geistliche Impulse

www.pius-kirchgessner.de

Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Santo subito

(Heiligsprechung von Papst Johannes Paul II. am 27. April 2014)

 

 

 

„Santo subito“ – „sofort heilig“, so erschallten Rufe und so zeigten es Transparente auf dem Petersplatz nach dem Tod von Papst Johannes Paul II.

Der Wojtyla-Papst aus Polen wird nun zusammen mit Papst Johannes XXIII. am 2. Ostersonntag heiliggesprochen, zwar nicht „subito – sofort“, aber nach einem ordnungsgemäßen Prozess doch außergewöhnlich schnell, bereits nach neun Jahren.

Dabei geht es nicht um Personenkult. Heilige zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie von sich weg auf eine ganz andere Wirklichkeit verweisen. Ein Heiliger ist durchlässig für das Mysterium des Göttlichen.

 

27 Jahre lang, fast eine ganze Generation, von 1978 bis 2005, war Johannes Paul II. das Oberhaupt und Gesicht der katholischen Kirche. Er hat die Kirche ins dritte Jahrtausend geführt. Er hat eine ganze Epoche geprägt und Weltgeschichte geschrieben. Dabei war das Ziel dieses Papstes nie, in die Geschichtsbücher einzugehen. Ihm ging es um etwas ganz anderes, nämlich um das Heil der Menschen durch die befreiende Botschaft des Evangeliums.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Es ist unmöglich der ganzen Wucht und dem ganzen Reichtum dieses in jeder Hinsicht überwältigenden Pontifikats in einer Predigt gerecht zu werden. Ich will das auch gar nicht versuchen. Es seien nur einige Linien aufgezeigt und die wichtigsten Aspekte seines Lebens und Wirkens als Papst hervorgehoben.

 

Der erste Pole auf dem Stuhl Petri – und der erste Nicht-Italiener seit 455 Jahren – führte einen völlig neuen Leitungsstil in der römischen Kirchenzentrale ein: Er schaffte Thronsessel und das majestätische „Wir“ ab. Er hatte keine Scheu vor dem Bad in der Menge und fuhr auch als Papst Ski. Er beherrschte viele Sprachen und konnte Menschenmassen begeistern.

Bei 104 Auslandsreisen legte er 1,2 Millionen Kilometer zurück.

Er war eine moralische Autorität über Glaubens- und Kulturgrenzen hinweg. Politiker aller Couleur achteten ihn als Mittler und Mahner. Auch Nicht-Katholiken imponierte er mit seiner Tatkraft und zuletzt in seinem Leiden.

 

Unbestritten und sehr bedeutsam ist der Beitrag von Johannes Paul II. zum Zusammenbruch des Ostblocks. Der Papst aus Polen trug entschieden dazu bei, den Kommunismus in die Knie zu zwingen. Zeitzeugen wie der frühere Kreml-Chef Michael Gorbatschow bescheinigen ihm einen entscheidenden Anteil am Erfolg der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc, womit das Ende des Sowjet-Systems eingeleitet wurde.

Mit gleicher Entschiedenheit wie den Kommunismus, den er aus eigener Erfahrung kannte, geißelte Johannes Paul II. aber auch den Kapitalismus. Beide versklaven den Menschen.

Christus ist es, der befreit. Das war seine Botschaft, das war sein Programm.

 

Historisch ist der Beitrag dieses Papstes zur Aussöhnung von Kirche und Judentum. Als erster Papst betrat er 1986 eine Synagoge. Sein Gang zur Klagemauer in Jerusalem im Jubiläumsjahr 2000 war ein Meilenstein.

 

Immer wieder bemühte sich der polnische Papst um Kontakte zu den anderen Religionen. Gegen Widerstände in der Kurie lud er 1986 zum interreligiösen Weltfriedensgebet nach Assisi ein.

In Damaskus betrat er 2001 als erster Papst eine Moschee.

 

Johannes Paul II. wollte die Einheit der Weltkirche bewahren – nicht durch Abkapselung, sondern in Weltoffenheit.

Bereits in seiner Antrittsrede forderte er: „Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!“

Ein anderes Wort von ihm: „Fahrt hinaus auf den See, werft eure Netze aus! Werdet nicht müde, vertraut auf den Herrn!“

 

Ende der 80er Jahre führte Johannes Paul II. die Weltjugendtage ein und begeisterte mit seinem Charisma und seiner Authentizität dabei Millionen junger Menschen aus aller Welt für den Glauben.

 

Jedoch erlebte der Papst aus Polen auch das Fortschreiten der Säkularisierung und den zunehmenden Glaubensschwund in den westlichen Ländern. Die Sorge, der Christusglaube der Kirche könne in einstigen christlichen Hochburgen verloren gehen, hat ihn umgetrieben.

Sehr schmerzte ihn der 1988 erfolgte Bruch mit den Traditionalisten um Erzbischof Marcel Lefebre.

 

Die Stärken des Wojtyla-Papstes lagen im politischen Bereich:

im Einsatz für Frieden, Menschenrechte, Gerechtigkeit und Freiheit. Das Recht auf Leben war ihm ein zentrales Anliegen, das er überall auf der Welt einforderte. Beispielhaft war sein Einsatz gegen Abtreibung, Euthanasie, Todesstrafe, Rassenhass sowie gegen soziale Ungerechtigkeit und kriegerische Auseinandersetzungen. Er prägte den Satz: „Krieg ist immer eine Niederlage der Menschheit.“

 

Mit Forderungen nach einer Marktwirtschaft, die sozial, und nach einer Globalisierung, die solidarisch sein müsse, entwickelte er die kirchliche Soziallehre weiter.

