„Ein
Mensch begegnet einem zweiten.
Sie wechseln Förmlich- und Herzlichkeiten,
sie zeigen Wiedersehensglück
und gehen zusammen gar ein Stück.
Und während sie die Stadt durchwandern,
sucht einer heimlich von dem andern
mit ungeheurer Hinterlist
herauszubringen, wer er ist.
Dass sie sich kennen, das steht fest,
doch äußerst dunkel bleibt der Rest.
Das Wo und Wann, das Wie und Wer,
das wissen alle zwei nicht mehr,
doch sind sie, als sie sich nun trennen,
zu feig, die Wahrheit zu bekennen.
Sie freun sich, dass sie sich getroffen;
jedoch im Herzen beide hoffen -
indes sie ihren Abschied segnen -,
einander nie mehr zu begegnen.“
Eugen Roth
Wir schmunzeln bei dem Gedicht von Eugen Roth.
Was es schildert, ist uns nicht ganz fremd.
Ähnliches haben wir auch schon erlebt. Unerfreuliche Begegnungen, mühsame,
störende, lästige...- Wer kennt sie nicht? Man macht gute Mine zum bösen Spiel.
Man wechselt Förmlich- und Höflichkeiten.
Man schaut auf die Uhr und denkt, wenn er oder
sie nur ginge.
Und hofft beim Abschied, einander nie mehr zu
begegnen.
„Unser Leben“,
hat einmal jemand gesagt, „ist die Geschichte unserer
Begegnungen.“
Gott sei Dank, gibt es nicht nur die negativen
Begegnungen, sondern auch die positiven. Vermutlich sind sie sogar in der
Überzahl. Begegnungen, die uns gut tun, Begegnungen, die befreiend sind,
Begegnungen, die ermutigen und froh machen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wenn Sie sich an die bisherigen Stationen ihres
Lebens erinnern, was für wohltuende Begegnungen fallen Ihnen da ein?
Welche Begegnungen waren für Sie entscheidend,
wegweisend? Welche Begegnungen haben Ihr Leben positiv geprägt?
Was - würden Sie sagen - war wohl die schönste
Begegnung in Ihrem Leben? - Die erste Liebe? Der Beginn einer Freundschaft? Der
Schatzfund des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin?
Eine Begegnung mit Vater oder Mutter? Mit einem
der Geschwister? Den Großeltern? 0der sonst jemandem?
Während ich so spreche, ist Ihnen sicherlich
schon eine Szene in den Sinn gekommen, eine Erinnerung, ein Begegnen, ein
Zusammensein, ein Besuch.
„Unser Leben ist die Geschichte unserer
Begegnungen.“
Und, so sagt M. Buber: „Alles wirkliche Leben
ist Begegnung“.
Ja, wir alle leben von Begegnungen mit Menschen,
die uns wohlwollen, die uns gut sind. Wir suchen Begegnung mit Menschen, die uns
verstehen, wo wir uns akzeptiert fühlen. Wir sehnen uns nach Begegnungen, wo uns
Wertschätzung entgegenkommt, Begegnungen, die von Güte und Vertrauen geprägt
sind, Begegnungen, wo Herzlichkeit und Wärme zu spüren ist.
Solche Begegnungen lassen uns förmlich aufblühen,
sie vermitteln Lebenslust, sie machen froh und glücklich.
Vielleicht fragen Sie sich, liebe Schwestern und Brüder, warum
ich heute soviel von Begegnung spreche? Ganz einfach: „Mariä
Heimsuchung“
ist das Fest einer wohltuenden Begegnung.
In der Ostkirche heißt es sogar – und das finde
ich sehr schön und treffend: „Fest der Begegnung“.
Beim Wort „Heimsuchung“ denken wir heute
eher an etwas Schweres und Negatives. Von „Heimsuchung“ sprechen wir bei
einer Katastrophe, bei einem Unglück, einem Schicksalsschlag.
