Liebe
Schwestern und Brüder!
Bekannt
sind oft nur die Männer und Frauen in der ersten Reihe, die Ideengeber,
die Macher und Macherinnen.
Doch,
damit etwas in die Gänge kommt und weitergeht, braucht es auch andere,
die am gleichen Strang ziehen, Leute, die sich beteiligen, mitmachen und
eine Sache unterstützen.
Eine
solche Frau feiert heute die franziskanische Ordensfamilie.
Es ist
Agnes von Assisi, eine vier Jahre jüngere Schwester der viel berühmteren
heiligen Klara. Wie diese
stammt sie aus dem wohlhabenden Adelsgeschlecht der Offreduccio. Ihr Elternhaus befindet sich noch heute in Assisi neben dem
Dom San Rufino.
Als
Vierzehnjährige erlebte Agnes, wie ihre Schwester Klara in der Nacht auf
Palmsonntag das Elternhaus verließ (1212), um sich Franziskus
anzuschließen, der bei der Portiunkulakapelle mit einigen Brüdern,
darunter auch Rufin, ein Cousin von Klara und Agnes, ein neues Leben
begonnen hatte.
Klara
ließ sich von Franziskus die Haare abschneiden, legte ein grobes
Bußgewand an und versprach die Gelübde des gottgeweihten Lebens.
Für die
Familie war das ein Schock. Der Vater war wütend.
Mit allen
Mitteln versuchte der Clan der Offreduccio Klara zur Vernunft zu bringen
und sie zur Rückkehr zu zwingen.
Aber
Klara blieb standhaft. Ihr Entschluss war unumstößlich.
Als man
sie mit Gewalt zurückholen wollten, zeigte sie ihren geschorenen Kopf.
Da resignierte ihre Verwandtschaft.
Als aber
die vierzehnjährige Agnes nur 16 Tage später es Klara nachmachte,
nämlich auch von zu Hause weglief, ihrer älteren Schwester Klara folgte
und damit ebenfalls die ihr zugedachte Rolle als Ehefrau in der
gehobenen Gesellschaft verweigerte, da war Feuer unterm Dach. Es gab
einen regelrechten Aufstand.
Der
Vater, total erbost und außer sich vor Wut, schickte seinen Bruder
Monaldo mit bewaffneten Reitern los, um zumindest Agnes zurückzubringen,
wenn es sein musste auch mit Gewalt. Agnes widersetzte sich. Man
behandelte sie übel. Sie wurde getreten, geschlagen, misshandelt.
In der
Legende heißt es, dass ihrem Onkel Monaldo, als er die Hand zu einem
tödlichen Faustschlag gegen Agnes erheben wollte, plötzlich ein rasender
Schmerz in den Arm gefahren sei, so dass es ihm unmöglich war,
zuzuschlagen. Und als man versuchte, Agnes wegzuzerren und
fortzuschleppen, da sei ihr Körper so schwer geworden, dass mehrere
Männer es nicht schafften, sie vom Boden aufzuheben und wegzutragen.
Agnes
hatte sich im übertragenen Sinn Gewicht verschafft.
Ihre
spirituelle Kraft und das Gebet von Klara hatten über die physische
Kraft- und Gewaltanwendung ihrer Verwandten gesiegt.
Leben
nach dem Evangelium, den Fußspuren Jesu Christi folgen, leben wie Jesus
gelebt hat, arm wie er arm war, davon war auch Agnes begeistert. Und wie
für Klara, so war auch für sie Franziskus die Lichtgestalt, das große
Vorbild. Sie wollten es ihm gleich tun in einer Form, wie es für Frauen
damals möglich war.
Franziskus gründete für diese Frauen, die vom Ideal eines Lebens in
Armut und Gebet entflammt waren, den „Zweiten Orden“, die Klarissen. Und
Klara schrieb als erste Frau eine Ordensregel für ihre Gemeinschaft, die
allerdings erst zwei Tage vor ihrem Tod vom Papst anerkannt wurde.