 

Bei seinen Reisen redete er Politikern ins Gewissen – von Chiles Diktator Augusto Pinochet bis zu Nicaraguas Sandinisten-Chef Daniel Ortega. Und im Kuba Fidel Castros predigte er die christliche Botschaft von Freiheit und Gerechtigkeit.

 

Wie sehr er die Kreise der Ostblock-Machthaber störte, zeigte wohl das Attentat vom 13. Mai 1981 auf dem Petersplatz. Bis heute deutet vieles auf einen Mordbefehl aus dem Osten hin.

 

Im Mittelpunkt aber stand für Papst Johannes Paul II. die Verkündigung der christlichen Botschaft.

Er verfasste 14 Enzykliken und unzählige Apostolische Schreiben und Botschaften. Täglich hielt er zwei bis vier Reden, pro Jahr etwa 900 – bis seine Parkinsonkrankheit ins Endstadium trat. Er empfing 890 Staats- und Regierungschefs, berief 15 Bischofssynoden ein und vollzog 1.800 Heilig- und Seligsprechungen, mehr als alle Päpste des 20. Jahrhunderts zusammen. Auf den Vorwurf, durch die hohe Zahl von Heiligsprechungen werde die Heiligkeit inflationiert, antwortete Johannes Paul II. mit einem Lächeln, Beschwerden möge man nicht an ihn richten, der Heilige Geist sei an der großen Zahl von Glaubensvorbildern „schuld“.

 

Höhepunkt im Pontifikat Johannes Pauls II. war das Heilige Jahr 2000 mit rund 30 Millionen Rompilgern. Noch einmal setzte er ein historisches Zeichen: Gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen bat er öffentlich um Vergebung für alle Schuld und alles Unrecht, das auch im Namen des Christentums im Laufe der 2000jährigen Geschichte begangen worden war.

 

Man kann Johannes Paul II. in kein Schema zwingen. War er progressiv oder konservativ? War er links oder rechts? Die Schablonen passen nicht.

So gefeiert er zu Beginn seines Pontifikates war und geachtet in den letzten Amtsjahren, die von seiner Krankheit gezeichnet waren, so sehr wurden in den 90er Jahren seine entschiedene Haltung in Moralfragen, sein Nein zum gemeinsamen Abendmahl, zum Frauenpriestertum oder zu einer Lockerung des Zölibats kritisiert.

 

Doch der Papst blieb sich und seiner Sendung treu. Er verteidigte weiterhin offensiv die Würde des Menschen gegenüber einer Gesellschaft, in der Machtgier und Egoismus dominieren.

Und auch im Glauben blieb er standhaft: Er gab einen Weltkatechismus in Auftrag, der die Lehre der Kirche für unsere Zeit zusammenfasst und begründet.

Und er erweiterte sein „Lieblingsgebet“, den Rosenkranz, um die „lichtreichen Geheimnisse“.

 

Wenn er in den letzten Jahren beim Gottesdienst seinen Kreuzstab in der Hand hielt und sich mit seinem geschwächten Körper ganz nah, ganz dicht an ihm festhielt, konnte man den Eindruck haben, Kreuz und Papst seien zu einer Einheit verschmolzen, zu einer Figur geworden, zum Kreuz, dem großen Plus Gottes über der Welt. Dann zeigte sich die eigentliche Gestalt des Papstes, und das gab ihm Standvermögen, Ausdauer und Kraft.

 

Johannes Paul II. war Priester und Philosoph, Politiker und Mystiker, unermüdlicher Apostel und Zeuge, Brückenbauer und unbeugsamer Prophet, der Pfarrer der Welt, ein globaler Seelsorger, der medial und sogar psychisch weltweit Präsenz wagte. – Vor allem war er ein Mann des Glaubens, ein Mann Gottes, ein Mann sowohl des Gebetes als auch der Tat, ein Mann der Hingabe an Gott und die Menschen und ein treuer Diener der Kirche Jesu Christi.

 

Anfang 2005 verschlechterte sich seine Krankheit dramatisch.

Am 2. April 2005, dem Vorabend des von ihm eingeführten „Sonntag der Barmherzigkeit“ – die Vorabendmesse für den 2. Ostersonntag war bereits gefeiert worden – starb er 84-jährig im Vatikan, während unten auf dem Petersplatz Zehntausende für ihn beteten und ihm im Sterben beistanden. Sein Kommentar: „Ich habe euch gesucht und nun seid ihr zu mir gekommen“.

Einen anderen kleinen Satz hat er uns am Schluss seines Lebens mit sterbender Stimme wie ein Vermächtnis anvertraut: „Ich bin froh. Seid ihr es auch!“

Seine Beisetzung war ein historisches Ereignis: Über vier Millionen Menschen strömten nach Rom. „Santo subito“ stand auf Plakaten und Transparenten.

Am 1. Mai 2011, am Barmherzigkeitssonntag wurde Johannes Paul II. von seinem Nachfolger Benedikt XVI. seliggesprochen.

Wiederum am Barmherzigkeitssonntag erfolgt nun durch Papst Franziskus die Heiligsprechung.

 

Als man Johannes Paul II. einmal riet, sich mehr auszuruhen, hat er geantwortet, das könne er noch in der Ewigkeit.

Ich bin sicher: Der Heilige ruht sich auch im Himmel nicht aus, sondern bleibt weiter aktiv für uns und die Kirche Jesu Christi.

Auf jeden Fall haben wir einen weiteren großen Fürsprecher bei Gott und ein leuchtendes Vorbild, dessen tiefer Glaube und beispielhaftes Leben und Wirken uns sowohl Ansporn und Ermutigung sein kann als auch Verpflichtung, sein reiches Erbe zu erhalten und fruchtbar werden zu lassen.