„Fest
der Begegnung“,
diesen schönen Namen hat das heutige Fest in der Ostkirche. Jesus
begegnet im Tempel seinem Volk vertreten durch zwei tief gläubige Menschen. Es
ist der Greise Simeon und die hochbetagte Hanna.
Ich lade Sie ein,
heute einmal den Blick auf die Prophetin Hanna zu lenken, Hanna,
alt an Jahren, aber lebendig im Glauben.
Meistens kommt sie zu kurz. Der Greise Simeon stiehlt ihr die Show.
Sein Lobgesang, das
nunc dimittis, hat Eingang gefunden ins Nachtgebet der Kirche. Und heute,
am Fest der Darstellung des Herrn, endet die Kurzfassung des Evangelium mit
diesem Lobgesang. Und weil`s Werktag ist und es gewöhnlich pressiert,
wird vielerorts wohl die Kurzfassung genommen und die gute Hanna fällt unter den
Tisch. Auch die übrigen Gebete und Orationen der Festmesse, selbst die
Präfation lassen die Hanna ganz weg. Sie findet keine Erwähnung.
Doch Lukas nennt Hanna eine Prophetin, eine geisterfüllte Frau.
Der Heilige Geist hat
sich nie, weder damals noch heute, auf einen Teil der Menschheit, den
männlichen, beschränkt! Der Geist weht, wo er will. Gott sei Dank.
Hanna
hat in ihrem Leben schon viel mitgemacht und durchgestanden.
Nur wenige Jahre war
sie verheiratet. Jahrzehnte, fast ihr ganzes Leben hat sie als Witwe
gelebt. Witwen zählten damals zu den schwächsten der Gesellschaft. Sie
gehörten zusammen mit den Waisenkindern zu den am meisten schutzlosen und
benachteiligten Bevölkerungsschichten. In jener Zeit gab es ja noch keine Rente,
keine Sozialhilfe, keine Altersversicherung. Das bedeutete oft große materielle
Not. Angewiesensein auf fremde Hilfe. Witwen blieb oft nichts anderes
übrig als zu betteln. Ein armes Leben, unscheinbar, am Rand der Gesellschaft .
Dazu die seelische Not. Der Verlust des Mannes in jungen Jahren. Das ist,
wie wenn`s einem den Boden unter den Füßen wegzieht. Enttäuschung, die Erfahrung
der Einsamkeit, der Schmerz des Alleinseins. Doch es scheint: keine
Dunkelheit und düstere Lebenserfahrung vermochte Hanna daran zu hindern,
trotzdem auf Gott zu vertrauen, auf seine Verheißungen zu bauen und auf das
erlösende Licht zu warten.
Hanna
nahm wohl die Zumutungen Gottes an und war bereit, das Leben von Gott
durchkreuzen zu lassen. Sie wusste, noch bevor Paulus das Wort gesprochen
hat: „Gott führt bei denen, die ihn lieben alles zum
Guten.“ Und: „Keine
Bedrängnis, keine Not, nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes.“
Hannas Leben war kein leichtes. Es war ein geprüftes Leben. Und doch
ist sie an den schmerzhaften Erfahrungen ihres Lebens nicht zerbrochen. Und
nichts und niemand konnte ihr den Glauben an Gott nehmen. Die
Schicksalsschläge haben sie nicht von Gott weggebracht, sondern näher zu ihm
hingeführt. Bis ins hohe Alter hatte sie nicht aufgehört, die „Erlösung
Israels“ herbeizusehnen, den Befreier, der auch ihr Erlösung bringen sollte.
Ich
denke, wir können uns ganz gut in der Hanna wiederfinden. Trägt nicht jeder
Anteile der Hanna in sich? Gibt es nicht in jedem Leben Unerfülltes,
Nichterreichtes und Nichtgelebtes? Gab und gibt es nicht auch bei mir die
Mühsal, die Not, Entbehrung, auferlegte Verzichte, Einsamkeit, Enttäuschung?
Die Frage ist: Ist es auch mir gelungen, nicht zu verbittern, zu resignieren
oder nur noch zu jammern und zu lamentieren? Konnte ich das Licht spüren, mit
dem ich solche Situationen durchstehen konnte, Gottes Kraft, die Halt gibt und
alle Wege mitgeht?
Woher bekam Hanna die Kraft, der Vision ihres Lebens treu zu bleiben? Was
hat ihr geholfen, nicht zu resignieren und das Warten und Hoffen und
Ausschauhalten nicht aufzugeben? Was hat diese Frau offen und wach
gehalten und die Lampe ihrer Sehnsucht am Brennen? Wie ist sie dann auch
sehend und wissend geworden für Jesus? Wie erkannte sie in diesem Kind
den erwarteten Messias?
