Es ist nie leicht von
einem Menschen Abschied zu nehmen, der einem lieb und teuer war. Und je
näher man jemandem stand, je enger man verbunden war, umso schwerer
fällt es. Wenn es die eigene Mutter ist, der man so viel zu verdanken
hat, die Großmutter, Schwiegermutter, die leibliche Schwester oder
Freundin, dann spürt man den Verlust und die Lücke ganz besonders.
Auch ich bin Frau
N. immer wieder einmal begegnet, sei es auf einer Bank im nahen
gelegenen Stadtpark oder zuletzt bei Besuchen zu Hause. Und ich muss
sagen: Irgendwie habe ich sie liebgewonnen. Und so war ich selbst
betroffen, als ich die Nachricht von ihrem Tod erhielt, die für mich
dann doch überraschend kam.
Frau N. hat ein
hohes Alter erreicht. Bis vor einigen Monaten war sie noch recht fit und
ganz gut beieinander. Das ist nicht selbst verständlich. Es ist ein
Geschenk. Zu ihrem vor kurzem gefeierten Geburtstag hat sie noch mal
alle Energie mobilisiert, sich regelrecht aufgebäumt und ist noch mal
aufgeblüht.
Dann haben vor allem ihre
Töchter hautnah miterlebt, wie die Kräfte nachließen, wie sie immer
weniger getrunken und fast gar nicht mehr gegessen hat. Und wie
anscheinend eine große Unruhe sich ihrer bemächtigte, bis sie die
letzten eins, zwei Tage doch ruhig wurde, sich entspannen, loslassen
konnte und sanft entschlafen und hinüber – oder wie wir als gläubige
Christen sagen – heimgegangen ist.
„Heimgegangen!“
Wenn man es so sieht, gläubig sieht, dann liegt – bei aller Trauer und
bei allem Schmerz – auch Hoffnung und Zuversicht über dieser Stunde des
Abschieds, Hoffnung für einen Menschen, der aus der Kraft des Glaubens
gelebt hat, der in der Gemeinschaft der Kirche beheimatet war und auf
ein – zwar nicht immer leichtes – aber doch erfülltes Leben für die
Familie und für andere zurückblicken kann.
Und so dürfen wir,
liebe Angehörige, vertrauen, ja gewiss sein, dass das Leben Ihrer
Mutter, Schwiegermutter, Großmutter, Schwester und Verwandten bei Gott
angekommen ist, dass ihr irdischer Weg sein Ziel gefunden hat im Licht
und im Frieden bei Gott.
Dazu habe ich eine
kleine Geschichte gefunden:
Ein Hirt saß bei seiner
Herde am Ufer eines großen Flusses, der am Rande der Welt fließt. Wenn
er Zeit hatte, schaute er über den Fluss und spielte auf seiner Flöte.
Eines Abends kam der Tod über den Fluss herüber und sprach: „Ich komme
und möchte dich mitnehmen. Ich möchte dich mitnehmen auf die andere
Seite des Flusses. Hast du Angst?“ – „Warum Angst?“, fragte der Hirte,
„ich habe immer hinübergeschaut, seit ich hier bin. Ich weiß, wie es
dort ist.“ – Da legte ihm der Tod die Hand auf die Schulter, und der
Hirte stand auf. Dann nahm ihn der Tod an die Hand und fuhr mit ihm über
den Fluss… Das Land am anderen Ufer war ihm nicht fremd, dem Hirten.
Und die Töne seiner Flöte, die der Wind hinübergetragen hatte, waren
noch da.
Diese Geschichte
passt meines Erachtens gut zum Leben von Frau N. Denn so sehr sie auch
am Leben hing – wie wir alle – so hat sich doch, meine ich, immer wieder
hinübergeschaut.
Sie hat
hinübergeschaut,
-
wenn sie die heilige
Messe mitgefeiert, sich dabei in das Leben und Sterben Jesu vertieft
und daraus Kraft geschöpft hat,
-
wenn eine
Kommunionhelferin ihr jeden Monat am Herz-Jesu-Freitag die heilige
Kommunion gebracht hat,
-
wenn sie das
Glaubensbekenntnis gebetet hat und darin die Worte „Ich glaube an
die Auferstehung der Toten“,
-
wenn sie bei den
täglichen Gebeten am Abend und am Morgen bittend und dankend zu Gott
aufgeblickt und das Herz zu ihm erhoben hat.
