Am Dornbusch sagt
Gott dem Mose:
„Gesehen, gesehen
habe ich das Elend meines Volkes.
Sein Schreien ist
zu mir gedrungen. Ich bin gekommen, es herauszuführen aus der
Knechtschaft.“
Im Magnifikat
singt Maria:
„Er hat
herabgeschaut auf seine niedrige Magd.“
Und von Jesus
heißt es:
„Als er die vielen
Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen.“
Gott sieht. Er
handelt. Er erbarmt sich.
Was ist das
Charakteristische des reichen Prassers?
Es wird von ihm
nicht gesagt, dass er sein Hausgesinde unterdrückte.
Es wird nicht
gesagt, dass er seinen Besitz unrechtmäßig erworben hat.
Es steht auch
nicht geschrieben, dass er den armen Lazarus von seiner Tür vertrieben
hat.
Er hat ihn nicht
angeschrien. Er hat nicht seine Hunde auf ihn gehetzt. Er hat ihn nicht
geschlagen oder misshandelt. Er war nicht mit Fleiß grausam gegen ihn.
Was kennzeichnet
den reichen Prasser?
Er sieht den Armen
nicht! Erst als er gerichtet ist, heißt es:
„In der Unterwelt,
wo er von Schmerzen gepeinigt war, blickte er auf und sah Abraham und an
seiner Seite Lazarus.“
Das ist das
Charakteristische dieses Menschen. Darin besteht sein Gegensatz zu Gott:
Gott schaut herab
auf das Elend seines Volkes. Gott hat auf die Niedrigkeit seiner Magd
geschaut. Jesus sah das Elend der Menschen.
Dieser Mensch hat
überhaupt nicht gesehen, was vor sich geht.
Seine Schuld ist
das Nicht-Sehen, nicht der Reichtum an sich.
Er hat dem Armen
keine Beachtung geschenkt. Er hat ihn übersehen. Er war ihm schlichtweg
total gleichgültig.
Den anderen aus
dem Blick verlieren – wie schnell passiert das.
Blind werden
gegenüber dem Hilfsbedürftigen.
Blind sein
gegenüber der ausgestreckten Hand.
Blind sein
gegenüber „Lazarus“ unmittelbar vor der Tür.
Sehen Sie, liebe
Schwestern und Brüder, Jesus erklärt den Reichtum nicht an sich als
verwerflich. Und Armut ist für ihn nicht einfachhin die Eintrittskarte
zum ewigen Leben.
Das Verbrechen des
Reichen besteht nicht schon allein darin, dass er reich ist, sondern
darin, dass er die Not des anderen nicht sieht, dass er gedankenlos und
gleichgültig daran vorbeigeht, dass er hartherzig ist, verschlossen,
ohne Mitgefühl und Liebe.
Die Geschichte
bringt es drastisch ins Bild:
Die Hunde sind
menschlicher zu Lazarus als der Reiche.
Dieser kennt in
seinem Reichtum nur sich selbst: sein Glück, sein Wohlergehen, seinen
Komfort, sein Leben im Luxus.
Wie es dem anderen
neben ihm geht, kümmert ihn nicht. Hauptsache mir geht es gut!
Hauptsache ich komme auf meine Kosten.
Diese Haltung ist
das krasse Gegenteil von Liebe.
Es ist Egoismus
pur. Es ist Eigensucht und Selbstsucht.
Wer immer nur an
sich denkt, wer immer mehr haben will und doch nie genug kriegen kann,
wer hortet und häuft, giert und geizt, wer krampfhaft festhält, wem es
nur um das eigene Fortkommen, die eigene Ehre, das eigene Ansehen geht,
der befindet sich nicht auf dem Weg des Glücks und der Zufriedenheit,
sondern – wie es häufig der Fall ist, - auf dem Weg der
Selbstzerstörung. Ein Seelenzustand, in dem „die Hölle“ bereits
begonnen hat.
Auf noch etwas
möchte ich Ihre Aufmerksamkeit lenken, liebe Mitchristen: das Schicksal
des Wortes Gottes.
Das eigentlich
Tragische in dieser Erzählung vom reichen Prasser und dem armen Lazarus
ist m. E. die Vergeblichkeit des Wortes Gottes.
Abraham sagt:
„Sie haben Mose und die Propheten. Auf sie sollen sie hören.“ Hören
und Ernstnehmen des Wortes Gottes, Handeln nach seiner Weisung, das
wär’s!
Doch der Reiche
hat nicht auf Mose und die Propheten gehört. Auch seine fünf Brüder tun
es nicht. Er war verschlossen. Sie sind verschlossen. Er war taub für
das Wort Gottes. Sie sind taub. Auch ein Wunder kann ihnen nicht helfen.
„Sie haben Mose
und die Propheten. Auf sie sollen sie hören!“
In unüberbietbarer
Weise hat der Prophet Micha formuliert, worauf es ankommt: „Recht
tun, Güte lieben, in Demut wandeln mit deinem Gott“ (Mich 6, 8). Das
wär’s. Mehr braucht es nicht.
Doch das Wort
Gottes prallt ab an den verschlossenen Ohren derer, die nur sich sehen
und nur sich selbst kennen.
Es scheitert an
der Hartherzigkeit derer, die ihr Herz wie mit einem Panzer umgeben.
Die Erzählung,
liebe Mitchristen, läuft auf die fünf Brüder hinaus.
Die fünf Brüder
sind wir. Wir haben zu Mose und den Propheten noch Jesus, sein Leben,
seine Botschaft.
Hören wir, was
Jesus uns sagt? Sind wir offen für sein Wort und seine Weisung? Lassen
wir uns davon betreffen und berühren? Lassen wir uns davon zur Umkehr
bewegen?
Das Wort Gottes
will uns nicht das Fürchten lehren, sondern das Fühlen, das Mitfühlen,
das Hinsehen und Hinschauen, Mitleid zu empfinden, Erbarmen zu haben,
die Liebe zu üben.
Das Gleichnis,
liebe Schwestern und Brüder, endet mit einem Zu-spät!
Darum: Ich darf
nicht nur auf mich schauen, wenn ich nach gelingendem Leben suche. Ich
muss auch den anderen im Blick haben. Und die Frage: „Wen verliere
ich aus dem Blick?“ kann ich nicht auf die lange Bank schieben. Mein
Hinsehen, mein Handeln sind heute gefragt. Hier und jetzt.