EVANGELIUM
Kann ein Blinder einen Blinden führen?
+ Aus
dem heiligen Evangelium nach Lukas
In jener Zeit
39sprach
Jesus zu seinen Jüngern: Kann ein Blinder einen Blinden führen? Werden
nicht beide in eine Grube fallen?
40Der
Jünger steht nicht über seinem Meister; jeder aber, der alles gelernt
hat, wird wie sein Meister sein.
41Warum
siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem
eigenen Auge bemerkst du nicht?
42Wie
kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus
deinem Auge herausziehen! während du den Balken in deinem eigenen Auge
nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann
kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders
herauszuziehen.
Wir alle wissen,
was gemeint ist. Das Wort Jesu braucht keine lange Auslegung. - Wir alle
kennen die Neigung, das Schlechte bei unseren Mitmenschen zu sehen, ihre
Untugenden zu bemängeln und ihre Fehler zu kritisieren, die eigenen
Untugenden und Fehler aber zu vertuschen, zu verheimlichen, zu
beschönigen, zu verharmlosen und zu entschuldigen.
Von Franz von Sales
stammt das Wort: „Mit Adleraugen sehen wir die Fehler anderer,
mit Maulwurfsaugen unsere eigenen.“
Müssen wir uns nicht alle
von Jesus „Heuchler“ nennen lassen? Er ruft uns auf, zunächst
einmal vor der eigenen Tür zu kehren, uns an der eigenen Nase zu fassen.
Erst wenn wir bei und in uns aufgeräumt haben, dürfen wir es
behutsam wagen, jemand anderen auf seine Fehler aufmerksam zu machen.
Dann soll ich aber
dem andern die Wahrheit auch nicht wie einen nassen Lappen ins Gesicht
oder um die Ohren schlagen, sondern sie ihm möglichst hinhalten wie
einen Mantel, in den er hineinschlüpfen kann. Das ist eine Kunst. Und –
ich weiß selbst: es gelingt nicht immer gleich gut.
Im Bewusstsein der
eigenen Fehler, im Bewusstsein, dass ich selbst nicht ohne Schuld
bin, kann ich fremde Fehler eher liebevoll und geduldig ertragen (Eph.
4, 2), sie zudecken (Jak. 5, 20; Petr. 4, 8), sie mit Stillschweigen
übergehen, statt erfolglos zu mäkeln, herumzunörgeln, zu kritisieren und
zudem, fremde Fehler und Schuld auch noch weiterzuerzählen.
Mancherorts, auch in
manchen religiösen Gemeinschaften, wäre der Gesprächsstoff schnell
verbraucht, könnte man nicht erzählen, was die anderen gemacht, gesagt
oder unterlassen haben. „Stell dir vor…“ und „Hast du schon
gehört...“ Ja, der Splitter im Auge der Schwester und des Bruders
ist ein wertvolles Unterhaltungsthema und sehr beliebt.
Mit dem Balken im eigenen
Auge, von dem Jesus sagt, dass ich ihn zuerst herausnehmen soll, muss
ich mich ja auch nicht beschäftigen, solange der Splitter des anderen
Thema ist und ich damit ausgelastet bin.
Noch etwas: wie
splitterklein oder balkengroß Menschensünden sind, dafür hat nur der
Herrgott das rechte Augenmaß.
Wie oft ist unser Urteil
über andere Menschen oberflächlich oder auch vorschnell. Überlassen wir
Gott das Urteilen!
IHM, der allein in das
Herz des Menschen sieht und es kennt.
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