„Santo subito“ – „sofort heilig“,
so erschallten Rufe und so zeigten es Transparente auf dem Petersplatz
nach dem Tod von Papst Johannes Paul II.
Der
Wojtyla-Papst aus Polen wird nun zusammen mit Papst Johannes XXIII. am
2. Ostersonntag heiliggesprochen, zwar nicht „subito – sofort“,
aber nach einem ordnungsgemäßen Prozess doch außergewöhnlich schnell,
bereits nach neun Jahren.
Dabei
geht es nicht um Personenkult. Heilige zeichnen sich ja gerade dadurch
aus, dass sie von sich weg auf eine ganz andere Wirklichkeit verweisen.
Ein Heiliger ist durchlässig für das Mysterium des Göttlichen.
27 Jahre
lang, fast eine ganze Generation, von 1978 bis 2005, war Johannes Paul
II. das Oberhaupt und Gesicht der katholischen Kirche. Er hat die Kirche
ins dritte Jahrtausend geführt. Er hat eine ganze Epoche geprägt und
Weltgeschichte geschrieben. Dabei war das Ziel dieses Papstes nie, in
die Geschichtsbücher einzugehen. Ihm ging es um etwas ganz anderes,
nämlich um das Heil der Menschen durch die befreiende Botschaft des
Evangeliums.
Liebe
Schwestern und Brüder!
Es ist
unmöglich der ganzen Wucht und dem ganzen Reichtum dieses in jeder
Hinsicht überwältigenden Pontifikats in einer Predigt gerecht zu werden.
Ich will das auch gar nicht versuchen. Es seien nur einige Linien
aufgezeigt und die wichtigsten Aspekte seines Lebens und Wirkens als
Papst hervorgehoben.
Der erste
Pole auf dem Stuhl Petri – und der erste Nicht-Italiener seit 455 Jahren
– führte einen völlig neuen Leitungsstil in der römischen
Kirchenzentrale ein: Er schaffte Thronsessel und das majestätische „Wir“
ab. Er hatte keine Scheu vor dem Bad in der Menge und fuhr auch als
Papst Ski. Er beherrschte viele Sprachen und konnte Menschenmassen
begeistern.
Bei 104
Auslandsreisen legte er 1,2 Millionen Kilometer zurück.
Er war
eine moralische Autorität über Glaubens- und Kulturgrenzen hinweg.
Politiker aller Couleur achteten ihn als Mittler und Mahner. Auch
Nicht-Katholiken imponierte er mit seiner Tatkraft und zuletzt in seinem
Leiden.
Unbestritten und sehr bedeutsam ist der Beitrag von Johannes Paul II.
zum Zusammenbruch des Ostblocks. Der Papst aus Polen trug entschieden
dazu bei, den Kommunismus in die Knie zu zwingen. Zeitzeugen wie der
frühere Kreml-Chef Michael Gorbatschow bescheinigen ihm einen
entscheidenden Anteil am Erfolg der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc,
womit das Ende des Sowjet-Systems eingeleitet wurde.
Mit
gleicher Entschiedenheit wie den Kommunismus, den er aus eigener
Erfahrung kannte, geißelte Johannes Paul II. aber auch den Kapitalismus.
Beide versklaven den Menschen.
Christus
ist es, der befreit. Das war seine Botschaft, das war sein Programm.
Historisch ist der Beitrag dieses Papstes zur Aussöhnung von Kirche und
Judentum. Als erster Papst betrat er 1986 eine Synagoge. Sein Gang zur
Klagemauer in Jerusalem im Jubiläumsjahr 2000 war ein Meilenstein.
Immer
wieder bemühte sich der polnische Papst um Kontakte zu den anderen
Religionen. Gegen Widerstände in der Kurie lud er 1986 zum
interreligiösen Weltfriedensgebet nach Assisi ein.
In
Damaskus betrat er 2001 als erster Papst eine Moschee.
