daher auch Maria Magdalena
einen kontemplativen Zug. Als Büßerin habe sie sich
selbstverständlich in die Einsamkeit zurückgezogen und ein
beschauliches Leben geführt.
Von all diesen Verknüpfungen,
Verwechslungen und falschen Identifizierungen der Maria Magdalena mit
anderen Personen müssen wir Abschied nehmen. Sie sind
bibelwissenschaftlich nicht haltbar. Im Neuen Testament gibt es dafür
keine Anhaltspunkte.
„Maria“
war zurzeit Jesu ein Allerweltsname, ein Modename.
Eine prominente Frau, die erste Frau des
Königs Herodes, hatte so geheißen.
Im Neuen Testament ist, abgesehen von der
Mutter Jesu, von mehreren Marien die Rede. Anscheinend hat schon der
Evangelist Matthäus nicht mehr richtig durchgeblickt. In seiner
Erzählung vom Ostermorgen schreibt er ganz einfach: „…gingen Maria
Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.“ Die andere
Maria!
Doch auch wenn man nicht so recht klar
kam mit den diversen Marien und ihren Rollen, eines spürt man deutlich:
Maria von Magdala hat großen Eindruck gemacht und wurde für sehr wichtig
gehalten.
Vielleicht hat sie gerade deshalb wie ein
Magnet manche andere vage und namenlose neutestamentliche Frauengestalt
angezogen und auf sich vereinigt. Die Faszination war so groß, die von
ihr ausging, dass auch die kirchliche Tradition und
Frömmigkeitsgeschichte fast instinktiv andere Frauenschicksale in sie
hineinprojiziert hat. Schnell und allzu leicht wurde sie mit anderen
Frauen identifiziert.
Das Bild der Maria Magdalena ist wie mit
einem alten Fotoapparat aufgenommen. Bei den alten Fotoapparaten gab es
noch keine automatischen Sperren. Da konnte es passieren, dass man nicht
weitergedreht hat. Ergebnis: mehrere Bilder waren übereinander.
So ähnlich ist es Maria Magdala ergangen.
Wir müssen also genau hinschauen, sortieren, um das ursprüngliche Bild
herauszufiltern.
Schon wenn man sie Maria Magdalena nennt,
wie ich es bisher getan habe, ist man auf einem Holzweg. Denn ihr Name
ist eigentlich von Haus aus kein Doppelname. „Magdalena“ heißt
eigentlich: die Magdalenerin, nämlich die Frau aus Magdala. Dadurch wird
ihre Herkunft bezeichnet. Maria stammte aus einer kleinen Stadt in
Galiläa am Westufer des Sees Genezareth namens Magdala.
Die richtige Benennung ist daher: Maria
von Magdala.
Versuchen wir nun, dieser Maria von
Magdala etwas näher zu kommen.
Was wissen wir von dieser Frau? Was
sagt uns das Neue Testament?
Maria von Magdala ist neben der Mutter
Jesu die historisch bestbezeugte Frauengestalt in der Anhängerschaft
Jesu. Sie wird so oft genannt wie keine andere Frau.
Wir wissen, dass Jesus
1. sieben Dämonen aus ihr ausgetrieben
hat, dass sie sich
2. Jesus angeschlossen hat und zu seinem
engsten Jüngerkreis gehörte, dass sie
3. mit ihm nach Jerusalem hinaufzog, dass
sie
4. bei der Kreuzigung Jesu dabei war,
ebenso
5. bei seiner Grablegung und
6. dass Jesus als erster ihr am
Ostermorgen erschien.
Im Zusammenhang von Nachfolge,
Kreuzigung, Begräbnis und Auferstehung stößt man in den drei ersten
Evangelien auf Namenslisten, in denen jeweils mehrere Frauen aufgezählt
werden: Lk 8, 1 - 3; Mk 15, 40 - 41; Mk 15, 47; Mk 16, 1; Lk 24, 10f.
Trotz einiger Differenzen stimmen alle
Namenslisten in einem Punkt überein:
1. Maria
von Magdala wird als einzige Frau immer genannt.
