Es ist
schon seltsam.
Es gibt
Texte in den Evangelien, die meine ich in- und auswendig zu kennen. –
Und plötzlich stutze ich beim Lesen oder Hinhören und denke: Stand das
wirklich schon immer so da?
Bei den
Wanderexerzitien in Südtirol ist es mir dieses Jahr so gegangen. Am
letzten Tag machten wir einen Besinnungsgang rund um Völs (am Schlern).
Vor dem Weggehen las ich das heutige Festtagsevangelium: Mt 28, 16 - 20.
Nach
einer kleinen Pause ließ ich den Text noch einmal von einer Teilnehmerin
lesen. Dann gingen wir schweigend los.
Ich mag
diesen Abschluss des Matthäusevangeliums, wo es heißt, dass der
auferstandene Jesus die Jünger nach Galiläa kommen hieß, dorthin, wo
alles begonnen hatte, um ihnen dort auf einem Berg zu begegnen.
Dann
sendet er die Jünger hinaus in die Welt. Sie sollen zu allen Völkern
gehen und alle Menschen zu seinen Jüngern machen.
Mission
und Verkündigung bekommen universalen Charakter. „Sammlung und Sendung“ ist ein
Motiv, das mir in diesem Evangeliumsabschnitt auffällt und mir viel
bedeutet.
Ganz
besonders aber mag ich den Schluss dieser Stelle:
„Seid
gewiss: ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Ein wunderbares Wort!
„Gott ist mit uns“!
Schon im
ersten Kapitel (Mt 1, 23) wird dem verheißenen Kind der Name Immanuel –
Gott ist mit uns – zugesprochen.
Über das ganze Evangelium hinweg spannt sich dieses Zusage wie ein Bogen
zur Schlussszene und zum Schlusswort, bei dem der Auferstandene den
Seinen zusagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis
zum Ende der Welt!“
Eine
ungeheuer trostvolle und ermutigende Zusage!
Zurück
zum Besinnungsgang bei den Wanderexerzitien.
Als wir
die letzten Häuser von Völs ein Stück hinter uns hatten, hielten wir
inne. Ich las noch einmal den Text. Und nach einer Pause zum Nachspüren
und Nachwirken-lassen lud ich die Teilnehmer ein, Worte und Sätze aus
dem Evangelium zu wiederholen? Was habe ich gehört? Was ist mir wichtig
geworden?
Und da
geschah für mich das Frappierende. Da kam unter anderem ein paar Mal der
Satz: „Einige aber hatten Zweifel.“
Nicht nur das Wort „Berg“ wurde wiederholt oder der Satz „wie
Jesus es ihnen gesagt hatte“, nicht nur „sie fielen vor ihm
nieder“ oder „geht zu allen Völkern“, auch nicht nur das
wunderschöne Wort „ich bin bei euch alle Tage“, nein, da kam auch
mehrmals die Aussage „einige aber hatten
Zweifel“.
So heißt
es im Evangelium tatsächlich. Wie oft habe ich dieses Evangelium schon
gehört oder es selbst vorgelesen! Wie oft schon darüber gepredigt! Aber
den Satz „einige aber hatten Zweifel“ hatte ich an dieser Stelle
noch nie so gehört, noch nie wirklich wahrgenommen. Aber er steht
tatsächlich da, schwarz auf weiß. Die Wort-Satz-Wiederholung hat mich
darauf aufmerksam gemacht. Und dafür bin ich dankbar.
Wir
setzten dann unseren Besinnungsgang rund um Völs im Schweigen fort. Dann
hielten wir noch einmal inne und tauschten uns über diese Schriftstelle
aus, nun auch mit eigenen Worten, deutend, erklärend. Dann gingen wir
wieder schweigend weiter.
Und in
diesem schweigenden Gehen kam ich ins Nachdenken. Ist es nicht
sonderbar?
Da
begegnen die Jünger dem Auferstandenen – und eine Reihe von
Erscheinungen Jesu und Begegnung mit ihm, dem Auferstandenen, waren
schon vorausgegangen – und da heißt es nicht nur „als sie Jesus sahen
fielen sie vor ihm nieder“, sondern im gleichen Atemzug auch
„einige aber hatten Zweifel“.
An diesem
Satz bin ich dann hängen geblieben und er hat mich auf unserem Heimweg
weiter begleitet und beschäftigt.
Ich habe
mich gefragt: Warum ich den Satz so oft überlesen und überhört habe?
Warum bin ich gerade heute darauf gestoßen? Warum fällt er mir gerade
heute zum ersten Mal so richtig auf? Und ich habe mich gefragt, wie das
eigentlich ist mit den Zweifeln in meinem Leben? Ja, manchmal zweifle
ich auch. Es gibt sogar Stunden, wo ich so sehr zweifle, dass ich
„verzweifelt“ bin.
Es
gibt Situationen, da zweifle ich an mir selbst.
Da hatte
ich so gute Absichten – und doch ist es voll danebengegangen. Ich habe
es mir ganz fest vorgenommen – und habe es doch nicht geschafft. Ich
wollte so gerne – und die Kraft hat nicht gereicht. Ich habe einen
Fehler gemacht, ich habe Mist gebaut, ich bin schuldig geworden – und
dann zweifle ich an mir. Ich bin nicht so, wie ich gern wäre.