Klara als
Äbtissin und Agnes bildeten zusammen den Kern des Frauenklosters von San
Damiano.
Sie
erlebten, wie die noch junge Gemeinschaft sich rasch vergrößerte. Auch
ihre leibliche Schwester Beatrice stieß dazu. Und schließlich schloss
sich sogar ihre eigene Mutter Ortulana den „armen Frauen von San
Damiano“ an.
Später
schickte Klara – auf Wunsch des heiligen Franziskus – Agnes in das
Frauenkloster Monticelli bei Florenz, wo sie der Gemeinschaft über
einige Zeit als Äbtissin vorstand.
Agnes
wäre viel lieber bei ihrer Schwester Klara und im Heimatkloster
geblieben. Sie litt sehr unter der Trennung.
In einem
Brief an Klara und die Schwestern in Assisi, der uns erhalten ist,
schildert Agnes ihr kolossales Heimweh. Sie berichtet aber auch über die
große Eintracht und die geschwisterliche Liebe im Kloster von Montecelli
und wie sie voll Freude und mit großer Liebeswürdigkeit aufgenommen und
angenommen wurde.
In diesem
Brief teilt Agnes Klara auch mit, dass ihr Papst Gregor IX. das „Privileg der Armut“ gewährt habe, um das auch Klara für ihr Kloster
in San Damiano lange Zeit kämpfte.
Bei
diesem „Privileg der Armut“ ging es darum, dass nicht nur jede
einzelne Schwester, wie bis dahin bei anderen Orden üblich, in Armut und
ohne Eigentum leben sollte, sondern dass auch die Gemeinschaft als Ganze
auf jeden Besitz, z. B. Ländereien, Wald, Weinberge usw. verzichten und
nichts zu eigen haben wollte.
Von
Montecelli aus gründete Agnes Klöster in Venedig, Padua und Mantua.
Zu Beginn
des Jahres 1253, als Klara ihr Ende nahen fühlte, rief sie ihre
Schwester Agnes nach Assisi in den Konvent von San Damiano zurück. Klara
war sehr krank. Immer noch wartete und hoffte sie auf die Approbation
ihrer Regel durch Papst Innozenz IV. Der tat sich schwer damit, das
Ideal vollkommener Armut Frauen zuzutrauen und für Frauen anzuerkennen.
Doch als Klara im Sterben lag, eilte der Papst von Perugia, wo er sich
gerade aufhielt, einer Nachbarstadt von Assisi, nach San Damiano und gab
schließlich seine Zustimmung zur Regel.
Klara
hatte erreicht, was sie wollte. Zwei Tage später starb sie.
Agnes
überlebte Klara nur kurz. Wie sie nämlich 16 Tage nach Klara das
Elternhaus verlassen hatte, so folgte sie auch ihrer Schwester nach
genau 16 Tagen auch in den Tod.
Sie starb
am 27. August 1253. Beide Schwestern sind nebeneinander in der Kirche
Santa Chiara in Assisi beigesetzt.
Klara
wurde bereits zwei Jahre nach ihrem Tod heiliggesprochen.
Agnes
erst 1753, im 500ten Jahr ihres Todes.
Agnes und
Klara wussten, was sie wollten und kämpften in einer patriarchalen
Gesellschaft um ein selbständiges Leben.
Konsequent und treu folgten sie ihrer Berufung, auch wenn ihnen
Unverständnis und Widerstand entgegen kam.
Liebe
Schwestern und Brüder!
Jede, jeder ist berufen, etwas zu tun oder zu sein, wozu kein anderer
berufen ist. Jede, jeder hat einen Platz in Gottes Plan, auf Gottes
Erde, den kein anderer hat… Gott kennt uns und er ruft jeden mit seinem
Namen.
(nach Romano Guardini).
Worin
sehe ich meine Berufung, meine Bestimmung?
Welchen
Platz und welche Aufgabe hat Gott mir zugedacht?
Lebe ich
mein Leben, gehe ich meinen Weg in Treue zu mir selbst und in Treue zu
Gott? |