-
oder wenn sie als
aktives Mitglied im Kirchenchor in Lied und Gesang Gott die Ehre und
Lob und Preis gegeben hat.
Frau N. hat
hinübergeschaut. Sie hat darauf vertraut und daran geglaubt, dass es
das jenseitige Ufer gibt und dass sie dort erwartet wird. Wie oft mag
sie in ihrem Leben gebetet oder auch gesungen haben: „Jesus, dir leb
ich, Jesus, dir sterb ich, Jesus, dein bin ich im Leben und im Tode.“
Ich bin überzeugt, dass
der Glaube ihr immer wieder Kraft gegeben hat und ihr Halt war – auch in
schweren Stunden.
Frau N. hat auch über
den Fluss geschaut durch ihren selbstlosen Einsatz für die Familie
und durch ihr Dasein und Engagement für andere, auch durch ihr Interesse
am Zeitgeschehen, durch ihre Liebe zur Natur und durch ihre Freude an
allem Guten und Schönen, nicht zuletzt auch durch alles Gute, das sie
getan und alle Liebe, die sie geübt hat.
In all dem und vielem
mehr hat sie gleichsam die Melodie ihres Lebens ans jenseitige Ufer
hinübergespielt. Und als Christen sind wir überzeugt, dass diese Töne da
sein werden, dass die Töne ihres Lebens bei Gott angekommen sind, dass
bei ihm kein Ton ihrer Lebensmelodie verlorengegangen ist, dass ihr
Leben vor Gott einen guten Klang hat.
Vom heiligen Augustinus
stammen die Worte: „Aus Gottes Hand empfing ich mein Leben. –
Unter Gottes Hand gestaltete ich mein Leben. – In Gottes Hand gebe ich
mein Leben zurück.“
Diese Aussage des großen
Kirchenlehrers gilt meines Erachtens voll und ganz auch für die liebe
Verstorbene Frau N..
Liebe Trauergemeinde,
liebe Schwestern und Brüder!
Der Tod eines Menschen,
den wir gekannt haben und der uns nahestand, kann auch uns animieren,
vor lauter irdischen Mühen und Sorgen die Ewigkeitsperspektive nicht zu
verlieren – wie es heute vielfach geschieht – sondern hinüberzuschauen,
das Abschied-Nehmen einzuüben, das Loslassen zu lernen und uns bewusst
zu machen: Das Leben ist ein Geschenk.
Von der der
Bendiktinerin Kyrilla Spieker stammt das Wort:
„Greifen und Festhalten
kann ich seit meiner Geburt, Teilen und Schenken musste ich lernen.
Jetzt übe ich das Lassen.“
„Ich habe immer
hinübergeschaut, seit ich hier bin.“
Wenn wir das von uns sagen
können, liebe Schwestern und Brüder, dann könnte alles krampfhafte
Festhalten, das Klammern und das Horten, alles Gieren und Geizen – und
letztlich doch nie genug Kriegen – weniger werden. Und auch die Angst
vor unserem eigenen Tod könnte geringer werden. Und beim Tod eines
anderen Menschen könnten wir zu einer Haltung finden, die der Apostel
Paulus als „Trauern mit Hoffnung“ bezeichnet.
Ja, auch wir Christen
trauern beim Verlust eines lieben Menschen, aber wir trauern nicht, wie
die, die keine Hoffnung haben. Denn für uns ist der Tod nicht Ende,
sondern Wende, kein Schlusspunkt, sondern alles verheißender
Doppelpunkt. Unser Leben endet nicht in einer Sackgasse. Am Schluss
steht keine hohe unüberwindliche Mauer.
Der Tod ist für uns
Christen vielmehr Tor, Durchgang, Hinübergang, Heimkehr. – Und so
glauben wir, dass Frau N. ihr Leben nicht beendet, sondern vollendet
hat, dass es seine Vollendung gefunden hat in der Liebe und im Leben bei
Gott.
Frau N. hat aus
diesem Glauben gelebt. In diesem Glauben ist sie gestorben. Trösten wir
uns gegenseitig in dieser Hoffnung, in diesem Glauben vom größeren, vom
ewigen Leben, wo es keine Tränen mehr gibt, keine Trauer, keine Klage,
keinen Schmerz, wo nichts mehr schwer ist, sondern alles leicht. Und
alles ist Licht und Glück und Freude. Und Geborgenheit am Herzen Gottes. |