Eine alte jüdische Legende
erzählt von vier großen Theologen, denen eines Tages eine hohe Auszeichnung
zuteil wird:
Für einen Augenblick
dürfen sie ins Paradies, um Gott in seiner Herrlichkeit zu schauen. Als sie
danach zu den Menschen zurückkommen, sind die vier ganz verstört. - Der
erste, so erzählt die Legende, warf sich mit zitternden Gliedern auf
sein Lager, nahm weder Speise noch Trank zu sich und starb nach wenigen Tagen. -
Den zweiten bedrängten die ungeheuren Bilder, die er gesehen
hatte. Er kam mit seinem Leben nicht mehr zurecht und versank im Wahnsinn. - Dem dritten erschien sein Leben auf einmal ganz und gar sinnlos. Was
wir hier haben ist doch ganz und gar nichtig im Vergleich zum Ewigen - so rief
er aus und warf verzweifelt allen Glauben von sich. - Der vierte
schließlich, Rabbi Akiba, sagte: Wir sind tot, gemessen an seinem Leben, wir
sind eng und klein vor seiner Unendlichkeit, wir sind Toren vor seiner ewigen
Weisheit. Dennoch hält er seine Hand über uns und hat uns dieses Leben
gegeben, damit wir darin wirken zu seiner Ehre. Und er fing an, von ihm
zu sprechen - mit den armen Worten dieser Erde.
Die Menschen, die sich diese Geschichte ausgedacht und sie
erzählt haben, haben etwas von Gott verstanden - oder besser, sie haben etwas
von ihm erfahren!
Gott ist uns Menschen unendlich überlegen, er ist
größer, viel größer, als wir ahnen und mit unseren Worten sagen können. Unsere
Worte bleiben arm. Alles, was wir über ihn sagen, bleibt im Grunde hilfloses
Gestammel. All unsere Worte, Vorstellungen und Bilder, sie reichen nicht hin,
sein Geheimnis zu erfassen. Seine Pläne mit uns bleiben oft undurchschaubar und
rätselhaft. Gott ist der Verborgene, der Geheimnisvolle, der ganz Andere. Und
doch, auch das haben sie erfahren: Dieser Gott ist uns nah. Es ist fast ein
Wunder: Er hält seine Hand über uns. Wir sind ihm wichtig. Wir liegen ihm am
Herzen, dürfen uns ihm anvertrauen.
Gottes Größe ist unerforschlich. Sein Reichtum
ist unerschöpflich. Seine Gedanken und Absichten sind für uns oft unbegreiflich.
Und wie unzulänglich und arm sind unsere menschlichen Worte!
Ich denke: wir alle haben das schon erlebt.
Eltern zum Beispiel, wenn ihre Kinder nach Gott fragen. Wie schwer fällt es oft
zu antworten. - Wenn z.B. ein Kind zum ersten Mal erfährt, wie viel Sinnloses
es in der Welt gibt, den Tod, ein schreckliches Unglück. Wenn es tief
erschrocken ist über den toten Vogel auf dem Rasen. Wenn es fragt angesichts der
Tagesschau: Warum musste dieses Erdbeben sein, dieses Unglück? Warum müssen so
viele Menschen sterben, so viele Kinder verhungern? Oder angesichts eines
Todesfalls: Warum musste die Oma sterben?
Wenn
die Eltern dann Antwort zu geben versuchen, warum sollen die Kinder nicht
merken, dass sie sich schwer tun. Ich halte es für ganz wichtig, dass sie
erfahren: über Gott kann man nicht so selbstverständlich sprechen wie über alles
andere.
Warum sollen wir nicht zugeben: Du, da bin ich
genauso hilflos und ratlos. Auch ich frage mich: Warum muss das so sein? Wieso
lässt Gott das geschehen? Wie können Menschen so abgrundtief bös sein? Ich kann
das alles auch nicht begreifen. Und trotzdem versuche ich, an Gott zu glauben,
ihm zu vertrauen. Ich bitte ihn: Gott gib mir Kraft, an dir festzuhalten, auch
wenn ich so viele Fragen habe, und gib den anderen die Kraft, an dir nicht zu
verzweifeln. Ja, ich glaube an dich. Ich versuche es wenigstens, auch wenn ich
vieles nicht verstehe.
Sehen Sie: So ist es auch mit dem heutigen Fest.
Dreifaltigkeit. Von uns aus stoßen wir an Grenzen. Die klügsten Theologen haben
sich daran die Zähne ausgebissen. Wir können in Gottes Innerstes Geheimnis
nicht vordringen. Gott ist größer als unser menschliches Denken. Und wir können
die Wahrheit über ihn nicht einfach in ein paar griffige Sätze und Formeln
fassen.