Ursprünglich hat Heimsuchung aber eine positive Bedeutung. Gemeint ist nämlich der Besuch
im Heim, im Daheim eines anderen, der Besuch im Hause lieber Menschen. Und es
klingen all die schönen und beglückenden Erfahrungen mit, die mit einem solchen
Besuch und mit echten, gelungenen Begegnungen verbunden sind.
Maria besucht ihre Verwandte Elisabeth. Sie macht sich auf
den Weg nach Ain Karin, dorthin, wo Elisabeth daheim ist.
Oft ist es dargestellt worden,
wie die beiden Frauen einander begegnen, wie sich herzlich begrüßen, sich
liebevoll umarmen, wie sie sich verbunden fühlen nicht nur als Verwandte,
sondern auch seelisch, geistlich verwandt, noch mehr verbunden durch eine für
beide außergewöhnliche Schwangerschaft.
Unfassliches ist geschehen an Elisabeth.
Sie, die als unfruchtbar galt, sie, die längst über die Jahre hinaus ist und
eigentlich gar kein Kind mehr erwarten kann, sie ist schwanger mit Johannes.
Noch Unglaublicheres ist geschehen an Maria.
Was ihr zuteil wurde, ist ganz und gar einmalig, unvergleichlich. Es ist
jenseits aller Vorstellung und Erwartung. Es übersteigt alle Begreifen.
Elisabeth
spürt das Besondere an Maria, das Geheimnisvolle ihrer Schwangerschaft und
bringt es ins Wort: „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen und
gesegnet ist die Frucht deines Leibes.“ Und sie begrüßt Maria freudig als
„die Mutter meines Herrn“. Elisabeth erkennt nicht nur, dass Maria
schwanger ist wie sie selbst, viel mehr noch: sie erfasst im heiligen Geist, dass die
Mutter des Allerhöchsten vor ihr steht
Später wird eine Frau bei der Predigt Jesu ganz
spontan und voll Freude ausrufen: „Selig der Leib, der dich getragen und die
Brust, die dich genährt hat!“
Ja, Maria trägt das Gotteskind unter ihrem
Herzen, den lang ersehnten Retter, den Immanuel, den „Gott mit uns“. Gott kommt
in die Welt. Gott schenkt uns einen Sohn.
Maria ist die Mutter des Erlösers. Sie ist die
Gottesgebärerin.
In der Begegnung mit Elisabeth bestätigt sich für Maria, was ihr
der Engel gesagt hatte: „Für Gott ist nichts
unmöglich.“
Liebe Schwestern und Brüder!
In der Bibel gibt es viele Begegnungsgeschichten.
Ich finde:
Eine der schönsten und faszinierendsten ist diese Begegnung zwischen Maria und
Elisabeth. Und mich wundert es nicht, dass die frühen Brüder und Nachfolger des
Franz von Assisi - allen voran Bonaventura als Generalminister - dieses Fest im
Franziskanerorden eingeführt haben, bevor es drei Jahrhunderte später in den
allgemeinen Festkalender aufgenommen wurde.
Aber
nicht nur Maria begegnet Elisabeth, nicht nur ein junges Mädchen der älteren
Frau, nicht nur zwei werdende Mütter begegnen sich, nicht nur Generationen
begegnen sich, auch die Kinder begegnen sich: Johannes begegnet Jesus,
der Vorläufer dem kommenden Messias. Und der Erlöser begegnet seinem
Wegbereiter.
Auf alten Bildern
sind die kleinen Kinder manchmal mit dargestellt.
Süß und fast witzig sind sie gemalt,
embryonenhaft im Leib ihrer Mütter. Und sie zeigen Reaktionen. Aktiv nehmen sie
teil an der Begegnung. Von Johannes heißt ja: Das Kind hüpfte vor Freude im
Schoß der Elisabeth.
Heute
wissen wir, wie viel ungeborene Kinder schon alles mitbekommen und aufnehmen.
Viel mehr als wir denken.