Offenbar war sie wie keine andere der
Nachfolgerinnen Jesu in der Urchristenheit bekannt, so dass ihr Name
keinesfalls beliebig übergangen oder durch andere ausgetauscht
werden konnte.
2. Maria von Magdala steht in den
Namenslisten immer an erster Stelle.
Da aber die Reihenfolge etwas über
die Bedeutung der Genannten aussagt, können wir folgern, dass Maria
von Magdala unter der Anhängerschaft Jesu eine hervorragende
Persönlichkeit von erstem Rang darstellte und als solche in der
Urchristenheit, in der diese Listen geformt und weitergegeben
wurden, höchst geachtet gewesen sein musste.
Ihre besondere Nähe zu Jesu ist
begründet in ihrer Heilung.
Ihre Heilung ist gleichzeitig auch
ihre Berufung.
Von den Frauen, die mit Jesus zogen wird
berichtet, dass er sie von Krankheiten und Dämonen befreit hat. Sie
galten in damaliger Zeit als Opfer von bösen Geistern, von gefährlichen,
den Menschen versklavenden, beherrschenden und quälenden Mächten. Wer
ihnen verfiel, so glaubte man, werde von ihnen besetzt gehalten und
dadurch unfähig, menschlich zu leben: stumm, taub, blind, selbstzerstörerisch, kontakt- und beziehungsunfähig, geängstigt und
verzweifelt, eine Schreck- und Jammergestalt.
Neben den andern Frauen begegnet auch
Maria als psychisch Kranke Jesus. Nur von Maria von Magdala wird gesagt,
Jesus habe sieben Dämonen aus ihr ausgetrieben, die ihr zerstörerisches
Werk mit ihr trieben.
Maria war also ein besonders schwer
leidender, seelisch kranker und geplagter Mensch, gefangen von
seelischen Zwängen und Fesseln, vielleicht auch Süchten, umgetrieben von
bösen Kräften.
Niemand konnte ihr helfen. Es war ein
ganz und gar menschenunwürdiges Leben.
Jesus hat sie geheilt und von ihren
Gebrechen und der damit verbundenen Isolation befreit.
Jesus hat ihr mit der Heilung ein volles
menschliches Leben ermöglicht und ihr die Menschenwürde zurückgegeben.
Die Begegnung mit Jesus hat ihr Leben
völlig verändert.
Leider besitzen wir keine Geschichte von
ihrer Heilung.
Aber wir wissen von vielen anderen
Austreibungserzählungen, dass Jesus solcherart gemiedene und vereinsamte
Menschen an sich herangelassen hat, dass er sich nicht scheute, ihnen
nahe zu kommen, sie anzurühren oder sich von ihnen berühren zu lassen.
Es gibt Heilungserzählungen, wo Jesus
nach dem Namen und Wesen des „unreinen Geistes“ fragt, also Kontakt
aufnimmt mit dem abgespaltenen Seeleninhalt.
Jesus erweist sich dabei stets als der
Stärkere, der dem Dämon die Grenzen seiner Macht zeigt, ja, ihm
regelrecht den Mund verbietet.
Die Nähe Jesu vertreibt die Bosheit der
Triebkraft. Der Mensch wird seiner selbst wieder mächtig, wird
gemeinschaftsfähig und verlangt nicht selten bei seinem Befreier bleiben
zu dürfen.
Wir wissen nicht, von welcher Art die
Besessenheit Marias war.
Auf die Frage jedoch, was sie Jesus
verdankt, kann sie nur sagen: alles. Er hat ihr gleichsam das Leben noch
einmal geschenkt.
Auch den anderen Jüngern hat Jesus viel
bedeutet.
Er hat sie von den Booten, den
Fischernetzen oder von der Zollstätte weggerufen und sie sind ihm
gefolgt.
Aber bei Maria von Magdala war es eben
noch etwas anderes. Ihre Berufung ist mit der Heilung ihrer schwer
kranken Seele verbunden.
So verwundert es einem nicht, dass sie
Jesus gegenüber eine besonders große Dankbarkeit empfand, dass sie ihm
eine besonders große Verehrung entgegenbrachte und eine besondere ganz
einzigartige Zuneigung und Liebe.
