Pastor Friedrich von Bodelschwingh
berichtet in seiner Autobiographie ein Erlebnis aus seiner frühesten
Kindheit:
Eines Nachts wacht er auf und wird von
einer unheimlichen Angst überfallen. Es ist ihm, als fiele alles Schwere
und Traurige der Welt wie eine Welle über ihn her. – Schließlich weiß er
in der Not keinen anderen Rat mehr, als sich zu den Eltern zu flüchten.
Gepeinigt vom Spiel der Phantasie und verängstigt tastet er sich durch
zwei dunkle Zimmer hindurch, um in die Wohnstube zu kommen, wo noch
Licht brennt.
Nun
berichtet er wörtlich weiter: „Als ich dann meine Mutter am Tisch sitzen sah,
als sie ihren Arm nach mir ausstreckte und mich auf ihren Schoß nahm, da
war auf einmal alles wieder gut.
„Was hast du denn, mein Junge, fragte sie
mich. Da hatte ich alle Not vergessen, da hatte ich gar keine einzelnen
Wünsche mehr. „Mama“, sagte ich, und dicke Tränen liefen mir dabei über
das Gesicht: „Mama, ich wollte nur zu dir.“
Vielleicht denken manche gerührt: eine Kindergeschichte - und lächeln dazu. Mir scheint: diese Geschichte
hat für uns alle eine gleichnishafte Bedeutung.
Sollten wir nicht zugeben,
dass wir diesem Kind oft recht ähnlich sind: verängstigt, voll innerer
Not und Traurigkeit, ratlos und im Dunkeln tappend, vielfach geplagt und
manchmal am Ende unserer Kräfte?
Sollten wir dann nicht tun können und tun dürfen,
was Pastor Bodelschwingh als Kind getan hat: zur Mutter gehen, bei ihr
Hilfe und Rat, Schutz und Trost und Geborgenheit suchen?
Sehen Sie,
Christen aller Jahrhunderte haben in Maria ihre hilfreiche Mutter
gesehen und haben sich voll Vertrauen in Unglück und Leid an sie
gewandt. Und haben bei ihr in Betrübnis und Not Hilfe, Schutz und Trost
gefunden.
Liebe Wallfahrerinnen und Wallfahrer,
auch in der Heiligen Schrift wird uns die
Mutter Jesu gezeigt als Helfende, als Mittlerin und Fürsprecherin, als
eine Frau, die sieht, wo’s fehlt, die Not und Mangel wahrnimmt und alle
Hebel in Bewegung setzt, um der Not und dem Mangel Abhilfe zu schaffen.
Beachten wir nur,
was für eine Rolle Maria bei der Hochzeit von Kana spielt: Sie merkt die
Verlegenheit des Brautpaares. Sie erkennt die Notlage. Sie nimmt die
Ausweglosigkeit wahr. Sie zeigt Umsicht und Feingefühl.
Die
Hochzeit von Kana
offenbart uns das mütterliche, vermittelnde Eingreifen Marias. Und sie
zeigt uns, was Maria bei ihrem Sohn vermag: Diskret macht sie Jesus auf
die Verlegenheit des Brautpaares aufmerksam: „Sie haben keinen Wein mehr.“
Und Maria beweist Mut. Sie
lässt sich auch durch ein scheinbar abweisendes Wort Jesu nicht beirren.
Sie schenkt ihm trotz allem Vertrauen. Sie kennt ihren Sohn. – Sie
wendet sich den Dienern zu und ermuntert auch sie zum Vertrauen: „Was
er euch sagt, das tut!“ Sie weiß sich schon erhört.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wir sehen hier Maria auf der Seite der
Menschen, die in Not sind. Wir sehen sie auf unserer Seite. Wir sehen,
dass es ihr nicht gleichgültig ist, wie es den Menschen geht. Wir sehen,
wie sehr ihr daran liegt, dass die Menschen glücklich und froh sind und
miteinander feiern können.
Und
noch etwas:
Maria hält sich nicht heraus. Sie mischt sich ein. Sie kümmert sich. Sie
nimmt Anteil am Geschick der Menschen. Die Sorge der Brautleute ist auch
ihre Sorge. Sie macht ihren Sohn auf die prekäre, peinliche Situation
aufmerksam. Sie setzt sich ein. Sie sorgt dafür, dass den Brautleuten
aus der Patsche geholfen wird und ihnen eine große Blamage erspart
bleibt.
Auf Mariens Vermittlung hin geschieht das
Wunder.
Dürfen wir, liebe Wallfahrerinnen und
Wallfahrer, nicht hoffen und glauben, dass sie, die sich in ihrem
Erdenleben als Helferin und Retterin in Not gezeigt hat, dass sie jetzt
im Himmel auch auf Seiten der menschlichen Not ist? – Oder meinen wir,
nach ihrer Aufnahme in den Himmel habe Maria aufgehört, für die
Menschen, die von vielerlei Not bedrängt sind, in mütterlicher Liebe
einzutreten? – Soll Maria ihre Solidarität mit den Menschen, wie sie bei
der Hochzeit von Kana gezeigt hat, aufgegeben oder verloren haben?
Jetzt
kann sie doch erst recht menschliche Not sehen, Elend wahrnehmen,
mitfühlen und ratend und helfend zur Seite stehen. Sie nimmt doch
jetzt nicht weniger Anteil! Sie ist doch jetzt nicht weniger mächtig,
aus Nöten und Gefahren zu erretten!
