EVANGELIUM
Selig, ihr Armen! - Weh
euch, ihr Reichen!
+Aus
dem heiligen Evangelium nach Lukas
In jener Zeit
17 stieg Jesus mit
seinen Jüngern den Berg hinab. In der Ebene blieb er mit einer großen Schar
seiner Jünger stehen, und viele Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem und dem
Küstengebiet von Tyrus und Sidon strömten herbei.
20 Jesus richtete seine
Augen auf seine Jünger und sagte: Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich
Gottes.
21 Selig, die ihr jetzt
hungert, denn ihr werdet satt werden. Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr
werdet lachen.
22 Selig seid ihr,
wenn euch die Menschen hassen und aus ihrer Gemeinschaft ausschließen, wenn sie
euch beschimpfen und euch in Verruf bringen um des Menschensohnes willen.
23 Freut euch
und jauchzt an jenem Tag; euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn
ebenso haben es ihre Väter mit den Propheten gemacht.
24 Aber weh euch, die
ihr reich seid; denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten.
25 Weh euch, die ihr
jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Weh euch, die ihr jetzt lacht; denn
ihr werdet klagen und weinen.
26 Weh euch, wenn
euch alle Menschen loben; denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen
Propheten gemacht.
Schon oft
habe ich versucht, dieses Evangelium zu verstehen.
Immer
wieder stehe ich neu davor und frage mich, was es bedeutet.
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Wohl
den Armen - Wehe den Reichen!
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Wohl
den Hungernden - Wehe den Satten!
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Wohl
den Weinenden - Wehe den Lachenden!
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Wohl
denen, die um des Glaubens willen verfolgt werden
-
Weh
denen, die von allen gelobt werden!
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Wohl
und Wehe! - Nebeneinander. Knallhart.
Keine
halben Sachen. Keine Kompromisse.
Kein
Hintertürchen. Keine Ausnahmen.
Nicht
wahr:
So unmittelbar nebeneinander gestellt wirken die Wehrufe wie
Nadelstiche. So im direkten Gegensatz zu den Seligpreisungen tun sie
richtig weh. Und sind diese Rufe Jesu nicht auch sehr provozierend und
schockierend?
Jesus
sagt ja gerade nicht: Selig ihr, die ihr reich seid, selig ihr
Tüchtigen, ihr Gewinner, selig ihr Erfolgreichen!
Er preist
die Armen selig, die Hungernden und die Weinenden oder Trauernden. Und
das klingt paradox, ja skandalös, fast zynisch.
Da würden
wir am liebsten einhaken und widersprechen. Da werden nämlich unsere
Werte umgewertet. Da wird das, was wir normalerweise erstreben,
umgedreht, auf den Kopf gestellt.
Wie
ist das zu verstehen? Worum geht es dabei?
Mir fällt
auf: Die Seligpreisungen kommen vor den Wehrufen.
Die
Seligpreisungen stehen an erster Stelle. Sie haben Vorrang.
Sie
wiegen mehr. Denn Gott hat seine Freude daran, Menschen seinen Reichtum
und damit die Seligkeit zu schenken. Gott will Rettung und Heil, nicht
Untergang und Verderben.
Jesus
will uns mit seinen Wehrufen auch gar nicht alles Schöne des Lebens
vermiesen. Wir dürfen lachen und fröhlich sein, noch dazu in der
Fastnachtszeit. Und selbstverständlich dürfen und sollen wir uns an
Gottes Schöpfung erfreuen, sie loben und ihre Früchte genießen.
Nur
dürfen wir dabei die andere Seite der Wirklichkeit nicht übersehen, uns
nur um uns selbst drehen und auf Kosten anderer leben.
Die
Reichen,
die Satten, die Erfolgreichen stehen im Evangelium für Menschen, die
scheinbar alles haben, die meinen auf niemanden mehr angewiesen zu sein.
Es sind Menschen, die sich selbst genügen, sich selbst zum Mittelpunkt
machen und dabei andere an den Rand drängen und die Not der Mitmenschen
nicht mehr wahrnehmen, die gleichgültig und abgestumpft in den Tag
hineinleben. Es sind jene Hartgesottenen, die angesichts fremder Not
noch lachen und zur Tagesordnung übergehen.
Die
Wehrufe
sind so etwas wie Weckrufe. Sie wollen aus dem Schlaf der Sicherheit
wachrufen. Sie wollen zur Besinnung, zur Umkehr rufen. Sie wollen zur
Kurskorrektur bewegen. Sie wollen nicht verdammen und zugrunde richten.
Auch ihr Ziel ist Seligkeit.
Es gilt,
den Hunger wachzuhalten nach Gerechtigkeit, den Hunger nach anderen
Menschen und echten Begegnungen, die Bereitschaft, zu teilen, zu helfen,
sich einzufühlen, Not zu sehen und zu lindern.
Es gilt
die Menschen mit den Augen Gottes sehen zu lernen.
Eines
ist klar:
Jesus hat Armut, Hunger, Not, Trauer usw. nicht in sich als gut
angesehen. Das kann nicht sein. Er selbst hat ja unzählig viele Kranke
geheilt. Er hat Hungernde gesättigt und Verzweifelte aufgerichtet. Er
hat sich auf die Seite der vielen Leidtragenden gestellt. Er hatte
Mitleid mit den vielen Müden und Erschöpften, Schutzlosen und
Orientierungslosen...