Für die jüdische Öffentlichkeit mag es
gewiss anstößig gewesen sein, dass Jesus Frauen mitnahm und mit ihm
ziehen ließ.
Für die betreffenden Frauen, und
besonders für Maria von Magdala bedeutete es eine ganz neue und
beglückende Erfahrung.
Sie erfuhren als Frauen die gleiche
Anerkennung von Jesus wie die Männer. Sie wurden wie die Apostel
Zeuginnen seines gesamten Heilswirkens, seiner Zuwendung zu den
Verachteten, den Armen, den Kindern, den öffentlich Geächteten, auch
Zeuginnen seiner Wunder und Heilungen, aufmerksame Hörerinnen seiner
Gleichnisse und Reden, seiner Botschaft von der in ihm und mit ihm
anbrechenden Gottesherrschaft.
Wir wissen nicht, ob Maria von Magdala
bei ihrer Begegnung mit Jesus eine jüngere oder ältere Frau war; nicht,
ob sie verheiratet oder etwa verwitwet war; nicht, woher sie „und viele
andere“ ihre Freiheit nahmen, mit Jesus zu ziehen.
Immerhin wird gesagt, dass sie Vermögen
hatten.
Hatten sie ein großes Hauswesen, dass sie
es sich leisten konnten, alle Sorge einem Verwalter anzuvertrauen?
Verließen sie auf ihrem Nachfolgeweg um
der Gottesherrschaft willen „alles“ wie die Zwölf?
Was wir über Maria und ihre Gefährtinnen
erfahren, ist, dass sie um den Lebensunterhalt Jesu und der mit ihm
ziehenden Gruppe besorgt waren.
Der Lukastext im 8. Kapitel spricht von
einer Diakonie der Frauen. Es ist nicht zuletzt ihnen zu verdanken, dass
Jesus die Erfahrung machen durfte, dass dem, der „zuerst nach der
Herrschaft Gottes trachtet, alles übrige dazugegeben wird“ (Mt
6, 33).
Maria von Magdala unter dem Kreuz
Die synoptischen Evangelien nennen Maria
von Magdala als erste unter den Frauen, die bei der Kreuzigung dabei
waren.
Nur der vierte Evangelist ordnet sie
Maria, der Mutter Jesu und einigen Verwandten nach (Joh 19, 25).
Die Jüngerschaft der Magdalenerin hörte
mit der Verhaftung Jesu nicht auf. Ihre Nachfolge endete nicht in einer
Flucht. Maria von Magdala geht den Weg des geliebten Meisters bis zum
Ende mit.
Die Evangelisten sprechen von einem
„Mitnachfolgen“ und einem „Mithinaufziehen“ der Frauen (Lk 23, 49).
Den Schmerz der Mutter Jesu bedenkt die
Liturgie im Stabat Mater. Wer bedenkt den Schmerz der Frau aus Magdala?
Scheint nicht alles, was sie erlebte, wie
in einer schaurigen Weise rückgängig gemacht? Ihr Befreier aus Fesseln
und Qualen selbst gebunden, entehrt, geschändet, grausam angeheftet,
hilflos sterbend.
Kein Wunder am Kreuz! Vom Himmel her kein
Laut, kein Eingreifen, keine Rettung, kein Trost!
Ist nicht das Reich der Dämonen
übermächtig zurückgekehrt, um dem „Stärkeren“ zu höhnen, ihm seine Beute
wieder abzujagen?
Der tiefen Krise ihres früheren Lebens
hat Jesus sie entrissen.
Nun erhält sie Anteil an seiner Krise,
der abgründigen Verlassenheit, in der er zu versinken droht mit einem
letzten Schrei.
Maria von Magdala beim Begräbnis Jesu
Wiederum nennt das Markusevangelium Maria
als erste von zwei Frauen, die beim Begräbnis Jesu zugegen waren und die
„sahen, wo er hingelegt wurde“ (Mk 15, 47).
Das Lukasevangelium erweitert die Angabe
um die „Frauen, die mit ihm aus Galiläa gekommen waren und das Grab
anschauten und wie sein Leichnam beigesetzt wurde“ (Lk 23, 55).
