16.
Oktober 1467. Flüeli bei Sachseln, in der Schweiz.
Ein Mann
auf der Höhe seines Lebens, Vater von zehn Kindern – das jüngste ist
gerade geboren – verlässt Frau
und Kinder, Haus und Hof.
Es ist
Nikolaus von Flüe, ein 50 jähriger Bauer, der hohes Ansehen bei seinen
Mitbürgern genießt und eine Reihe führende Ämter in der Öffentlichkeit
bekleidet.
Er zieht
aus und verlässt seine Heimat, um als Einsiedler zu leben.
Jahre hat
er mit sich gerungen. Schon lange zieht es ihn in die Einsamkeit.
Jetzt hat
auch Dorothee, seine Frau, ihr Einverständnis gegeben.
Eigentlich schwebte Niklaus vor, das Leben eines wandernden Pilgers zu
führen.
Er machte
sich auf den Weg zu den „Waldbrüdern“ im Elsass.
Doch kurz
vor Basel folgte er einer inneren Eingebung und kehrte zurück in seine
Heimat.
Erst
hatte er seine Einsiedelei auf der Klüsteralp bei Melchtal.
Doch
schließlich ließ er sich im Ranft nieder, tief unten in der
Melchaschlucht.
Wie er
dort lebte, kann man heute noch sehen, denn seine Einsiedlerklause ist
uns erhalten geblieben.
In ihr
konnte er nicht aufrecht stehen, es gab keinen Tisch, kein Bett, kein
Kochgeschirr.
In der
kleinen an die Klause angebauten Kapelle feierte der Kaplan von Sachseln
immer wieder die Heilige Messe.
Der
Tabernakel barg den Leib des Herrn.
Schon
immer fühlte sich Niklaus zum Gebet hingezogen.
Jetzt
hatte er Zeit zum Beten, Tag und Nacht.
Ein
Gebet ist uns überliefert:
„Mein
Herr und mein Gott!
Nimm
alles von mir, was mich hindert zu dir!
Mein
Herr und mein Gott!
Gib
alles mir, was mich fördert zu dir!
Mein
Herr und mein Gott!
Nimm
mich mir und gib mich ganz zu eigen dir!“
Die
einzige Stärkung, die Bruder Klaus zu sich nahm war die heilige Kommunion.
Man
verdächtigte ihn deswegen und unterstellte ihm Betrügerei.
Über
einen Monat lang umzingelten Wächter die ganze Ranftschlucht, um ihn zu
beobachten und zu bewachen.
Doch
einzig der „Leib des Herrn“ diente ihm als Nahrung.
Man
könnte sagen, sein Leben bestand seit 1467 darin, sich auf die heilige
Kommunion vorzubereiten und für den Empfang der heiligen Kommunion zu
danken.
Jesus
begegnen zu dürfen, war für ihn das größte Glück.
Er fühlte
sich wie der Apostel Thomas, der dem Auferstandenen begegnen durfte. Als
dieser Jesus mit seinen verklärten Wunden sah, als der Herr ihn einlud,
mit seinem Finger die Nagelwunde zu betasten und seine Hand in die
Seitenwunde zu legen, da fiel er nieder und konnte nur noch staunend und
glaubend stammeln: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20, 28).
Das
veranlasste den auferstandenen Herrn zu sagen:
„Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben“.
(Joh 20, 29)
Bruder
Klaus wollte mit Thomas vor Jesus glaubend niederknien:
Ich
glaube, dass du in der Brotsgestalt gegenwärtig bist.
Ich
glaube, dass du dich mir schenkst im Brot des Lebens.
Ich
glaube, dass du in heiliger Kommunion bei mir einkehrst.
Oft und
oft, immer wieder hat Bruder Klaus wohl die Worte, die aus dem
zweifelnden Thomas einen glaubenden Thomas machten, nachgesprochen,
nachgebetet: „Mein Herr und mein Gott!“
Sie sind
ihm zum Herzensgebet geworden.
Später
fügte er hinzu:
„Nimm
alles von mir, was mich hindert zu dir!“
Was
kann den Menschen nicht alles hindern, um Gott entgegen zu gehen! Im
Schuldbekenntnis der heiligen Messe bringen wir es auf den knappen Nenner:
„Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und
Werken.“
Die
Gedanken können uns hindern, auf Gottes Wegen zu gehen.
Es sind
Gedanken, die nur um das Ego kreisen. Es sind Gedanken der Eifersucht,
des Neides und der Schadenfreude, Gedanken des Stolzes, der Gier und des
Geizes.
