„Wer sich selbst
erhöht…“
– sagt Jesus im heutigen Evangelium.
Sie wissen wie der Satz
weitergeht, liebe Schwestern und Brüder:
„Wer sich selbst
erhöht, wird erniedrigt.“
Wissen Sie auch, dass daraus ein Sprichwort wurde? Sie kennen es alle:
„Hochmut kommt vor dem Fall.“ – Selbsterhöhung und Hochmut gehen
immer mit Herabschauen auf andere Menschen daher, mit Verachtung und
sind letztlich ein Mangel an Selbsterkenntnis.
Interessant und spannend
finde ich, dass das Jesus-Wort von der Selbsterhöhung und der darauf
folgende Erniedrigung gerade heute im Evangelium vorkommt. Heute, am 1.
September, achtzig Jahre nach einer der schrecklichsten
Selbsterhöhungen, dem Beginn des 2. Weltkriegs durch Nazideutschland.
Der Hybris, dem Hochmut, folgte wenige Jahre später der Fall, die
Erniedrigung, die bedingungslose Kapitulation, nicht der totale Sieg,
sondern der totale Ruin.
Am 1. September 1939
überfiel die deutsche Wehrmacht seinen Nachbarn: Polen. Der Grund:
Großmannssucht! Der Führer, selbst ernannter „größte Feldherr aller
Zeiten“, wollte es der Welt beweisen. Und da es keinen Kriegsgrund
gab, wurde er erfunden. Ein deutscher Überfall von SS-Männern am Abend
des 31.08.1939 auf einen deutschen Sender in Gleiwitz – ganz nahe an der
polnischen Grenze – wurde als polnischer Überfall deklariert. Endlich
konnte es losgehen. Endlich loslegen und losschlagen.
„Seit 5.45 Uhr wird
jetzt zurückgeschossen“,
sagte Hitler am 1. September in seiner Rede vor dem deutschen Reichstag,
die vom Großdeutschen Rundfunk übertragen wurde. Selbst die Uhrzeit war
gelogen. In Wahrheit wurde das Feuer auf die polnische Garnision auf der
Westerplatte (Halbinsel bei Danzig) schon eine Stunde früher von einem
Linienschiff aus eröffnet. Und sogar noch ein wenig früher begann ein
verheerender Luftangriff auf Wielun, eine Kleinstadt bei Lodz.
Wer sich jahrelang
großredet und großtut, will seine Macht auch irgendwann zeigen und der
Welt beweisen. Und will Ruhm und Ehre, will Herrschaft und Sieg, koste
es, was es wolle.
Aber: „Wer sich selbst
erhöht…“ – Wie recht hat Jesus mit dem zweiten Teil des Satzes: „…wird erniedrigt.“
Am 1. September 1939
mögen viele sich auf dem Höhepunkt der Macht gewähnt haben. 1945
befanden sie sich auf dem Tiefpunkt. Von wegen „tausendjähriges
Reich“! Der totale Zusammenbruch! Mehr als 60 Millionen Tote,
zerbombte Städte, verwüstete Landschaften, Hunger, Armut und Elend,
millionenfacher Schmerz. Es spottet Hohn und aller Beschreibung, wenn
ein Politiker der AfD das alles als einen „Fliegenschiss der
Geschichte“ bezeichnet.
Was am 1. September 1939
geschah, war ein Verbrechen und der Anfang von vielen weiteren
Verbrechen, Ungerechtigkeiten, unsäglichen Drangsalen und schrecklichen
Grausamkeiten.
Achtzig Jahre ist das
her, eine lange Zeit.
Ich kann Menschen gut
verstehen, die an all das nicht mehr erinnert werden wollen. Vorbei ist
vorbei. Stimmt! – Aber erinnern sollten wir uns trotzdem, weil nur
Erinnerung Zukunft schafft, weil Erinnerung davor bewahren hilft, das
Gleiche oder Ähnliches noch einmal zu erleben.
Wir können aus der
Geschichte lernen. Und ich denke, Deutschland hat daraus gelernt. Dem
totalen Ende, der Erniedrigung folgte der Wiederaufbau, 1989 die Einheit
Deutschlands. Seit 1945 können wir in Frieden leben. Ein großes
Geschenk! Ich möchte fast sagen „Gnade“! Denn das ist keinesfalls
selbstverständlich!
Es scheint mir wichtig,
gerade heute daran zu erinnern, wo aus dem rechten Spektrum wieder
Stimmen laut werden, die Hetze und Hass schüren und Anwendung von Gewalt
propagieren.
„Wer sich selbst
erhöht, wird erniedrigt“,
sagt Jesus heute im Evangelium. Und Maria singt in ihrem Magnifikat: „Die Mächtigen stürzt er vom Thron und erhöht die Niedrigen.“
Das Sprichwort bringt es
auf den Punkt: „Hochmut kommt vor dem Fall.“ Da ist viel Wahres
dran. Und das gilt nicht nur für Kriegstreiber und Gewaltverbrecher.
Das gilt auch für unser
alltägliches Zusammenleben in der Schule, in der Nachbarschaft, im
häuslichen Bereich, am Arbeitsplatz, in der Pfarrgemeinde und in der
Politik. Lange geht es gut, manchmal viele Jahre lang: Man ist oben, man
ist am Drücker, man hat das Sagen, andere müssen spuren, werden
ausgegrenzt, unterdrückt, schikaniert, diffamiert, diskriminiert,
deklassiert, terrorisiert, gemobbt usw.
Liebe Mitchristen!
Nach Ruhm und Macht, nach
Ehre und Herrlichkeit zu streben, groß herauskommen wollen, ist
menschlich. Doch eines Tages ist das alles vorbei, spätestens im Tod. „Sic transit gloria mundi“ – „So vergeht der Ruhm der Welt“, hieß es
früher bei der Papstkrönung.
Darum: Rede und mach dich
nicht groß! Blas dich nicht auf! Bleib auf dem Teppich! Und auch wenn Du
von anderen groß gemacht wirst, bilde Dir nichts darauf ein! Nimm dich
nicht so wichtig! Lass alles Imponiergehabe! Setz dich nicht selbst in
Szene! – „Was hast du, das du nicht empfangen hättest, hast du es
aber empfangen, was rühmst du dich als hättest du es nicht empfangen?“
(1 Kor 4, 7)
Am Schluss Deines Lebens
wirst Du nicht gefragt: „Wie hast du geglänzt? Was hast du alles
besessen? Was hast du Großes gegolten?“ Auch nicht: „ Wen hast du
beherrscht, wen dir unterworfen…?“ Jesu Frage wird lauten: „Wem
hast du gedient? Wen hast du beschenkt? Wen hast du geschätzt, wen
geliebt und umarmt – um meinetwillen?“ (nach einem neuen geistlichen
Lied)
Beim heiligen Augustinus,
dessen Gedenktag wir vor kurzem gefeiert haben, findet sich folgendes
Wort: „Die Ströme Gottes fließen nicht auf die
Berge des Stolzes, sondern in die Täler der Demut“.
Ein Schüler kommt zum
Rabbi und fragt: „Früher gab es Menschen, die Gott von Angesicht zu
Angesicht gesehen haben. Warum gibt es das heute nicht mehr?“ Der
Rabbi gab zur Antwort: „Weil sich niemand mehr
so tief bücken will.“
(Die Idee zu dieser Predigt sowie einige Gedanken und
Formulierungen verdanke ich Michael Becker in: „Die Botschaft heute“
7/2019)