Das Johannesevangelium erwähnt im
Zusammenhang des Begräbnisses Jesu überhaupt keine Frau, auch keinen
Jünger, nur Josef von Arimatäa und Nikodemus.
Matthäus berichtet, dass nach der
Verschließung des Grabes mit einem Rollstein „Maria von Magdala und
die andere Maria dem Grab gegenübersaßen“.
Schwacher Trost ist die Nähe des
Todesleibes, der die geliebten Züge trägt. Wer ermisst die Tiefe des
Schmerzes und der Gottesfinsternis bei Maria von Magdala in dieser
Nacht, die den Ostersabbat einleitet?
Mutige Zeuginnen von Jesu Kreuzestod
und Begräbnis
Was Maria von Magdala und die anderen
Frauen getan haben, versteht man erst, wenn man die Politik des
Römischen Reiches gegen alle, die als aufständisch galten, begreift.
Die Kreuzigung eines Menschen hatte
schwere Konsequenzen für alle Verwandten und Freunde. Die Kriminaljustiz
bestimmte, dass ein gekreuzigter Verbrecher – zur Abschreckung – am
Kreuz hängen bleiben sollte, bis die Tiere seinen Leichnam gefressen
hatten.
Die Verweigerung der Bestattung war ein
Teil der Strafe, die auch Freunde und Verwandte oder wie in Jesu Fall,
Anhänger treffen sollte. Deswegen wurden gekreuzigte Leichname von
römischen Soldaten bewacht, damit niemand sie stehlen könnte.
Wie die Bestattung so war auch die Trauer
verboten.
Menschen, die über den Tod eines
Hingerichteten öffentlich weinten, wurden selbst hingerichtet.
Tacitus schreibt über die
Massenhinrichtungen unter Tiberius: „Weder Verwandten noch Freunden
wurde es vergönnt, heranzutreten, sie zu beweinen, ja nicht einmal sie
länger zu betrachten.“
Jedes verhalten, das Nähe zu dem
Gekreuzigten ausdrückte, konnte dazu führen, selber gekreuzigt zu
werden.
Das Verhalten der Frauen bei der
Kreuzigung Jesu und seinem Begräbnis entspricht dieser Realität: Sie
standen „von ferne“ dabei (Mk 15, 40), sie versuchten unerkannt zu
bleiben, nahmen aber trotzdem ein Risiko auf sich.
Dass sie Frauen waren bedeutet keinen
Schutz, auch Frauen und Kinder wurden gekreuzigt.
Auch zum Grab zu gehen war gefährlich.
Die Römer befürchteten, dass die Gräber hingerichteter Gegner des Reichs
zur Wallfahrtsstätte von Gesinnungsgenossen und Sammelpunkt
konspiratorischer Elemente würden.
Maria von Magdala und die anderen Frauen
machten sich ganz bewusst zu Zeugen, wenn auch mit Vorsicht.
Wenn sie am Ostermorgen gesehen und
angezeigt worden, hätte es ihr Leben kosten können.
Immerhin saßen die männlichen Jünger zur
Zeit des Grabbesuchs und der Salbung noch in ihrem Versteck in Jerusalem
und hatten vor Angst die Türen verschlossen.
Osterzeuginnen
„Als der Sabbat vorüber war,
kauften Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome
wohlriechende Öle, um damit zum Grab zu gehen und Jesus zu salben“
(Mk 16, 1).
Wir finden hier drei Frauen „am ersten
Wochentag, sehr früh, bei Sonnenaufgang“ auf dem Weg zur Grabstätte.
Wiederum wird Maria aus Magdala als erste
genannt.
Matthäus kennt nur zwei von ihnen; Lukas
nennt die ganze galiläische Gruppe.
Sie haben von Jesus Heil erfahren, sie
haben ihr Leben ganz auf ihn ausgerichtet. – Dann aber kam es in
Jerusalem zur Katastrophe. Jesu Weg endete am Kreuz. Und die Hoffnung,
die Zukunft seiner Jünger und Jüngerinnen ebenfalls. Alles, worauf sie
gesetzt hatten: aus und vorbei.
Es muss unendlich schwer gewesen sein,
von Jesus Abschied zu nehmen – und von dem Lebensinhalt, der sich mit
ihm verband.