Und so
zündet es nicht nur zwischen den beiden Frauen bei dieser Begegnung, einer
Begegnung voll Einklang und tiefem Einverständnis, es zündet auch bei und
zwischen den Kindern im Mutterleib.
Eine bewegende Geschichte, ein aufregender Besuch, eine
ganz einzigartige Heimsuchung, eine Begegnung voll Seligkeit und Freude. Da wird
Heimsuchung zum Fest.
Und alles geschieht im Heiligen Geist. Alles geschieht
sozusagen im Wirkbereich und Energiefeld des lebendigen Gottes – mitten im Haus
des Zacharias, des Tempelpriesters, der im Gegensatz zu Maria der Botschaft des
Engels nicht geglaubt hat und deshalb stumm, sprachlos geworden ist.
Elisabeth aber, die Priesterfrau, feiert - vom Geist durchbebt - die junge Mirjam und
preist sie selig. „Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was
der Herr ihr sagen ließ.“
Maria ihrerseits reagiert, gibt Antwort. Ihr Herz ist voll
Freude, voll Freude über Gott. Die Freude sucht Ausdruck. Wovon das Herz voll
ist, davon läuft bekanntlich der Mund über.
Maria ruft ihre Freude hinaus. Sie jubelt und singt. Sie
singt ein Lied, ein Danklied, ein Loblied. Sie bezeugt Gott als Retter. Sie
preist seine Größe und Macht. Sie preist sein Erbarmen und seine
unerschöpflichen Treue.
Mariä Heimsuchung,
„Fest der Begegnung“: geglückte, gelungene, wohltuende Begegnung, von
Mensch zu Mensch, von Frau zu Frau, von Kind zu Kind und mittendrin: Begegnung
mit Gott
„Gott hat sein Volk besucht und ihm Erlösung
geschaffen.“
Heute, am Fest Mariä
Heimsuchung feiern wir eigentlich und letztlich Gottes
Heimsuchung. Gott sucht den Menschen heim.
Auch jetzt und hier – mitten unter
uns in seinem Wort und Sakrament: Gottesbegegnung.
Mit Elisabeth können wir
fragen: „Wer bin ich, dass du, Jesus, zu mir kommst“ in der heiligen
Eucharistie, dich mir schenkst im Brot des Lebens? „Wer bin ich, dass du,
Jesus, zu mir kommst“ im Bruder, in der Schwester, im Notleidenden, in dem,
der meine Hilfe braucht?
„Unser Leben ist die Geschichte
unserer Begegnungen.“
Wirkliche Begegnung, gute
Begegnungen, wohltuende, befreiende geschehen dort, wo ein guter Geist herrscht,
heiliger Geist. Dann genügt ein Blick, ein Gruß, eine Umarmung, ein gutes
Wort und Vertrauen ist da, tiefes Verstehen, Einklang, liebevolles Anteilnehmen.
Dann springt die Freude über und das Herz singt – wie bei Elisabeth und Maria.
Loben wir heute - bei
unserem Besuch hier am Gnadenort in Zell wie Maria und mit Maria – unseren
Gott, der in Jesus gekommen ist zu suchen, was verloren war und zu heilen, was
verwundet ist.
Kommen wir voll Vertrauen
zu Maria, der Mutter unseres Herrn, die auch unsere Mutter ist! So wird
die Wallfahrt an dieser Gnadenstätte zur Heimsuchung im ursprünglichen und guten
Sinn des Wortes.
Vertrauen wir der Mutter
von Zell, bei unserem Besuch bei ihr, hier in ihrem Heiligtum, unsere Nöte und
Sorgen an!
Erflehen wir ihre Hilfe und ihren Schutz. Sie ist mächtig, uns aus Nöten und Gefahren zu
erretten.
Und vertrauen wir ganz fest wie
Maria dem Immanuel, dem Gott mit uns! Glauben wir ganz fest wie Maria:
Bei Gott ist nichts unmöglich! Und seien wir gewiss wie Maria: Gottes
Kraft geht alle Wege mit!
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