Schon oft habe ich
versucht, dieses Evangelium zu verstehen.
Immer wieder stehe ich
neu davor und frage mich, was es bedeutet.
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Wohl den Armen - Wehe
den Reichen!
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Wohl den Hungernden -
Wehe den Satten!
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Wohl den Weinenden -
Wehe den Lachenden!
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Wohl denen, die um
des Glaubens willen verfolgt werden
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Weh denen, die von
allen gelobt werden!
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Wohl und Wehe! -
Nebeneinander. Knallhart.
Keine halben Sachen.
Keine Kompromisse.
Kein Hintertürchen.
Keine Ausnahmen.
Nicht wahr:
So unmittelbar nebeneinander gestellt wirken die Wehrufe wie
Nadelstiche. So im direkten Gegensatz zu den Seligpreisungen tun sie
richtig weh. Und sind diese Rufe Jesu nicht auch sehr provozierend und
schockierend?
Jesus
sagt ja gerade nicht: Selig ihr, die ihr reich seid, selig ihr
Tüchtigen, ihr Gewinner, selig ihr Erfolgreichen!
Er preist die Armen
selig, die Hungernden und die Weinenden oder Trauernden. Und das klingt
paradox, ja skandalös, fast zynisch.
Da würden wir am liebsten
einhaken und widersprechen. Da werden nämlich unsere Werte umgewertet.
Da wird das, was wir normalerweise erstreben, umgedreht, auf den Kopf
gestellt.
Wie ist das zu
verstehen? Worum geht es dabei?
Mir fällt auf: Die
Seligpreisungen kommen vor den Wehrufen.
Die Seligpreisungen
stehen an erster Stelle. Sie haben Vorrang.
Sie wiegen mehr. Denn
Gott hat seine Freude daran, Menschen seinen Reichtum und damit die
Seligkeit zu schenken. Gott will Rettung und Heil, nicht Untergang und
Verderben.
Jesus
will uns mit seinen Wehrufen auch gar nicht alles Schöne des Lebens
vermiesen. Wir dürfen lachen und fröhlich sein, noch dazu in der
Fastnachtszeit. Und selbstverständlich dürfen und sollen wir uns an
Gottes Schöpfung erfreuen, sie loben und ihre Früchte genießen.
Nur dürfen wir dabei die
andere Seite der Wirklichkeit nicht übersehen, uns nur um uns selbst
drehen und auf Kosten anderer leben.
Die Reichen,
die Satten, die Erfolgreichen stehen im Evangelium für Menschen, die
scheinbar alles haben, die meinen auf niemanden mehr angewiesen zu sein.
Es sind Menschen, die sich selbst genügen, sich selbst zum Mittelpunkt
machen und dabei andere an den Rand drängen und die Not der Mitmenschen
nicht mehr wahrnehmen, die gleichgültig und abgestumpft in den Tag
hineinleben. Es sind jene Hartgesottenen, die angesichts fremder Not
noch lachen und zur Tagesordnung übergehen.
Die Wehrufe
sind so etwas wie Weckrufe. Sie wollen aus dem Schlaf der Sicherheit
wachrufen. Sie wollen zur Besinnung, zur Umkehr rufen. Sie wollen zur
Kurskorrektur bewegen. Sie wollen nicht verdammen und zugrunde richten.
Auch ihr Ziel ist Seligkeit.
Es gilt, den Hunger
wach zu halten nach Gerechtigkeit, den Hunger nach anderen Menschen und
echten Begegnungen, die Bereitschaft, zu teilen, zu helfen, sich
einzufühlen, Not zu sehen und zu lindern.
Es gilt die Menschen mit
den Augen Gottes sehen zu lernen.
Eines ist klar:
Jesus hat Armut, Hunger, Not, Trauer usw. nicht in sich als gut
angesehen. Das kann nicht sein. Er selbst hat ja unzählig viele Kranke
geheilt. Er hat Hungernde gesättigt und Verzweifelte aufgerichtet. Er
hat sich auf die Seite der vielen Leidtragenden gestellt. Er hatte
Mitleid mit den vielen Müden und Erschöpften, Schutzlosen und
Orientierungslosen...
Er lädt ein: „Kommt
alle...“ Jesus verherrlicht diese Zustände nicht.
Er will auch nicht, dass
wir uns mit Not u. Unrecht abfinden.
Aber er macht die
Erfahrung, dass arme, hungernde, weinende Leute zu ihm gekommen sind,
dass Zöllner, Sünder, Dirnen zu ihm gekommen sind. Sie haben sich ihm
gegenüber geöffnet, haben sich ihm anvertraut, haben an ihn geglaubt.