Die
Realität ist anders als mein Bild von ihr.
Immer wieder zweifle ich auch an Menschen,
nicht nur
an denen, mit denen ich mich schwer tue, sondern manchmal sogar an
jenen, die ich mag und denen ich eigentlich vertraue. Wie hat sie die
Bemerkung nur gemeint? Bin ich ihm eigentlich noch wichtig oder
„braucht“ er mich nur noch? Warum hat er mich gerade so abblitzen
lassen? Manchmal, da wünsche ich mir meine Mitbrüder, Freunde, Verwandte
oder Bekannte anders, als sie in Wirklichkeit sind. Manchmal bin ich
misstrauisch und enttäuscht.
Die
Realität ist anders als mein Bild vor ihr.
Und es
gibt Situationen, da zweifle ich auch an Gott.
Warum
dieses schreckliche Unglück? Warum dieser tragische Unfall? Warum musste
dieser junge Mensch sterben? Warum lässt Gott diesen irrsinnigen Krieg
zu? – Aber auch: Warum schweigt Gott? Warum greift er nicht ein? Warum
verbirgt sich Gott vor mir gerade dann, wenn ich ihn so bitter nötig
hätte? Warum kommt er mir manchmal so fern vor? Warum spüre ich oft so
wenig von ihm? Wo ist er in meinem Alltag? – Auch bei Gott wünschte ich
mir manchmal, er würde anders handeln. Auch hier: Die Realität ist
anders als mein Bild von ihr.
Es gibt Zweifel in meinem Leben.
Das ist
so. Und das wird wohl auch immer so sein. Es wird sie immer wieder
geben.
Gehören
Zweifel vielleicht sogar zum Leben dazu? Könnte es sein, dass der
Zweifel eine wichtige Funktion im Leben hat, ähnlich wie eine Krise,
ähnlich wie Geburtswehen?
Wer
zweifelt, der ist gezwungen, sein Bild von der Wirklichkeit gegen ein
anders einzutauschen, weil sein eigenes Bild infrage gestellt wird. Der
ist gezwungen, sich auf eine andere Wirklichkeit einzulassen und sein
Bild zu korrigieren. Der muss Selbstverständliches infrage stellen und
hört und sieht deshalb neu hin.
„Einige aber hatten Zweifel.“
Mitten im
Gehen und Nachdenken erschließt sich mir dieser Satz plötzlich
vollkommen neu. Und dann finde ich es sehr tröstlich, dass einige Jünger
auch Zweifel hatten, bis zum Schluss. Bin ich da nicht in guter
Gesellschaft?
Vielleicht hatten sie auch ganz andere Vorstellungen, Wünsche, Bilder
von Jesus, von Gott, von Auferstehung und Leben. Und dann begegnen sie
IHM – und alles ist anders. Was sie sich vorgestellt, erträumt hatten,
ihr Bild, das sie sich gemacht hatten, war vielleicht anders als die
Wirklichkeit.
Wie bei
uns oft: Bilder, die ich mir mache, zerreißen, zerbrechen, werden
ent-täuscht. Doch Ent-täuschung hat ja auch etwas Gutes, etwas
Positives. Eine Täuschung wird mir genommen. Vielleicht braucht es die
Zweifel. Vielleicht finde ich erst durch den Zweifel hindurch zur
Wahrheit und zur Wirklichkeit. Vielleicht nährt und läutert der Zweifel
sogar meinen Glauben?
Beim
Weitergehen kommt mir in den Sinn: So wie Jesus an anderer Stelle den
zweifelnden Thomas nicht fallen lässt, ihn nicht verstößt, sondern ihn
bei seinen Zweifeln abholt und ihn annimmt, so ist es auch auf dem Berg
in Galiläa.
Jesus
„bewertet“ weder die Zweifler noch die Nichtzweifler. Allen gilt
sein Auftrag, in die Welt zu gehen und die
Menschen zu bekehren. Es braucht die einen wie die anderen.
Und er
weiß ganz sicher, dass es in unserem Leben Schatten und Licht gibt,
Zeiten der Sicherheit und Zeiten des Zweifels, Angst und Vertrauen.
Das Leben
ist so. Manche meiner Bilder werden zerbrechen müssen. Und manchmal wird
das wehtun. Aber das kann, darf und muss vielleicht sogar sein. Manchmal
muss ich mich vielleicht auch „durchzweifeln“ um des Lebens und
der Lebendigkeit willen.
Aber es
gilt auch der Satz eines jüdischen Dichters: „Glauben heißt: Seine
Zweifel in Sicherheit bringen!“ (Elazar Benjoetz)
ER ist
es, der uns hält und auch aushält. ER ist es, der uns trägt und annimmt.
ER ist es, der uns ruft, immer wieder herausruft und sendet, wie die
Jünger- mit und durch alle Zweifel hindurch!
Und ER
ist es, „dem alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden“, vor
allem auch die Macht seiner Liebe und Treue!
ER
ist es, der doch und trotz allem da ist und mitgeht, Licht ist und Kraft
gibt. „Ich bin bei euch alle Tage bis an das
Ende der Welt.“ |