Er lädt
ein: „Kommt alle...“ Jesus verherrlicht diese Zustände nicht.
Er will
auch nicht, dass wir uns mit Not u. Unrecht abfinden.
Aber er
macht die Erfahrung, dass arme, hungernde, weinende Leute zu ihm
gekommen sind, dass Zöllner, Sünder, Dirnen zu ihm gekommen sind. Sie
haben sich ihm gegenüber geöffnet, haben sich ihm anvertraut, haben an
ihn geglaubt. Und ihnen sagt er sich selbst und mit sich selbst das
Reich Gottes, also die Seligkeit zu.
Es ist
wichtig,
die Zusagen der Seligpreisungen nicht losgelöst von Jesus selbst zu
nehmen, sondern als Ausdruck seiner Zuwendung zu den Menschen. Er sieht
unter denen, die um ihn sind und ihm folgen viele Besitzlose,
Arbeitslose, Heimatlose, Wohnsitzlose, aber auch Einsame, Geplagte, auf
gut deutsch gesagt: arme Teufel. Er entdeckt solche, die nicht das
Nötige zum Leben haben. Er entdeckt Weinende, Trauernde, Leidgeprüfte
und Sorgenbeladene. Er entdeckt Abgelehnte, Abgeschobene, aus der
Gemeinschaft Ausgeschlossene. Er fühlt mit ihnen. Er weiß wie es
unglücklichen Menschen geht. Er steht auf ihrer Seite. Er steht den
Gebeugten, den Armen, den Schwachen bei. Er sagt: Euch liebe ich ganz
besonders. Für mich seid ihr ganz wertvoll. Ich habe Achtung vor euch.
Oder anders ausgedrückt: Selig seid ihr!
Boris
Pasternak
berichtet in seinem Roman „Doktor Schiwago“ von einer jungen Frau, die
enttäuscht und verlassen ist, verlassen vom liebsten Menschen, den sie
je gefunden. In ihrer Verzweiflung flüchtet sie in eine Kirche, um sich
ausweinen zu können. Als sie in die Kirche eintritt, werden gerade von
einem Kantor die acht Seligkeiten gesungen: „Selig ihr Armen... Selig,
die ihr hungert... Selig, die ihr jetzt weint...“ Lara, die junge Frau,
fährt zusammen. Von ihr wird gesprochen. Sie ist gemeint. Das was hier
gesagt wird, will Christus gerade ihr sagen. Eine neue Welt geht ihr
auf, eine nie geahnte Seligkeit, ein Gefühl der Freude und der Harmonie
mitten in ihrer Verlassenheit. Ein Himmel mitten in ihrer Erdennot, in
ihrem Herzeleid.
Liebe
Schwestern und Brüder!
Gesagt
ist dieses „Selig“ auch auf uns hin. Auf die Armen hier im Raum, in
dieser Kirche. Auf die, die sich Sorgen machen um das tägliche Brot und
um das Morgen, die Miete, die Arbeit, die Wohnung, die Gesundheit. Auf
uns, deren Leben belastet ist mit Not, Beziehungswunden und Schuld, auf
uns, die wir manchmal nicht mehr weiter wissen und uns bei jemand
ausweinen möchten wie die junge Frau in dem Roman.
Auch
wir dürfen wissen:
Mitten in unserer Not ist einer da, der ist uns Zuflucht und Stärke. Da
ist ein Helfer in allen Nöten. Er ist mein Licht und mein Heil. Er ist
die Kraft meines Lebens. „Gott allein ist letzter Halt.“ Von ihm
her kommt Hoffnung und Zuversicht in alle Lebenslagen. Mag das Leid mir
auch nicht genommen werden, bleiben mir schwere Stunden auch nicht
erspart, mag Not und Betrübnis kommen, ich weiß: Gott ist da. „Muss
ich auch wandern in finsterer Schlucht. Ich fürchte kein Unheil. Du bist
bei mir!“
Liebe
Schwestern und Brüder!
Die
Seligpreisungen wollen in uns die sorgenfreie und vorbehaltlose
Überlassung auf Gott hin erwecken. Sie wollen in uns das Vertrauen
stärken.
Sie
sagen mir:
Hab Mut! Vertrau! Wage dein Leben! Wage es aus der Kraft des Glaubens.
„Wer Gott, dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinen Sand gebaut.“
Und: „Welcher seine Zuversicht auf Gott, den verlässt er nicht.“
Liebe
Schwestern und Brüder!
Lange
Zeit dachte ich, dass die Seligpreisungen eigentlich am Ende der
Bergpredigt stehen sollten, sozusagen als krönende Verheißung und als
Lohn für Gutes Tun und ein gottgefälliges Leben. Aber die
Seligpreisungen stehen nicht am Ende, sondern am Anfang.
Eines
Tages ging mir auf:
Die
Bergpredigt beginnt nicht mit einem Imperativ, nicht mit Ansprüchen und
Anforderungen, sondern mit einem Zuspruch, mit der Zuwendung und
Zuneigung von Liebe. Die Seligpreisungen sind Liebesworte. Und es sind
Worte, die in uns das Vertrauen und die sorgenfreie und vorbehaltlose
Überlassung auf Gott hin erwecken und stärken wollen.
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