Johannes
Paul II. wollte die Einheit der Weltkirche bewahren – nicht durch
Abkapselung, sondern in Weltoffenheit.
Bereits
in seiner Antrittsrede forderte er: „Habt keine Angst! Öffnet, ja
reißt die Tore weit auf für Christus!“
Ein
anderes Wort von ihm: „Fahrt hinaus auf den
See, werft eure Netze aus! Werdet nicht müde, vertraut auf den Herrn!“
Ende der
80er Jahre führte Johannes Paul II.
die Weltjugendtage ein und begeisterte mit seinem Charisma und seiner
Authentizität dabei Millionen junger Menschen aus aller Welt für den
Glauben.
Jedoch
erlebte der Papst aus Polen auch das Fortschreiten der Säkularisierung
und den zunehmenden Glaubensschwund in den westlichen Ländern. Die
Sorge, der Christusglaube der Kirche könne in einstigen christlichen
Hochburgen verloren gehen, hat ihn umgetrieben.
Sehr
schmerzte ihn der 1988 erfolgte Bruch mit den Traditionalisten um
Erzbischof Marcel Lefebre.
Die
Stärken des Wojtyla-Papstes lagen im politischen Bereich:
im
Einsatz für Frieden, Menschenrechte, Gerechtigkeit und Freiheit. Das
Recht auf Leben war ihm ein zentrales Anliegen, das er überall auf der
Welt einforderte. Beispielhaft war sein Einsatz gegen Abtreibung,
Euthanasie, Todesstrafe, Rassenhass sowie gegen soziale Ungerechtigkeit
und kriegerische Auseinandersetzungen. Er prägte den Satz: „Krieg ist
immer eine Niederlage der Menschheit.“
Mit
Forderungen nach einer Marktwirtschaft, die sozial, und nach einer
Globalisierung, die solidarisch sein müsse, entwickelte er die
kirchliche Soziallehre weiter.
Bei
seinen Reisen redete er Politikern ins Gewissen – von Chiles Diktator
Augusto Pinochet bis zu Nicaraguas Sandinisten-Chef Daniel Ortega. Und
im Kuba Fidel Castros predigte er die christliche Botschaft von Freiheit
und Gerechtigkeit.
Wie sehr
er die Kreise der Ostblock-Machthaber störte, zeigte wohl das Attentat
vom 13. Mai 1981 auf dem Petersplatz. Bis heute deutet vieles auf einen
Mordbefehl aus dem Osten hin.
Im
Mittelpunkt aber stand für Papst Johannes Paul II. die Verkündigung der
christlichen Botschaft.
Er
verfasste 14 Enzykliken und unzählige Apostolische Schreiben und
Botschaften. Täglich hielt er zwei bis vier Reden, pro Jahr etwa 900 –
bis seine Parkinsonkrankheit ins Endstadium trat. Er empfing 890 Staats-
und Regierungschefs, berief 15 Bischofssynoden ein und vollzog 1.800
Heilig- und Seligsprechungen, mehr als alle Päpste des 20. Jahrhunderts
zusammen. Auf den Vorwurf, durch die hohe Zahl von Heiligsprechungen
werde die Heiligkeit inflationiert, antwortete
Johannes Paul II.
mit einem Lächeln, Beschwerden möge man nicht an ihn richten, der
Heilige Geist sei an der großen Zahl von Glaubensvorbildern „schuld“.
Höhepunkt
im Pontifikat Johannes Pauls II. war das Heilige Jahr 2000 mit rund 30
Millionen Rompilgern. Noch einmal setzte er ein historisches Zeichen:
Gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen bat er öffentlich um
Vergebung für alle Schuld und alles Unrecht, das auch im Namen des
Christentums im Laufe der 2000jährigen Geschichte begangen worden war.
Man kann
Johannes Paul II. in kein Schema zwingen. War er progressiv oder
konservativ? War er links oder rechts? Die Schablonen passen nicht.