Und ihnen sagt er sich selbst und mit sich selbst das Reich Gottes, also
die Seligkeit zu.
Es ist wichtig,
die Zusagen der Seligpreisungen nicht losgelöst von Jesus selbst zu
nehmen, sondern als Ausdruck seiner Zuwendung zu den Menschen. Er sieht
unter denen, die um ihn sind und ihm folgen viele Besitzlose,
Arbeitslose, Heimatlose, Wohnsitzlose, aber auch Einsame, Geplagte, auf
gut deutsch gesagt: arme Teufel. Er entdeckt solche, die nicht das
Nötige zum Leben haben. Er entdeckt Weinende, Trauernde, Leidgeprüfte
und Sorgenbeladene. Er entdeckt Abgelehnte, Abgeschobene, aus der
Gemeinschaft Ausgeschlossene. Er fühlt mit ihnen. Er weiß wie es
unglücklichen Menschen geht. Er steht auf ihrer Seite. Er steht den
Gebeugten, den Armen, den Schwachen bei. Er sagt: Euch liebe ich ganz
besonders. Für mich seid ihr ganz wertvoll. Ich habe Achtung vor euch.
Oder anders ausgedrückt: Selig seid ihr!
Boris Pasternak
berichtet in seinem Roman „Doktor Schiwago“ von einer jungen Frau, die
enttäuscht und verlassen ist, verlassen vom liebsten Menschen, den sie
je gefunden. In ihrer Verzweiflung flüchtet sie in eine Kirche, um sich
ausweinen zu können. Als sie in die Kirche eintritt, werden gerade von
einem Kantor die acht Seligkeiten gesungen: „Selig ihr Armen... Selig,
die ihr hungert... Selig, die ihr jetzt weint...“ Lara, die junge Frau,
fährt zusammen. Von ihr wird gesprochen. Sie ist gemeint. Das was hier
gesagt wird, will Christus gerade ihr sagen. Eine neue Welt geht ihr
auf, eine nie geahnte Seligkeit, ein Gefühl der Freude und der Harmonie
mitten in ihrer Verlassenheit. Ein Himmel mitten in ihrer Erdennot, in
ihrem Herzeleid.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Gesagt ist dieses „Selig“
auch auf uns hin. Auf die Armen hier im Raum, in dieser Kirche. Auf die,
die sich Sorgen machen um das tägliche Brot und um das Morgen, die
Miete, die Arbeit, die Wohnung, die Gesundheit. Auf uns, deren Leben
belastet ist mit Not, Beziehungswunden und Schuld, auf uns, die wir
manchmal nicht mehr weiter wissen und uns bei jemand ausweinen möchten
wie die junge Frau in dem Roman.
Auch wir dürfen
wissen:
Mitten in unserer Not ist einer da, der ist uns Zuflucht und Stärke. Da
ist ein Helfer in allen Nöten. Er ist mein Licht und mein Heil. Er ist
die Kraft meines Lebens. „Gott allein ist letzter Halt.“ Von ihm
her kommt Hoffnung und Zuversicht in alle Lebenslagen. Mag das Leid mir
auch nicht genommen werden, bleiben mir schwere Stunden auch nicht
erspart, mag Not und Betrübnis kommen, ich weiß: Gott ist da. „Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht. Ich fürchte
kein Unheil. Du bist bei mir!“
Liebe Schwestern und
Brüder!
Die Seligpreisungen
wollen in uns die sorgenfreie und vorbehaltlose Überlassung auf Gott hin
erwecken. Sie wollen in uns das Vertrauen stärken.
Sie sagen mir:
Hab Mut! Vertrau! Wage dein Leben! Wage es aus der Kraft des Glaubens.
„Wer Gott, dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinen Sand gebaut.“
Und: „Welcher seine Zuversicht auf Gott hat, den
verlässt er nicht.“
Liebe Schwestern und
Brüder!
Lange Zeit dachte ich,
dass die Seligpreisungen eigentlich am Ende der Bergpredigt stehen
sollten, sozusagen als krönende Verheißung und als Lohn für Gutes Tun
und ein gottgefälliges Leben. Aber die Seligpreisungen stehen nicht am
Ende, sondern am Anfang.
Eines Tages ging mir
auf:
Die Bergpredigt beginnt nicht mit einem Imperativ, nicht mit Ansprüchen
und Anforderungen, sondern mit einem Zuspruch, mit der Zuwendung und
Zuneigung von Liebe. Die Seligpreisungen sind Liebesworte. Und es sind
Worte, die in uns das Vertrauen und die sorgenfreie und vorbehaltlose
Überlassung auf Gott hin erwecken und stärken wollen.