geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Mariä Heimsuchung

 

 

„Ein Mensch begegnet einem zweiten.

Sie wechseln Förmlich- und Herzlichkeiten,

sie zeigen Wiedersehensglück

und gehen zusammen gar ein Stück.

 

Und während sie die Stadt durchwandern,

sucht einer heimlich von dem andern

mit ungeheurer Hinterlist

herauszubringen, wer er ist.

 

Dass sie sich kennen, das steht fest,

doch äußerst dunkel bleibt der Rest.

Das Wo und Wann, das Wie und Wer,

das wissen alle zwei nicht mehr,

doch sind sie, als sie sich nun trennen,

zu feig, die Wahrheit zu bekennen.

 

Sie freun sich, dass sie sich getroffen;

jedoch im Herzen beide hoffen -

indes sie ihren Abschied segnen -,

einander nie mehr zu begegnen.“

                                     (Eugen Roth)

 

Wir schmunzeln bei dem Gedicht von Eugen Roth.

Was es schildert, ist uns nicht ganz fremd. Ähnliches haben wir auch schon erlebt. Unerfreuliche Begegnungen, mühsame, störende, lästige...- Wer kennt sie nicht? Man macht gute Mine zum bösen Spiel. Man wechselt Förmlich- und Höflichkeiten.

Man schaut auf die Uhr und denkt, wenn er oder sie nur ginge.

Und hofft beim Abschied, einander nie mehr zu begegnen.

„Unser Leben“, hat einmal jemand gesagt, „ist die Geschichte unserer Begegnungen.“

Gott sei Dank, gibt es nicht nur die negativen Begegnungen, sondern auch die positiven. Vermutlich sind sie sogar in der Überzahl. Begegnungen, die uns gut tun, Begegnungen, die befreiend sind, Begegnungen, die ermutigen und froh machen.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Wenn Sie sich an die bisherigen Stationen ihres Lebens erinnern, was für wohltuende Begegnungen fallen Ihnen da ein?

Welche Begegnungen waren für Sie entscheidend, wegweisend? Welche Begegnungen haben Ihr Leben positiv geprägt?

Was - würden Sie sagen - war wohl die schönste Begegnung in Ihrem Leben? - Die erste Liebe? Der Beginn einer Freundschaft? Der Schatzfund des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin?

Eine Begegnung mit Vater oder Mutter? Mit einem der Geschwister? Den Großeltern? 0der sonst jemandem?

Während ich so spreche, ist Ihnen sicherlich schon eine Szene in den Sinn gekommen, eine Erinnerung, ein Begegnen, ein Zusammensein, ein Besuch.

„Unser Leben ist die Geschichte unserer Begegnungen.“

Und, so sagt M. Buber: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“.

 

Ja, wir alle leben von Begegnungen mit Menschen, die uns wohlwollen, die uns gut sind. Wir suchen Begegnung mit Menschen, die uns verstehen, wo wir uns akzeptiert fühlen. Wir sehnen uns nach Begegnungen, wo uns Wertschätzung entgegenkommt, Begegnungen, die von Güte und Vertrauen geprägt sind, Begegnungen, wo Herzlichkeit und Wärme zu spüren ist.

Solche Begegnungen lassen uns förmlich aufblühen, sie vermitteln Lebenslust, sie machen froh und glücklich.

 

Vielleicht fragen Sie sich, liebe Schwestern und Brüder, warum ich heute soviel von Begegnung spreche? Ganz einfach: „Mariä Heimsuchung“ ist das Fest einer wohltuenden Begegnung.

In der Ostkirche heißt es sogar – und das finde ich sehr schön und treffend: „Fest der Begegnung“.

Beim Wort „Heimsuchung“ denken wir heute eher an etwas Schweres und Negatives. Von „Heimsuchung“ sprechen wir bei einer Katastrophe, bei einem Unglück, einem Schicksalsschlag.

Ursprünglich hat Heimsuchung aber eine positive Bedeutung. Gemeint ist nämlich der Besuch im Heim, im Daheim eines anderen, der Besuch im Hause lieber Menschen. Und es klingen all die schönen und beglückenden Erfahrungen mit, die mit einem solchen Besuch und mit echten, gelungenen Begegnungen verbunden sind.

Maria besucht ihre Verwandte Elisabeth. Sie macht sich auf den Weg nach Ain Karin, dorthin, wo Elisabeth daheim ist.

Oft ist es dargestellt worden, wie die beiden Frauen einander begegnen, wie sich herzlich begrüßen, sich liebevoll umarmen, wie sie sich verbunden fühlen nicht nur als Verwandte, sondern auch seelisch, geistlich verwandt, noch mehr verbunden durch eine für beide außergewöhnliche Schwangerschaft.

 

Unfassliches ist geschehen an Elisabeth. Sie, die als unfruchtbar galt, sie, die längst über die Jahre hinaus ist und eigentlich gar kein Kind mehr erwarten kann, sie ist schwanger mit Johannes.

 

Noch Unglaublicheres ist geschehen an Maria. Was ihr zuteil wurde, ist ganz und gar einmalig, unvergleichlich. Es ist jenseits aller Vorstellung und Erwartung. Es übersteigt alle Begreifen.

Elisabeth spürt das Besondere an Maria, das Geheimnisvolle ihrer Schwangerschaft und bringt es ins Wort: „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes.“ Und sie begrüßt Maria freudig als „die Mutter meines Herrn“. Elisabeth erkennt nicht nur, dass Maria schwanger ist wie sie selbst, viel mehr noch: sie erfasst im hl. Geist, dass die Mutter des Allerhöchsten vor ihr steht

Später wird eine Frau bei der Predigt Jesu ganz spontan und voll Freude ausrufen: „Selig der Leib, der dich getragen und die Brust, die dich genährt hat!“

Ja, Maria trägt das Gotteskind unter ihrem Herzen, den lang ersehnten Retter, den Immanuel, den „Gott mit uns“. Gott kommt in die Welt. Gott schenkt uns einen Sohn.

