Trümmer, Ruinen, Schutt,
Morast – dies war der Anblick, der sich dem Besucher bot, der 1990 nach
dem ehemaligen Kloster Helfta forschte. Ein trostloses Bild. Seit der
Mitte des 16. Jahrhunderts war das einst so berühmte Kloster – „Krone
der deutschen Frauenklöster“ nannte man es – kein Kloster mehr,
sondern ein
landwirtschaftlicher
Betrieb, dessen Gebäude man im letzten Jahrhundert mehr und mehr dem
Zerfall überließ.
Nichts, gar nichts mehr war zu sehen
oder zu spüren von dem lieblichen Garten der „Wunderblume von Helfta“,
wie man die heilige Gertrud, die im 13. Jahrhundert hier gelebt hatte,
liebevoll bezeichnete. Schutt und Asche!
Und doch fanden sich
Menschen, die, trotz des spöttischen Lachens der Skeptiker, sich mit
aller Kraft und Begeisterung dafür einsetzten, dass gerade dieses
Kloster wieder ins Leben gerufen werden sollte – und dies, so unmöglich
es schien, auch tatsächlich erreichten.
Warum? Warum wollten sie
es um jeden Preis?
Und warum gelang es? – Ich
glaube auf beide „Warum“ gibt es nur eine Antwort: weil, allem Anschein
zum Trotz, etwas vom Duft der Wunderblume von Helfta in diesen
zerbröckelnden Mauern hängen geblieben war, weil ihr Geist hier noch
immer lebendig war. Und letzten Endes, weil Gott wollte, dass durch die
Wiedererrichtung dieses Klosters das geistliche Erbe dieser von IHM so
sehr geliebten Tochter, Freundin und Braut für die Menschen wieder
sichtbar, spürbar, ja fast greifbar werden konnte.
Ja, aber – so werden
manche fragen –: Hat denn der Geist, haben die Gedanken einer im 13.
Jahrhundert lebenden Nonne, die, eingeschlossen in ihr Kloster, ein ganz
verborgenes Leben geführt hat, heute noch etwas zu sagen? Uns Menschen
des 21. Jahrhunderts, die wir in einer völlig veränderten Welt leben?
Ich glaube, die Antwort
ist ganz einfach: Es gibt im menschlichen Leben viele Dinge, die sich
immer wieder ändern. Aber es gibt auch das Zeitlose, das unverändert
Gültige. Und ich denke: Die Botschaft der heiligen Gertrud, der Kern
ihrer Aussage, gehört zu diesem zeitlos Gültigen. Mag ihre Sprache uns
an manchen Stellen zunächst etwas fremd erscheinen – das, was sie uns zu
sagen hat, gilt heute genauso wie vor 700 Jahren, wie es auch schon vor
ihrer Lebenszeit gegolten hat. Und was ist das?
Zuallererst wohl die
Erfahrung, die sie bei ihrer ersten Vision und dann immer und immer
wieder machen durfte: Gott liebt uns. Er geht uns nach. Er sucht uns.
Ja, Er hat Sehnsucht nach uns, Sehnsucht danach, uns zu „berühren“, uns
zu „tränken mit dem Strom seiner Wonnen“, wie Er es Gertrud ausdrücklich
sagt. Und Er sagt es ja nicht nur ihr. Er meint damit uns alle. Und
wonach hat das Menschenherz, heute wie damals, mehr Verlangen als
danach: geliebt, ersehnt, angenommen, umfangen und geborgen zu sein?
Gertrud zeigt uns den Weg,
wo solche Geborgenheit zu finden ist. Und sie zeigt uns auch den Weg,
wie wir zu ihr gelangen können: Indem wir CHRISTUS immer mehr zur Mitte
unseres Lebens machen, uns in IHM festmachen, an IHM orientieren. Und
wiederum an ihr können wir erkennen, wie dadurch unser Herz zur Ruhe
kommt, Frieden und Freude findet.
Die Früchte, die uns aus
einer solch innigen und tiefen Beziehung erwachsen, können wir wiederum
an Gertrud ablesen. Ich möchte auf die drei, die mir als die wichtigsten
erscheinen, kurz eingehen:
Da ist vor allem ihr
unbedingtes Vertrauen auf Gottes vorausschauende und vorsorgende
Güte.
Wie weit sind wir heute
von einer solchen Haltung entfernt! Wir leben nicht nur im Zeitalter der
Medien und der Informationen, sondern auch der Versicherungen. Nach
allen Seiten hin wollen wir uns absichern, leben aber dennoch ständig in
Unsicherheit, in Angst und Sorge. Wie viel hat uns Gertrud in ihrer
unbedingt vertrauenden Sorglosigkeit da zu sagen!
Aus ihrer Erfahrung der
Liebe und Fürsorge Gottes entspringt bei Gertrud eine große
Dankbarkeit.
Auch sie hat uns einiges
zu sagen. Wie sehr neigen wir alle dazu, die ungezählten Wohltaten
Gottes, von denen wir täglich leben, als ganz selbstverständlich
anzunehmen, ohne dass uns je der Gedanke käme, auch einmal zu danken,
Gott für seine unerschöpfliche Güte zu loben.
Ein Letztes möchte ich
noch nennen. Was einen berühren und in Erstaunen versetzen kann, ist die
große Weltoffenheit dieser in strenger Klausur lebenden Nonne.
Sie ist offen für jeden Menschen, der bei ihr Rat, Trost und Hilfe
sucht. Gern opfert sie dafür auch die kostbare Gebetszeit und das stille
Verweilen bei dem geliebten Herrn. Und gerade diese Offenheit für die
Menschen, diese Bereitschaft, für sie da zu sein, gleichsam Gott mit
ihnen zu teilen, scheint mir der beste Beweis für die Echtheit ihrer
Gottesliebe. Das 1. und 2. Gebot durchdringen sich gegenseitig, so wie
der Herr es will.
Vorwort von Schwester M.
Assumpta Schenkl Ocist
in „Gesandter der
göttlichen Liebe“
Christiana Verl. ISBN
3-7171-1093-4 |