Vor etlichen Jahren habe
ich – im Blick auf Fronleichnam – von einem fast 90-jährigen Mitbruder
(mittlerweile ist er verstorben) ein altes, vergilbtes Blatt mit
folgendem Text bekommen:
Jeder von uns fühlt sich
zutiefst verpflichtet, Christus, den Herrn, in die Welt zu tragen. Christoferi sind wir. Denke es dir ganz lebendig: Du gehst durch die
Stadt, du gehst durch die bunte Menschenmenge – es geht Christus in dir.
Du gehst durch die Anlagen, über die Plätze, durch die engen Gassen der
Altstadt: Überall, wo du gehst, geht „Christus“!
Gewöhne es dir an, das lebendig im Sinn zu
haben! Lebe dich ganz hinein in diese Überzeugung: „Herr, du gehst wahrhaftig in mir durch
diese Stadt! Herr, du in mir, segne die Menschen, denen ich jetzt
begegne! Segne diesen Mann, der so verbittert dreinschaut, als wolle er
alles vergiften! Segne dieses Mädchen, das so schrecklich aufgetakelt
und oberflächlich dahertändelt! Segne diese alte Frau, der Gram und
Sorge aus den Augen schauen. Segne das Kind, das so voll Unschuld und
Reinheit mich ansieht. Segne, segne, segne, mein Herr! Segne alle und
jeden! Segne doppelt diesen Menschen hier, der mich anblickt, als wisse
er, dass du in mir gehst. Vielleicht gehst du auch in ihm durch die
Straßen und es ist ein Funke hinüber- herüber gesprungen, Geist vom
gleichen heiligen Geist, als wir einander begegneten. Gib mir helle
Augen, Herr, dass ich lerne, die Kinder deines Lichtes zu erkennen, um
ihnen besondere Liebe zu erzeigen. – Wenn du meine Augen klar machst,
dann kann ich auch erkennen, wer vom Bösen ist, wer mir schaden kann.
Aber ich fürchte mich nicht, weil du bei mir bist. Ich werde siegreich
über das Böse schreiten.“
So gehen wir und tragen
Christus mit uns überall hin, mit besonderem Bewusstsein aber dahin, wo
wir wissen, dass man von ihm nichts wissen oder ihn sogar vertreiben
will.
Wir gehen mit Maria, der
Mutter des Herrn, die ihn trug und so der Welt das Heil brachte. Indem
wir mit ihr gehen, unserer Mutter und Schwester, bringen auch wir der
Welt das Heil. Betend wollen wir gehen, uns ihr empfehlen und mit ihr
Christus tragen.
Ist das nicht eine
Fronleichnamsprozession, die wir da veranstalten, unsichtbar und doch
wunderbar, noch wunderbarer und verborgener wie wenn wir den Herrn in
der Monstranz durch die Straßen tragen? Wirklich, lieber Bruder, liebe
Schwester, aber es gehört noch mehr Glaube und noch mehr Liebe dazu als
bei der Prozession am Fronleichnamstag.
Komm, wir wollen uns
aufschwingen zu dieser Liebe und bitten um diesen Glauben!
Gib diesen Gedanken weiter
an deine Vertrauten, dass sie mittun! Wenn alle dabei sind, die guten
Willens sind, dann wird es so, dass es keine Straße und kein Platz in
unserer Stadt mehr gibt, wo nicht Christus segnend hinschreitet.
Muss der Herr sich nicht
einer Stadt erbarmen, wo viele Christoferi, viele Christusträger,
viele Christusbringer segnend und betend durch die Straßen gehen?
Der Text ist einige Jahrzehnte alt. Der
Mitbruder, der mir das Blatt gab, hat erzählt, wie sie im Krieg (auch
bei der Wehrmacht) im Untergrund Christsein gelebt haben. Solche Briefe
wurden – ähnlich den Predigten des münsteraner Bischofs von Galen –
unter der Hand weitergeben an Menschen, denen man vertraute.
