geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Splitter im Auge des anderen / Balken im eigenen

Freitag der 23. Woche im Jahreskreis; Lesejahr C; Lk 6, 39 – 48

 

EVANGELIUM

Kann ein Blinder einen Blinden führen?

+ Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas

In jener Zeit

39sprach Jesus zu seinen Jüngern: Kann ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen?

40Der Jünger steht nicht über seinem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein.

41Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?

42Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen! während du den Balken in deinem eigenen Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.

 

 

Wir alle wissen, was gemeint ist. Das Wort Jesu braucht keine lange Auslegung. - Wir alle kennen die Neigung, das Schlechte bei unseren Mitmenschen zu sehen, ihre Untugenden zu bemängeln und ihre Fehler zu kritisieren, die eigenen Untugenden und Fehler aber zu vertuschen, zu verheimlichen, zu beschönigen, zu verharmlosen und zu entschuldigen.

Von Franz von Sales stammt das Wort: „Mit Adleraugen sehen wir die Fehler anderer, mit Maulwurfsaugen unsere eigenen.“

Müssen wir uns nicht alle von Jesus „Heuchler“ nennen lassen? Er ruft uns auf, zunächst einmal vor der eigenen Tür zu kehren, uns an der eigenen Nase zu fassen. Erst wenn wir bei und in uns aufgeräumt haben, dürfen wir es behutsam wagen, jemand anderen auf seine Fehler aufmerksam zu machen.

Dann soll ich aber dem andern die Wahrheit auch nicht wie einen nassen Lappen ins Gesicht oder um die Ohren schlagen, sondern sie ihm möglichst hinhalten wie einen Mantel, in den er hineinschlüpfen kann. Das ist eine Kunst. Und – ich weiß selbst: es gelingt nicht immer gleich gut.

Im Bewusstsein der eigenen Fehler, im Bewusstsein, dass ich selbst nicht ohne Schuld bin, kann ich fremde Fehler eher liebevoll und geduldig ertragen (Eph. 4, 2), sie zudecken (Jak. 5, 20; Petr. 4, 8), sie mit Stillschweigen übergehen, statt erfolglos zu mäkeln, herumzunörgeln, zu kritisieren und zudem, fremde Fehler und Schuld auch noch weiterzuerzählen.

Mancherorts, auch in manchen religiösen Gemeinschaften, wäre der Gesprächsstoff schnell verbraucht, könnte man nicht erzählen, was die anderen gemacht, gesagt oder unterlassen haben. „Stell dir vor…“ und „Hast du schon gehört...“ Ja, der Splitter im Auge der Schwester und des Bruders ist ein wertvolles Unterhaltungsthema und sehr beliebt.

Mit dem Balken im eigenen Auge, von dem Jesus sagt, dass ich ihn zuerst herausnehmen soll, muss ich mich ja auch nicht beschäftigen, solange der Splitter des anderen Thema ist und ich damit ausgelastet bin.

Noch etwas: wie splitterklein oder balkengroß Menschensünden sind, dafür hat nur der Herrgott das rechte Augenmaß.

Wie oft ist unser Urteil über andere Menschen oberflächlich oder auch vorschnell. Überlassen wir Gott das Urteilen!

IHM, der allein in das Herz des Menschen sieht und es kennt.