So
gefeiert er zu Beginn seines Pontifikates war und geachtet in den
letzten Amtsjahren, die von seiner Krankheit gezeichnet waren, so sehr
wurden in den 90er Jahren seine entschiedene Haltung in Moralfragen,
sein Nein zum gemeinsamen Abendmahl, zum Frauenpriestertum oder zu einer
Lockerung des Zölibats kritisiert.
Doch der
Papst blieb sich und seiner Sendung treu. Er verteidigte weiterhin
offensiv die Würde des Menschen gegenüber einer Gesellschaft, in der
Machtgier und Egoismus dominieren.
Und auch
im Glauben blieb er standhaft: Er gab einen Weltkatechismus in Auftrag,
der die Lehre der Kirche für unsere Zeit zusammenfasst und begründet.
Und er
erweiterte sein „Lieblingsgebet“, den Rosenkranz, um die „lichtreichen Geheimnisse“.
Wenn er
in den letzten Jahren beim Gottesdienst seinen Kreuzstab in der Hand
hielt und sich mit seinem geschwächten Körper ganz nah, ganz dicht an
ihm festhielt, konnte man den Eindruck haben, Kreuz und Papst seien zu
einer Einheit verschmolzen, zu einer Figur geworden, zum Kreuz, dem
großen Plus Gottes über der Welt. Dann zeigte sich die eigentliche
Gestalt des Papstes, und das gab ihm Standvermögen, Ausdauer und Kraft.
Johannes
Paul II. war Priester und Philosoph, Politiker und Mystiker,
unermüdlicher Apostel und Zeuge, Brückenbauer und unbeugsamer Prophet,
der Pfarrer der Welt, ein globaler Seelsorger, der medial und sogar
psychisch weltweit Präsenz wagte. – Vor allem war er ein Mann des
Glaubens, ein Mann Gottes, ein Mann sowohl des Gebetes als auch der Tat,
ein Mann der Hingabe an Gott und die Menschen und ein treuer Diener der
Kirche Jesu Christi.
Anfang
2005 verschlechterte sich seine Krankheit dramatisch.
Am
2. April 2005, dem Vorabend des von ihm eingeführten „Sonntag der
Barmherzigkeit“ – die Vorabendmesse für den 2. Ostersonntag war
bereits gefeiert worden – starb er 84-jährig im Vatikan, während unten
auf dem Petersplatz Zehntausende für ihn beteten und ihm im Sterben
beistanden. Sein Kommentar: „Ich habe euch
gesucht und nun seid ihr zu mir gekommen“.
Einen anderen kleinen Satz hat er uns am Schluss seines Lebens mit
sterbender Stimme wie ein Vermächtnis anvertraut: „Ich bin froh. Seid ihr es auch!“
Seine
Beisetzung war ein historisches Ereignis: Über vier Millionen Menschen
strömten nach Rom. „Santo subito“ stand auf Plakaten und Transparenten.
Am 1. Mai
2011, am Barmherzigkeitssonntag wurde Johannes Paul II. von seinem
Nachfolger Benedikt XVI. seliggesprochen.
Wiederum
am Barmherzigkeitssonntag erfolgt nun durch Papst Franziskus die
Heiligsprechung.
Als man
Johannes Paul II.
einmal riet, sich mehr auszuruhen, hat er geantwortet, das könne er noch
in der Ewigkeit.
Ich bin
sicher: Der Heilige ruht sich auch im Himmel nicht aus, sondern bleibt
weiter aktiv für uns und die Kirche Jesu Christi.
Auf jeden
Fall haben wir einen weiteren großen Fürsprecher bei Gott und ein
leuchtendes Vorbild, dessen tiefer Glaube und beispielhaftes Leben und
Wirken uns sowohl Ansporn und Ermutigung sein kann als auch
Verpflichtung, sein reiches Erbe zu erhalten und fruchtbar werden zu
lassen.
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