Maria ist die Mutter des Erlösers. Sie ist die Gottesgebärerin.

In der Begegnung mit Elisabeth bestätigt sich für Maria, was ihr der Engel gesagt hatte: „Für Gott ist nichts unmöglich.“

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

In der Bibel gibt es viele Begegnungsgeschichten.

Ich finde: Eine der schönsten und faszinierendsten ist diese Begegnung zwischen Maria und Elisabeth. Und mich wundert es nicht, dass die frühen Brüder und Nachfolger des Franz von Assisi - allen voran Bonaventura als Generalminister - dieses Fest im Franziskanerorden eingeführt haben, bevor es drei Jahrhunderte später in den allgemeinen Festkalender aufgenommen wurde.

 

Aber nicht nur Maria begegnet Elisabeth, nicht nur ein junges Mädchen der älteren Frau, nicht nur zwei werdende Mütter begegnen sich, nicht nur Generationen begegnen sich, auch die Kinder begegnen sich: Johannes begegnet Jesus, der Vorläufer dem kommenden Messias. Und der Erlöser begegnet seinem Wegbereiter.

Auf alten Bildern sind die kleinen Kinder manchmal mit dargestellt.

Süß und fast witzig sind sie gemalt, embryonenhaft im Leib ihrer Mütter. Und sie zeigen Reaktionen. Aktiv nehmen sie teil an der Begegnung. Von Johannes heißt ja: Das Kind hüpfte vor Freude im Schoß der Elisabeth.

Heute wissen wir, wie viel ungeborene Kinder schon alles mitbekommen und aufnehmen. Viel mehr als wir denken.

Und so zündet es nicht nur zwischen den beiden Frauen bei dieser Begegnung, einer Begegnung voll Einklang und tiefem Einverständnis, es zündet auch bei und zwischen den Kindern im Mutterleib.

Eine bewegende Geschichte, ein aufregender Besuch, eine ganz einzigartige Heimsuchung, eine Begegnung voll Seligkeit und Freude. Da wird Heimsuchung zum Fest.

Und alles geschieht im Heiligen Geist. Alles geschieht sozusagen im Wirkbereich und Energiefeld des lebendigen Gottes – mitten im Haus des Zacharias, des Tempelpriesters, der im Gegensatz zu Maria der Botschaft des Engels nicht geglaubt hat und deshalb stumm, sprachlos geworden ist.

Elisabeth aber, die Priesterfrau, feiert - vom Geist durchbebt - die junge Mirjam und preist sie selig. „Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.“

Maria ihrerseits reagiert, gibt Antwort. Ihr Herz ist voll Freude, voll Freude über Gott. Die Freude sucht Ausdruck. Wovon das Herz voll ist, davon läuft bekanntlich der Mund über.

Maria ruft ihre Freude hinaus. Sie jubelt und singt. Sie singt ein Lied, ein Danklied, ein Loblied. Sie bezeugt Gott als Retter. Sie preist seine Größe und Macht. Sie preist sein Erbarmen und seine unerschöpflichen Treue.

Mariä Heimsuchung, „Fest der Begegnung“: geglückte, gelungene, wohltuende Begegnung, von Mensch zu Mensch, von Frau zu Frau, von Kind zu Kind und mittendrin: Begegnung mit Gott

„Gott hat sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen.“

 

Heute, am Fest Mariä Heimsuchung feiern wir eigentlich und letztlich Gottes Heimsuchung. Gott sucht den Menschen heim.

Auch jetzt und hier – mitten unter uns in seinem Wort und Sakrament: Gottesbegegnung.

Mit Elisabeth können wir fragen: „Wer bin ich, dass du, Jesus, zu mir kommst“ in hl. Eucharistie, dich mir schenkst im Brot des Lebens? „Wer bin ich, dass du, Jesus, zu mir kommst“ im Bruder, in der Schwester, im Notleidenden, in dem, der meine Hilfe braucht?

„Unser Leben ist die Geschichte unserer Begegnungen.“

Wirkliche Begegnung, gute Begegnungen, wohltuende, befreiende geschehen dort, wo ein guter Geist herrscht, heiliger Geist. Dann genügt ein Blick, ein Gruß, eine Umarmung, ein gutes Wort und Vertrauen ist da, tiefes Verstehen, Einklang, liebevolles Anteilnehmen. Dann springt die Freude über und das Herz singt – wie bei Elisabeth und Maria.

 

Loben wir heute - bei unserem Besuch hier am Gnadenort in Zell wie Maria und mit Maria – unseren Gott, der in Jesus gekommen ist zu suchen, was verloren war und zu heilen, was verwundet ist.

Kommen wir voll Vertrauen zu Maria, der Mutter unseres Herrn, die auch unsere Mutter ist! So wird die Wallfahrt an dieser Gnadenstätte zur Heimsuchung im ursprünglichen und guten Sinn des Wortes.

Vertrauen wir der Mutter von Zell, bei unserem Besuch bei ihr, hier in ihrem Heiligtum, unsere Nöte und Sorgen an!

Erflehen wir ihre Hilfe und ihren Schutz. Sie ist mächtig, uns aus Nöten und Gefahren zu erretten.

 

Und vertrauen wir ganz fest wie Maria dem Immanuel, dem Gott mit uns! Glauben wir ganz fest wie Maria: Bei Gott ist nichts unmöglich! Und seien wir gewiss wie Maria: Gottes Kraft geht alle Wege mit!