Ja,
jetzt kann sie es noch viel mehr, viel besser, viel umfassender!
Sehen Sie, es gibt keinen Grund und auch
keinen theologischen Vorbehalt, der dagegen sprechen würde oder es uns
gar verwehren könnte, Maria um ihre Hilfe anzurufen.
Wir dürfen mit gutem Grund und - wie wir
gesehen haben - auch mit biblischer Begründung die Fürbitte Mariens
anflehen.
Sie kann uns nicht nur Vorbild und
Leitbild sein, an dem wir immer wieder Maß nehmen und an deren Leben wir
unser Leben ausrichten, sondern auch Fürsprecherin und Helferin in allen
Nöten und Gefahren.
In einem Gebet heißt es:
„Du bist mächtig, uns aus Nöten und
Gefahren zu erretten,
denn wo Menschen Hilf` gebricht, mangelt
doch die deine nicht!“
Das alles finde ich besonders schön und
treffend dargestellt im Bild der Schutzmantelmadonna. Da breitet
die Muttergottes weit ihren Mantel aus wie einen Schild, wie einen
Schirm. Und die Menschen finden Zuflucht darunter. Sie finden Schutz und
Trost, Rettung und Hilfe Sie sind geborgen und behütet.
Bei
der Schutzmantelmadonna
ist Maria fast verwachsen mit den Notleidenden und Bittenden, die sich
unter ihrem Mantel bergen. Maria ist für sie ein Zeichen der Hoffnung
und des Trostes.
Liebe Wallfahrerinnen und Wallfahrer!
Unser Gnadenbild hier ist zwar keine
Schutzmantelmadonna, aber es ebenfalls ein Trost- und Hoffnungsbild.
Ich
meine:
echt trösten und jemanden wieder aufrichten, kann nur jemand, der selbst
Leid kennt, Unglück erfahren und Not erlebt und durchgestanden hat.
Nun, Sie wissen es selbst, das Leben
Mariens ist kein leichtes Schicksal gewesen.
Es war ein geprüftes, ein hartes Leben,
dem kein Leid erspart blieb.
Das war kein Spaziergang, kein Ausruhen
im Schaukelstuhl.
Es
war ein Leben voller Dramatik und Tragik:
Da ist die Tragik der verschlossenen
Türen und Herzen bei der Herbergsuche, die lieblose Ungastlichkeit des
Stalles, in dem sie ihren Sohn zur Welt brachte, als Wiege ein
Futtertrog.
Da ist der Hass des Herodes, der in dem
wehrlosen Kind eine politische Gefahr wittert. Hals über Kopf müssen sie
davon, auf die Straße, über die Grenze, von Versteck zu Versteck,
atemlos flüchtend, in ein fremdes Land.
Da ist später das tagelange Suchen voll
Angst und Sorge nach dem Zwölfjährigen.
Und das Schlimmste sollte ja noch kommen:
die wachsende Anfeindung ihrem Sohn
gegenüber, das Unverständnis, die Ablehnung. Maria erlebt die
Gefangennahme Jesu, das Verhör, den Prozess gegen ihn. Sie begegnet ihm
auf dem Kreuzweg, sieht seine Qualen, seine Wunden, seine Schmerzen. Es
sind auch ihre Wunden, ihre Schmerzen. Im Herzen leidet sie mit ihm und
trägt im Stillen sein Kreuz mit.
Schließlich steht sie unter dem Kreuz und
erlebt mit, wie er zwischen zwei Verbrechern stirbt.
Wie mag da Maria zumute gewesen sein?
Hat sich da nicht das Wort des greisen
Simeon erfüllt: „Auch deine Seele wird ein Schwert durchbohren?“
Und am Schluss hält Maria den toten Leib
ihres Sohnes in den Armen.
In
der Tat: „Angst und Jammer, Qual und Bangen, alles Leid
hielt sie umfangen, das nur je ein Herz durchdrang.“
Kein Wunder, dass Maria dem christlichen
Herzen von Anfang an teuer war.
Kein Wunder, dass sich Menschen aller
Generationen von ihr verstanden wussten.
Sie
kennt die Grunderfahrungen des Lebens, auch die dunklen Seiten, die
Angst, den Schmerz, die Not.
Sie versteht, was uns bedrückt, belastet
und ängstigt.
Und mit all dem dürfen wir zu ihr
kommen.
All das dürfen wir ihr, der Trösterin der
Betrübten, bringen.
Alle Klagen dürfen wir ihr sagen, alle
Sorgen zu ihr tragen.
Sie, die in ihrem Erdenleben offen war
für menschliche Not und sich einsetzte und auf Hilfe sann, sie ist jetzt
erst recht im Himmel die „Hilfe der Christen“, „Trösterin der
Betrübten“, „Zuflucht der Sünder“, das „Heil der Kranken“.
Bitten wir die Gottesmutter,
dass wir - wie sie - die Kraft haben, unsere Liebe und unseren Glauben
durch alles Schwere und alle Anfechtungen durchzuhalten, in den
Dunkelheiten nicht zu verzagen und unser ganzes Vertrauen immer wieder
auf Gott zu setzen.
Bitten wir Maria
um feste Hoffnung, viel Kraft und starken Glauben in allen Betrübnissen
und Wechselfällen des Lebens.
Zu Maria wollen wir aufschauen,
sie grüßen, ihre Hilfe erflehen und uns erneut unter ihren mütterlichen
Schutz stellen.
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