Für uns Christen ist Gott nicht ein abstrakter
philosophischer Gedanke, das Absolute oder das Sein schlechthin. Gott ist mehr,
viel mehr.
Für mich sind drei Aspekte wichtig geworden:
Erstens:
Gott ist ein lebendiges Gegegenüber, ein Du. Man kann ihn anreden, man kann zu
ihm beten. Man kann sich ihm anvertrauen. Er ist der persönliche, liebende Gott,
zugänglich für unser Beten und Rufen.
Zweitens:
Gott ist ein Gott „für uns“. Er ist kein in sich ruhendes und sich selbst
genügendes Geheimnis fern über den Wolken. Er ist ein Gott, dem es um uns
Menschen geht. Augustinus hat einmal gesagt: „Die Sehnsucht Gottes ist der
Mensch.“
Schon im Dornbusch hat sich Gott dem Mose
geoffenbart als der „Ich bin da - für euch“. Und das Volk Israel hat ihn in den
verschiedensten Situationen als den Befreier- und Rettergott erfahren, ein Gott
der barmherzig ist und treu.
„Gott für uns“: Ganz deutlich und sichtbar wird
das in Jesus Christus. In ihm ist Gott selbst Mensch geworden, einer von uns,
unser Bruder. Jesus ist das Ja Gottes zu uns Menschen.
Ein Gott in drei Personen: Vater, Sohn und Hl.
Geist. Mir ist da noch ein Drittes wichtig: Gott ist sich
verströmende Liebe. Also kein abstraktes Weltgesetz, nicht der einsame
Weltenmeister, der die Welt uns den Menschen sozusagen schafft, damit er ein
wenig Unterhaltung hat. Nein, Gott ist ins sich selbst Liebe, lebendiger
Austausch, Liebe, die sich mitteilt, lebendiger Dialog: Vater, Sohn, Heilig
Geist. Und wir Menschen sind da miteinbezogen. Wir sind ihm wichtig. Wir liegen
ihm am Herzen.
Wie sagte Rabbi Akiba: Wir sind tot, gemessen an
seinem Leben, wir sind eng und klein vor seiner Unendlichkeit, wir sind Toren
vor seiner ewigen Weisheit, dennoch hält er seine Hand über uns.
Es war vor Jahren auf einem Bahnsteig. Der Zug
musste jeden Moment einlaufen. Es regnete. Ein Betrunkener torkelte daher, die
Bierflasche in der Hand. Irgend etwas redete er vor sich hin. Dann wankte er auf
mich zu und blieb vor mir stehen. Mit seiner Flasche tippte er vor meine Brust
und fragte: GLAUBST DU AN GOTT?
Darauf war ich nicht gefasst. Abends kurz vor
sechs auf einem regennassen Bahnsteig. Und der Zug sollte jeden Moment
einlaufen. Ich hatte keine Lust, mich mit einem Betrunkenen zu unterhalten. Und
dann diese Frage. Sollte das ein Witz sein?
Ich wollte nicht antworten. Es war einfach
peinlich. Die Leute gafften. Aber sein Gesicht war mir so nahe, dass ich ihm
nicht ausweichen konnte. Und dann antwortete ich doch ganz spontan. Ich sagte
nur: „Ja“! - Eigentlich wollte ich weiterreden. Ihm erklären, wie ich zu dieser
Antwort komme. Wahrscheinlich hatte ich Angst vor seiner Reaktion, dass er sagen
würde: „Na, dann zeig ihn mir doch mal!“ - Aber er wollte gar keine Erklärung.
Er sagte nur: „Mensch, du hast`s gut!“ - Erst in diesem Augenblick sah ich ihn
richtig. Sein Gesicht war müde und kaputt.
Mensch, du hast`s gut, wenn du an Gott glauben
kannst, behauptet einer mit einem kaputten Gesicht und wahrscheinlich ebenso
verpfuschtem und verkorksten Leben..
Nachher im Zug hatte ich Zeit, darüber
nachzudenken. Bestimmt hat ihm das Leben übel mitgespielt. Mit Gott meint er
vielleicht etwas, das ihm fehlt, eine Grundlage, auf der man stehen kann, ein
Fundament, das im Ernstfall trägt, ein Licht in der Dunkelheit, einen Wegweiser
im Labyrinth des Lebens.
Wir
glauben nicht an ein fernes Wesen über den Wolken, sondern an einen Gott, der
uns Menschen zugewandt ist, einen Gott, der uns liebt, der verzeiht und immer
nahe ist. Diesen Gott feiern wir heute. - Wer an ihn glauben kann, für den gilt
in der Tat: „Mensch, du hast`s gut!“
(Dieser Predigt verdanke ich Gedanken und Formulierungen von F.J. Ortkemper)
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