Als die Frauen am frühen Morgen zum Grab
aufbrechen, wollen sie noch einmal den toten Rabbi sehen, den Schmerz
zulassen und die Hoffnung beweinen, die mit ihm im Grab ruht. Und sie
wollen ihrem Herrn eine letzte Ehre erweisen, tun, wofür am Karfreitag
keine Zeit mehr war, ihn salben, ihn mit Anstand und Würde endgültig
unter die Erde bringen. einbalsamieren, was von der Zeit mit Jesus
übrigblieb. – Und dann gehen. Zurück ins alte Leben, die Erinnerung
wohlgehütet im Herzen. Wie ein Grabstein, den man dann und wann
aufsucht, um dem Toten und der gemeinsamen Vergangenheit nahe zu sein.
Blankes Entsetzen und Erschrecken packt
jedoch die Frauen, als sich das Grab offen und leer sehen. Nun ist auch
noch sein Leichnam weg, der geliebten Züge trägt und den zu salben sie
gekommen waren.
Doch im Abgrund menschlicher Verzweiflung
steht schon der Engel bereit, das Gotteswort zu sagen.
Er versucht die Erstarrung der Frauen zu
lösen: „Entsetzt euch nicht!“
Und dann spricht er sie an: „Jesus
sucht ihr, den Nazarener, den Gekreuzigten!“
Das ist in der Tat das „Suchen“ der
Frauen. Einen Toten wollen sie ehren, ihren schmachvoll hingerichteten
Herrn. Unfähig scheinen sie, darüber hinaus etwas zu denken oder zu
wünschen. Kein Gedanke an so was wie Auferstehung.
Doch der Engel offenbart ihnen, dass Gott
an Jesus, seinem Sohn, machtvoll gehandelt hat, dass er ihn dem Tod
entrissen und zu neuem Leben erweckt hat.
„Er wurde auferweckt“,
so lautet die Botschaft.
Das leere Grab ist dafür nur ein Zeichen!
„Nun aber geht“,
sagt der Engel, „und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht
euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch
gesagt hat“ (Mk 16, 7).
Was für eine Botschaft! Gott erweckt
mitten aus dem Grab neues Leben!
Und die Reaktion der Frauen?
„Da verließen sie das Grab und
flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatten sie gepackt. Und sie sagten
niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich“
(Mk 16, 8).
Die Reaktion der Frauen: nicht Freude und
Jubel, nicht Euphorie und Begeisterung, sondern blankes Entsetzen
Markus erzählt uns kein Happy End.
Zunächst ist die Frohbotschaft von der
Erweckung Jesu für die Frauen nur irritieren, verwirrend. Sie erweckt
nicht einfach helle Freude, sondern jagt Schrecken ein, sie verschlägt
die Sprache.
Die Botschaft schlägt die Frauen in die
Flucht. So sagt Markus.
Anders als Markus lassen die beiden
Evangelisten Matthäus und Lukas die Frauen sofort zu den Jüngern eilen,
allerdings mit unterschiedlichem Erfolg.
Nach Lukas halten die Jünger die
Osterbotschaft der Frauen für Geschwätz. Das griechische Wort, das der
Evangelist verwendet, bedeutet so viel wie „Blabla“!
Nach Matthäus erleben die Frauen
unterwegs die erste Ostererscheinung. Sie begegnen Jesus. Und die Jünger
gehen auf ihr Geheiß nach Galiläa. Dorthin, wo alles anfing mit Jesus
und mit ihnen, dorthin, wo sie zuhause sind.
Wir können dem neuen Leben begegnen: in
Galiläa, da, wo wir zuhause sind, in unserem Alltag. Jesus will mit uns
Auferstehung teilen, da wo wir leben. Er tritt in unser Leben ein, wo
wir es zulassen. Er spricht zu uns in seinem Wort. Er ruft uns beim
Namen. Er spricht uns den Frieden zu. Er richtet auf und befreit.
Er schenkt sich uns im Brot des Lebens.
Er begegnet uns im Bruder, in der Schwester. Er fängt mit uns immer
wieder neu an. Er will sein Leben mit uns leben. Er schenkt uns neues
Leben.
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