Wir
können sagen: Erstens durch ihre Offenheit für Gottes Geist und zweitens
durch ihr Leben in der Gegenwart Gottes.
An
Stelle einer Wiederverheiratung hatte sich Hanna wohl für den Dienst des
Gotteslobes und der ständigen Fürbitte im Tempel entschieden. „Sie hielt
sich“, so sagt es unser Bibeltext, „ständig im
Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten.“
Ihren
Lebensabend verbringt Hanna im Tempel, im Heiligtum Gottes, in der Gegenwart
Gottes. Sie hat einen ganz vertrauten Umgang mit ihm, ist dauernd im Gespräch
mit ihm, sie lebt in seiner Gegenwart.
Der
Wandel in der Gegenwart Gottes,
liebe Schwestern und Brüder, ist meines Erachtens etwas vom Wichtigsten für
jeden, der ein geistliches Leben führen will.
Allerdings, zum Wandel in der Gegenwart Gottes ist es nicht notwendig, sich
ständig in der Kirche aufzuhalten. Wir können Gott nahe sein immer und überall.
Wir können ihm begegnen und ihn finden in allen Dingen.
Vor
allem können wir aus unserem Herzen einen Ort des Gebetes machen. Das ist im
Wartesaal des Arztes möglich, an der Bushaltestelle, beim Schlange stehen an der
Kasse, beim Warten auf das Essen in der Kantine. Immer und überall können
wir aus unserem Herzen einen Ort des Gebetes machen. Wir dürfen es nie
vergessen: Gott ist uns näher als wir uns selbst, innerer als unser Innerstes.
„In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“, sagt der Apostel Paulus
den Athenern. Und die Korinther fragt er: „Wisst ihr nicht, dass ihr ein
Tempel Gottes seid und dass Gottes Geist in euch wohnt?“ fragt Paulus die
Korinther.
Leben in der Gegenwart Gottes, Leben gemäß seiner Weisung, Gebet,
Gotteslob, Fasten, Vertrauen und Geduld waren Lebensinhalte der hochbetagten
Hanna. Die Ehre und Verherrlichung Gottes war ihr erstrebenswerter und wichtiger
als die Ehre und der Beifall der Menschen. Ihr Leben war ein Rühmen und Loben
Gottes.
Wovon das Herz voll
ist, davon läuft bekanntlich der Mund über.
Und so fängt auch
Hanna an, als sie dem Kind im Tempel begegnet, Gott zu loben und zu preisen. Und
sie verkündet die Ankunft des Erlösers. Hanna erzählt allen davon, die
auf die Erlösung Israels warten. Sie bezeugt - wie Simeon - dieses Kind als den
ersehnten Retter, der von Schuld befreit, die Gebeugten aufrichtet und alle
Gebrechen heilt.
Wenn es von Hanna
heißt, sie habe zu allen, die auf die Erlösung warten, über das Kind gesprochen,
so stellt sie Lukas gleichsam in die Reihe der Apostel und Evangelisten.
Dass eine alte weise Frau vom Herrn kündet, eine, die sich Tag und Nacht im
Tempel aufhält, eine, die sich gleichsam Gott geweiht hat, eine,
die in sich selbst ruht und als große Beterin in Gott ruht und kein Aktivist,
kein Macher, kein Topmanager oder Superorganisator - ein wenig sollten wir
vielleicht darüber nachdenken, denn auch das kann uns etwas sagen.
Oh,
wären wir doch so offen für Gottes Geist und sein Wirken wie Hanna!
Oh,
hätten wir doch etwas von ihrer Ausdauer und Hoffnung im Auf und Ab unseres
Lebens.
Oh,
besäßen wir doch diese echte Frömmigkeit und große Gläubigkeit dieser Frau und
etwas von ihrem tiefen und unerschütterlichen Gottvertrauen! Machen wir uns
immer wieder offen dafür! Beten wir um die Gesinnung und Haltung, die dieser
Frau zu eigen war! Und bemühen wir uns so gut wir können - wie Hanna - , in der
Gegenwart Gottes zu leben.
Voll von dem Erlebten und mit vielen Eindrücken, so heißt es am Schluss,
kehrt die junge Familie nach Nazareth zurück. Doch die Begebenheit im
Tempel dürfte Maria und Josef immer wieder in den Sinn gekommen sein. Die
Begegnung mit Simeon und Hanna bleibt für sie unvergesslich.
Was sie gehört und
gesehen haben, wird ihnen geheimnisvoll noch lange nach nachgegangen sein.
Ich
bin sicher: Maria hat auch all diese Worte und Geschehnisse in ihrem Herzen
bewahrt, sie hin und her bewegt, sie meditiert. Es braucht oft viel Zeit und ein
langes Nachsinnen, um Ereignisse zu verarbeiten und Erlebtes zu verstehen und
die Tragweite von allem zu ermessen.