Erste Lesung
Wie einen Strom leite ich den
Frieden zu ihr
Lesung
aus dem Buch Jesája
10Freut euch mit
Jerusalem und jauchzt in ihr alle, die ihr sie liebt! Jubelt mit ihr, alle, die
ihr um sie trauert,
11auf dass ihr
trinkt und satt werdet an der Brust ihrer Tröstungen, auf dass ihr schlürft und
euch labt an der Brust ihrer Herrlichkeit!
12Denn so
spricht der Herr: Siehe, wie einen Strom leite ich den Frieden zu ihr und die
Herrlichkeit der Nationen wie einen rauschenden Bach, auf dass ihr trinken
könnt; auf der Hüfte werdet ihr getragen, auf Knien geschaukelt.
13Wie einen
Mann, den seine Mutter tröstet, so tröste ich euch; in Jerusalem findet ihr
Trost.
14abcIhr werdet
das sehen und euer Herz wird jubeln und eure Knochen werden sprossen wie
frisches Grün. So offenbart sich die Hand des Herrn an seinen Knechten.
Ein Wort von Papst Johannes Paul
I. lautet: „Gott ist Vater, und mehr noch, er ist Mutter.“ Dieses Wort
des 33-Tage-Papstes hat damals – es war 1978 – aufhorchen lassen. Mir ist es in
Erinnerung geblieben bis heute. – Gott als Vater war mir vertraut. Jesus selbst
lehrt seine Jünger so zu beten. Und wir tun es im „Vater unser“ bis heute. –
Aber Gott als Mutter? Diese Redeweise von Johannes Paul I. hat überrascht, war
ungewohnt, klang fremd.
Und doch ist die Aussage biblisch
gut begründet.
So spricht Gott durch den
Propheten in der heutigen Lesung aus dem Buch Jesaja: „Wie eine Mutter ihren
Sohn tröstet, so tröste ich euch.“ – Dieser Satz steht mitten im Alten
Testament, das nach Meinung nicht weniger Christen nur einen strengen Gott
kennt, einen Gott des Zornes und der Rache. Aber das ist ein Vorurteil.
Zugegeben, das Alte Testament zeichnet ein herbes Gottesbild. Der Gott Israels
ist nicht der „liebe Gott“, wohl aber der liebende Gott. In den
alttestamentlichen Aussagen spiegeln sich die Erfahrungen, die Israel in seiner
Geschichte mit ihm gemacht hat. Alles – das Gute wie das Böse in der Welt wird
mit ihm konfrontiert. So kommt es zu einem spannungsreichen Gottesbild, das von
seiner Liebe und von seinem Zorn geprägt ist, von seiner Gerechtigkeit wie von
seiner Barmherzigkeit.
Das Gotteswort aus dem Jesaja-Buch
stellt die mütterlichen Züge Gottes heraus. Er tröstet wie eine Mutter. – Wer
ist denn trostbedürftig? Es sind die Menschen in und um Jerusalem, die mit hohen
Erwartungen aus dem babylonischen Exil in das Land ihrer Väter zurückgekehrt
sind. Sie sind enttäuscht, dass die großen Verheißungen des Exilpropheten,
Deutero-Jesaja genannt, dessen Worte im zweiten Teil des Jesaja-Buches gesammelt
sind, sich nicht erfüllt haben, jedenfalls nicht so wie erwartet. Alles war viel
kleiner ausgefallen. Die Heimkehr war alles andere als ein Triumphzug. Es waren
nur Gruppen und Grüppchen, die sich aufmachten, um nach Palästina
zurückzukehren. Andere blieben für immer in Babylon und begründeten so die
jüdische Diaspora, die bis heute andauernde Zerstreuung des Volkes Israel unter
den anderen Völkern. Im Land selbst herrschen Armut und Not. Die zerstörten
Häuser mussten aufgebaut werden, was zur Folge hatte, dass der Wiederaufbau des
Tempels nur schleppend voranging. Als er schließlich eingeweiht werden konnte
(515 v. Chr.), blieb er weit hinter der einstigen Herrlichkeit und Pracht des
Tempels Salomos zurück. Und selbst dann war nichts von der Heilszeit zu spüren,
die verschiedene Propheten mit dem neu erstandenen Tempel verknüpft hatten. Was
Wunder, dass das religiöse Leben darniederlag. Überdies hatte das Land unter
persischer Herrschaft seine Freiheit verloren und war politisch bedeutungslos
geworden. Kurz, es war eine in jeder Hinsicht dürftige Zeit.
In diese Situation hinein erging
das Wort, das die Menschen aufrichten soll. Gott wird sein Volk trösten, wie
eine Mutter ihr Kind tröstet. In der Tat ein tröstliches Gottesbild! Es lässt
die Menschen wieder froh werden. Sie blühen auf und finden die Kraft, sich den
anstehenden Aufgaben zu stellen. Die Krise wird zur Chance eines neuen Anfangs.
In der Kundenzeitschrift eines
Blumenhandels war das Foto eines Grabes zu sehen. Daneben ein Hügel, gebildet
von Kränzen und Blumen. In das Foto waren gekonnt drei Wörter mit einem großen
Ausrufezeichen eingetragen: „Blumen können trösten!“ – Joseph von Eichendorff
dichtete: „Komm, Trost der Welt, du stille Nacht!“ – Karl Rahner betete:
„Gib uns den Geist deines Trostes. Herr, wir wissen, dass wir auch in
Trostlosigkeit, Dürre und seelischer Ohnmacht dir treu sein sollen, müssen und
können. Aber dennoch dürfen wir dich bitten um den Geist des Trostes und der
Kraft, der Freude und der Zuversicht.“
Wer tröstet uns? Die Blumen am
Grab? Die stille Nacht? Gott? – Es mag sein, dass Blumen und Kränze unsere
Trauer für kurze Zeit aufhellen, aber können sie uns wirklich trösten? Können
Blumen den Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen lindern oder gar
nehmen? – Die Stille der Nacht lässt uns nach dem Lärm des Tages zu uns selbst
kommen. Was uns am Tag bedrängt und verletzt hat, tritt zurück. Wir sehen die
Dinge wieder klarer, wenn wir darüber geschlafen haben. Aber die Nacht ist kein
Du, das uns mit einem Wort des Trostes aufrichtet oder durch eine Umarmung Nähe,
Geborgenheit und Trost schenkt. – Die Bibel schenkt uns die Gewissheit, dass
Gott ein tröstendes Du ist, das auf uns zukommt. Er will uns nicht über das Leid
hinweg, sondern durch das Leid hindurch trösten. Er tut dies, indem er uns die
Kraft gibt, nicht daran zu zerbrechen.
Was Israel in einer trostlosen
Zeit von seinem Gott zugesagt wurde, das gilt auch uns. „Wie eine Mutter
ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch.“ Es liegt an uns, ob wir uns diesem
Trost öffnen. „Gott ist dort, wo er eingelassen wird“, sagt ein
chassidisches Sprichwort. Wir dürfen Gott beim Wort nehmen und ihn bitten:
„Sprich du das Wort, das tröstet und befreit!“ (Gl 422). ER wird seine
Zusage erfüllen. |