Liebe Schwestern
und Brüder!
Es war im Rahmen der
Erstkommunion-Vorbereitung.
Die Gemeindereferentin
zeigte den Kindern die Sakristei.
Und unter anderem auch die
wertvollen liturgischen Geräte. Schließlich holte sie die große, barocke
und kostbare Monstranz aus dem Tresor. Die Kinder waren beeindruckt. Die
Gemeindereferentin erklärte für was die Monstranz gebraucht wird. Da
sagte ein Kind: „Was, so etwas Großes und Wertvolles für ein kleines
Stück Brot?!“
Ehrlich gesagt: Ich kann das
Erstaunen des Kindes gut verstehen: Einerseits eine kleine, unauffällige
Hostie, äußerlich gesehen nichts Besonderes, ein kleines Stückchen Brot.
Und andererseits außenherum die wunderschöne, kostbare Monstranz,
künstlerisch total hochwertig, alles fein gearbeitet und verziert.
Noch eine andere Begebenheit,
die direkt mit Fronleichnam zu tun hat. Nach dem Gottesdienst in der
Stadtkirche setzte sich die Prozession in Bewegung. Alles war gut
vorbereitet, alles lief wie geplant. Doch auf einmal – man war schon ein
Stück gegangen – da merkte der Pfarrer, dass er etwas vergessen hatte.
Und was meinen Sie, was? Er hatte es versäumt, die kleine
Hostie in die Monstranz
einzusetzen. Alles war perfekt organisiert, es fehlte an nichts. Alles
lief wie am Schnürchen. Nur das Wesentliche hatte er vergessen. – Was
machen? Die Prozession weiterziehen lassen? Wahrscheinlich würde keinem
Menschen etwas auffallen.
Der Pfarrer ließ die Prozession
anhalten, eilte zurück in die Kirche, holte das Allerheiligste und
setzte es in die Monstranz ein. Jetzt war alles so, wie es sich gehört.
Vielleicht
denken Sie: Ein kleines
Missgeschick! Das kann passieren. Wer hat noch nie etwas vergessen? Und
gerade an einem solchen Tag, im Eifer des Gefechts. da muss ja ein
Sakristan oder auch der Pfarrer an so viel denken und so viel im Blick
haben.
Aber, liebe Schwestern und
Brüder, die Begebenheit kann uns auch nachdenklich machen. Eine
Fronleichnamsprozession ohne Hostie! Könnte das nicht auch ein Bild für
unser Leben sein, unser eigenes Leben und auch das unserer Kirche?
Wir alle gehen unsere Wege, stellen
uns den Herausforderungen des Lebens, sind mit anderen unterwegs:
Freunden, Familienangehörigen, Nachbarn, Arbeitskollegen, Mitbewohnern…
Wir sind auf dem Weg.
Und doch: Beschleicht uns nicht ab
und zu das Gefühl, dass uns was fehlt, dass uns etwas Wesentliches
abhandengekommen ist, nämlich die Mitte von allem, das, was allem den
Sinn verleiht, das Wissen um das rechte Ziel, die Orientierung, die uns
Erfüllung schenkt?
Ja, man kann ganz viele Wege gehen
und manche lange Wegstrecke
hinter sich bringen, ohne sich viel Gedanken zu machen. Doch einmal
kommen Fragen. Unruhe stellt sich ein. Wir merken, dass uns etwas fehlt,
dass wir auf eigentliche Fragen des Lebens auf einmal keine Antwort
haben: Wer bin ich? Was darf ich hoffen? Wofür will ich wirklich leben?
Was gibt allem einen letzten Sinn und Gelingen?
Liebe Schwestern
und Brüder!
Die Prozession ohne Hostie. Ist das
nicht oft genug auch ein Bild für uns als Kirche und Gemeinde? Was wird
da nicht alles organisiert und auf den Weg gebracht? Was wird da nicht
alles geplant und unternommen? Was wird da nicht alles geschrieben an
Papieren, Statistiken und Verlautbarungen?
Aber, sagen Sie es selbst: Fehlt
nicht – bei allen Aktivitäten und bei aller Betriebsamkeit – irgendwo
die Mitte, das Eigentliche,
der Blick auf den lebendigen Christus? Sind wir – um im Bild zu bleiben
– nicht manchmal zu sehr mit immer neuen Prozessionsordnungen
beschäftigt, anstatt auf den zu hören und dem zu folgen, um den es
eigentlich geht? Und greifen nicht manche Neuansätze, Konzepte und
Strukturveränderungen ins Leere, weil wir uns zu wenig mit dem Herrn in
unserer Mitte auf den Weg gemacht haben, weil wir zu wenig mit ihm
rechnen und schon
gar nicht mit dem Wirken seines
Geistes?
Liebe Schwestern
und Brüder!
Der Pfarrer in der eingangs
erwähnten Geschichte hat die Prozession anhalten lassen, als er sah,
dass er das Eigentliche vergessen und das Wesentliche aus dem Blick
verloren hatte. Er hat sie nicht einfach weiterziehen lassen, auch wenn
kein Mensch gemerkt hätte, dass die Mitte fehlt, der Eigentliche, der
Heilige schlechthin, das „Allerheiligste“ – klein, unscheinbar, Christus
verborgen gegenwärtig, sich nicht aufdrängend – und doch so machtvoll,
heilbringend, so segensreich.
Liebe Schwestern
und Brüder!
Wenn wir merken, da stimmt etwas
nicht, wenn wir wahrnehmen, dass wir das Eigentliche und Wesentliche gar
nicht mehr im Blick haben, wenn wir spüren, dass nicht alles einfach so
weitergehen kann, wie wir es gewohnt waren, wenn wir merken, dass wir –
auch bei aller frommen Routine und aller religiösen Geschäftigkeit – im
Grunde genommen gottvergessen dahinleben, dann dürfen, ja dann sollten
auch wir einmal anhalten, innehalten, uns besinnen, um IHN neu
einzulassen in unsere Mitte, um IHN neu aufzunehmen in unser Leben und
Ihm den Platz geben, der IHM gebührt, nicht „unter ferner liefen“,
sondern um IHN Herr sein zu lassen, auf dessen Wort wir hören und nach
dessen Weisung wir uns ausrichten.
Manchmal braucht es allerdings so
etwas wie ein heilsames Erschrecken, damit wir wieder neu inspiriert und
neu motiviert weitergehen
können, sei es als einzelne, als Kirche, als
Gemeinde oder auch als Gemeinschaft – neu inspiriert und neu motiviert
weitergehen, erfüllt von SEINEM Licht und SEINER Kraft, erfüllt von
SEINER Freude und SEINEM Frieden.
Möge der Festtag
heute eine Einladung dazu sein. Amen |