Vor kurzem bin ich wieder auf dieses
Blatt gestoßen und mir sind beim Lesen und Nachdenken einige Dinge
bewusst geworden:
Erstens:
Es gab einmal eine Zeit auch bei uns, in der es Mut erfordert hat,
Christ zu sein und dazu zu stehen. Es gibt immer noch Menschen, die
davon lebendige Geschichten erzählen können. Und ich habe daran gedacht,
dass es auch in unserer Zeit eine Reihe Länder gibt, in denen es
gefährlich ist, Christ zu sein. Da kann es viel kosten, sich zu Christus
zu bekennen, sogar das eigene Leben. Wir erfahren immer wieder davon.
Zweitens
ist mir gekommen, dass unsere Situation gar nicht so ganz anders ist.
Christsein, sich zum christlichen Glauben bekennen und ihn im Alltag
leben, ist zwar – Gott sei Dank – bei uns nicht lebensgefährlich, aber
leicht ist es oft auch nicht. Überzeugte Christen, die es versuchen in
der Familie, am Arbeitsplatz, im Verein usw. können ein Lied davon
singen. Auch heute begegnet solchen Menschen, die mit ihrem Christsein
im Alltag ernst zu machen versuchen, manches Unangenehme und Negative,
zum Teil sogar aus den vermeintlich eigenen Reihen.
Drittens:
Mir gefällt der Gedanke, Christus durch die Straßen zu tragen. Er ist da
im eucharistischen Brot, wirklich gegenwärtig. Das feiern wir und das
tun wir an Fronleichnam.
Aber er ist noch in einem ganz anderen,
tieferen Sinn bei uns, geht mit uns, ja ist in uns, wohnt in uns.
Der
Apostel Paulus sagt den Athenern auf dem Areopag: „Gott ist uns nicht fern. In ihm leben wir,
bewegen wir uns und sind wir.“
Und
von sich sagt er: „Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir.“
Edith Stein betet: „Du näher mir als ich mir selbst, innerer als
mein Innerstes, göttliches Licht, heiliger Geist, ewige Liebe!“
Viertens:
Ich finde es schön, durch die Straßen zu gehen, durch die bunte
Menschenmenge mit dem Bewusstsein: Christusträger zu sein; mit dem
Bewusstsein: „Du in mir.“
Christus geht in mir. Er lebt und betet
in mir. Er segnet die Menschen, denen ich begegne und die ich ansehe.
Mein alter Mitbruder, von dem ich obigen Text bekommen habe, sagte
damals sinngemäß: „Die eucharistische Gegenwart Gottes ist nicht
zu trennen von seiner Gegenwart in den Menschen. Jeder getaufte und
gläubige Mensch ist im Grunde eine lebendige Monstranz. Wir tragen und
bergen – wie Maria – auf geheimnisvolle Weise die göttliche Gegenwart.“
Sind wir uns dessen nicht viel zu wenig
bewusst? Sollten wir uns das nicht viel öfter in Erinnerung rufen: „Du in mir“?
Lebendige Monstranz sein!
Ist das nicht etwas, was wir mit Bedacht
und Aufmerksamkeit im Alltag üben, einüben, uns immer wieder ins
Bewusstsein rufen sollten, um dann verstärkt und intensiv auch aus
dieser Überzeugung zu leben und zu handeln?
Lebendige Monstranz sein!
Können andere bei mir etwas davon merken?
Zeigt sich das in meinem Umgang mit den Menschen? Ist mein Verhalten
ihnen gegenüber von Ehrfurcht und Liebe geprägt?
Lebendige Monstranz sein!
Christus lebt, betet, geht und segnet in
mir und durch mich!
Welch Gnade! Welch große Gabe, aber auch
Aufgabe!
Welche Kostbarkeit und Würde, aber auch
welche Berufung und Herausforderung! |