Bruder
Klaus war nicht frei von solchen Anfechtungen. Deshalb spricht er die
Bitte aus:
„Nimm
alles von mir, was mich hindert zu dir!“
Vieles,
was den Menschen auf dem Weg zu Gott behindert, hat Bruder Klaus mit
seiner Entscheidung für die Einsiedelei mutig abgelegt. Er hat
buchstäblich alles verlassen, um Christus nachzufolgen; Haus und Äcker,
Frau und Kinder.
Diese
letzte Radikalität hat Jesus auch von seinen Aposteln gefordert und
ihnen verheißen: Wer so handelt wird das Hundertfache erhalten und
schließlich das ewige Leben. (Mt 19, 29)
Bruder
Klaus gibt nicht nur. Er möchte auch empfangen:
„Mein
Herr und mein Gott! Gib alles mir, was mich fördert zu dir.“
Das ist
allerdings alles andere als ein billiger Tauschhandel nach dem Motto:
„Ich gebe dir etwas, damit du mir etwas gibst.“
Zum Beispiel:
Ich gehe jede Woche einmal werktags in die Kirche, wenn ich die Prüfung
bestehe.
Oder:
Wenn unsere Mannschaft aufsteigt, mache ich eine Wallfahrt nach
Altötting.
Oder:
Wenn ich wieder gesund werde, spende ich 1000 Euro.
So
versteht Bruder Klaus sein Gebet nicht.
Er legt
alles Gott in die Hände: Gesundheit und Krankheit, Freud und Leid.
Gott möge
ihm geben, was ihn näher zu ihm hinführt.
Gott möge
ihm schicken, was ihm hilft, in den Himmel zu kommen.
Gottes
Wille soll an ihm geschehen.
Manches
hatte der Einsiedler Bruder Klaus zu erdulden.
Man hat
ihn verleumdet. Man hat ihn verspottet. Man hat ihn für einen Heuchler
gehalten.
Man hat
ihn in der Einsamkeit gestört und seine Sehnsucht nach Stille und
Schweigen nicht geachtet.
Er hat es
ebenso geduldig ertragen wie seine körperlichen Leiden.
Wer sich
wie Bruder Klaus ganz Gott hingibt, sich ihm übergibt, der kann
schließlich beten:
„Mein
Herr und mein Gott! Nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir!“
Paulus
drückt den gleichen Gedanken einmal so aus: „Nicht mehr ich lebe,
Christus lebt in mir“. (Gal 2, 20)
Bruder
Klaus, der im Ranft fast 20 Jahre ohne Speise und Trank lebte, den
allein die heilige Kommunion nährte und stärkte und am Leben erhielt,
wollte ganz christusförmig werden. Und er ist dies geworden.
Seine
Nachfolge Jesu bestand im Kreuztragen und im Gebet.
Nicht
zuletzt aber auch darin: Zweifelnden recht zu raten, Trauernde zu
trösten, Lästige zu ertragen, Streitende zu versöhnen und für den
Frieden einzutreten.
Unvergessen ist seine Intervention bei der Tagsatzung von Stans am
Vierwaldstätter See, als man sich nicht einigen konnte, als man sogar
mit einem Bürgerkrieg rechnen musste und der Verfall der Schweiz zu
befürchten war.
32
Konferenzen hatten bereits stattgefunden und die 33. drohte zu
scheitern.
Da
brachte sein Gebet und seine Botschaft innerhalb einer Stunde die
Einigung und bewahrte das Land vor Spaltung und Krieg.
Im ganzen
Land läuteten an jenem 22. Dezember 1481 die Freudenglocken von den
Kirchtürmen.
Ihm, dem
Einsiedler, verdankt die Schweiz es, dass sie in Europa über
Jahrhunderte ein Hort des Friedens wurde und es bis in unsere Zeit
geblieben ist.
Das Gebet
des Bruders Klaus ist ein Jesusgebet.
Es nimmt
dreimal das gläubige und anbetende Bekenntnis des Apostels Thomas auf.
Wer
dieses Gebet andächtig, innig und vertrauensvoll betet, richtet seine
Gedanken und seine Aufmerksamkeit auf Jesus.
Er lässt
sich von seinem Geist erfüllen und von seinem Licht, seiner Kraft und
seiner Liebe durchdringen.
Er lässt
sein Herz von Jesus formen und umgestalten.
Er wird
immer mehr eins mit IHM.
Es ist
ein Gebet, das einem nicht ganz leicht über die Lippen geht, wenn man
bedenkt und wirklich erfasst, worum man da bittet, zu was man sich da
bereit erklärt und auf was man sich dabei einlässt.
Vor allem
das „Nimm mich mir“ ist etwas vom Schwersten und wohl eine
lebenslange Aufgabe. |