geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Wie eine Mutter tröste ich euch

14. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C; Jes 66, 10 - 14c

 

Erste Lesung

Wie einen Strom leite ich den Frieden zu ihr

Lesung

aus dem Buch Jesája

10Freut euch mit Jerusalem und jauchzt in ihr alle, die ihr sie liebt! Jubelt mit ihr, alle, die ihr um sie trauert,

11auf dass ihr trinkt und satt werdet an der Brust ihrer Tröstungen, auf dass ihr schlürft und euch labt an der Brust ihrer Herrlichkeit!

12Denn so spricht der Herr: Siehe, wie einen Strom leite ich den Frieden zu ihr und die Herrlichkeit der Nationen wie einen rauschenden Bach, auf dass ihr trinken könnt; auf der Hüfte werdet ihr getragen, auf Knien geschaukelt.

13Wie einen Mann, den seine Mutter tröstet, so tröste ich euch; in Jerusalem findet ihr Trost.

14abcIhr werdet das sehen und euer Herz wird jubeln und eure Knochen werden sprossen wie frisches Grün. So offenbart sich die Hand des Herrn an seinen Knechten.

 

 

Ein Wort von Papst Johannes Paul I. lautet: „Gott ist Vater, und mehr noch, er ist Mutter.“ Dieses Wort des 33-Tage-Papstes hat damals – es war 1978 – aufhorchen lassen. Mir ist es in Erinnerung geblieben bis heute. – Gott als Vater war mir vertraut. Jesus selbst lehrt seine Jünger so zu beten. Und wir tun es im „Vater unser“ bis heute. – Aber Gott als Mutter? Diese Redeweise von Johannes Paul I. hat überrascht, war ungewohnt, klang fremd.

 

Und doch ist die Aussage biblisch gut begründet.

So spricht Gott durch den Propheten in der heutigen Lesung aus dem Buch Jesaja: „Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch.“ – Dieser Satz steht mitten im Alten Testament, das nach Meinung nicht weniger Christen nur einen strengen Gott kennt, einen Gott des Zornes und der Rache. Aber das ist ein Vorurteil. Zugegeben, das Alte Testament zeichnet ein herbes Gottesbild. Der Gott Israels ist nicht der „liebe Gott“, wohl aber der liebende Gott. In den alttestamentlichen Aussagen spiegeln sich die Erfahrungen, die Israel in seiner Geschichte mit ihm gemacht hat. Alles – das Gute wie das Böse in der Welt wird mit ihm konfrontiert. So kommt es zu einem spannungsreichen Gottesbild, das von seiner Liebe und von seinem Zorn geprägt ist, von seiner Gerechtigkeit wie von seiner Barmherzigkeit.

 

Das Gotteswort aus dem Jesaja-Buch stellt die mütterlichen Züge Gottes heraus. Er tröstet wie eine Mutter. – Wer ist denn trostbedürftig? Es sind die Menschen in und um Jerusalem, die mit hohen Erwartungen aus dem babylonischen Exil in das Land ihrer Väter zurückgekehrt sind. Sie sind enttäuscht, dass die großen Verheißungen des Exilpropheten, Deutero-Jesaja genannt, dessen Worte im zweiten Teil des Jesaja-Buches gesammelt sind, sich nicht erfüllt haben, jedenfalls nicht so wie erwartet. Alles war viel kleiner ausgefallen. Die Heimkehr war alles andere als ein Triumphzug. Es waren nur Gruppen und Grüppchen, die sich aufmachten, um nach Palästina zurückzukehren. Andere blieben für immer in Babylon und begründeten so die jüdische Diaspora, die bis heute andauernde Zerstreuung des Volkes Israel unter den anderen Völkern. Im Land selbst herrschen Armut und Not. Die zerstörten Häuser mussten aufgebaut werden, was zur Folge hatte, dass der Wiederaufbau des Tempels nur schleppend voranging. Als er schließlich eingeweiht werden konnte (515 v. Chr.), blieb er weit hinter der einstigen Herrlichkeit und Pracht des Tempels Salomos zurück. Und selbst dann war nichts von der Heilszeit zu spüren, die verschiedene Propheten mit dem neu erstandenen Tempel verknüpft hatten. Was Wunder, dass das religiöse Leben darniederlag. Überdies hatte das Land unter persischer Herrschaft seine Freiheit verloren und war politisch bedeutungslos geworden. Kurz, es war eine in jeder Hinsicht dürftige Zeit.

 

In diese Situation hinein erging das Wort, das die Menschen aufrichten soll. Gott wird sein Volk trösten, wie eine Mutter ihr Kind tröstet. In der Tat ein tröstliches Gottesbild! Es lässt die Menschen wieder froh werden. Sie blühen auf und finden die Kraft, sich den anstehenden Aufgaben zu stellen. Die Krise wird zur Chance eines neuen Anfangs.

 

In der Kundenzeitschrift eines Blumenhandels war das Foto eines Grabes zu sehen. Daneben ein Hügel, gebildet von Kränzen und Blumen. In das Foto waren gekonnt drei Wörter mit einem großen Ausrufezeichen eingetragen: „Blumen können trösten!“ – Joseph von Eichendorff dichtete: „Komm, Trost der Welt, du stille Nacht!“ – Karl Rahner betete: „Gib uns den Geist deines Trostes. Herr, wir wissen, dass wir auch in Trostlosigkeit, Dürre und seelischer Ohnmacht dir treu sein sollen, müssen und können. Aber dennoch dürfen wir dich bitten um den Geist des Trostes und der Kraft, der Freude und der Zuversicht.“

 

Wer tröstet uns? Die Blumen am Grab? Die stille Nacht? Gott? – Es mag sein, dass Blumen und Kränze unsere Trauer für kurze Zeit aufhellen, aber können sie uns wirklich trösten? Können Blumen den Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen lindern oder gar nehmen? – Die Stille der Nacht lässt uns nach dem Lärm des Tages zu uns selbst kommen. Was uns am Tag bedrängt und verletzt hat, tritt zurück. Wir sehen die Dinge wieder klarer, wenn wir darüber geschlafen haben. Aber die Nacht ist kein Du, das uns mit einem Wort des Trostes aufrichtet oder durch eine Umarmung Nähe, Geborgenheit und Trost schenkt. – Die Bibel schenkt uns die Gewissheit, dass Gott ein tröstendes Du ist, das auf uns zukommt. Er will uns nicht über das Leid hinweg, sondern durch das Leid hindurch trösten. Er tut dies, indem er uns die Kraft gibt, nicht daran zu zerbrechen.

 

Was Israel in einer trostlosen Zeit von seinem Gott zugesagt wurde, das gilt auch uns. „Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch.“ Es liegt an uns, ob wir uns diesem Trost öffnen. „Gott ist dort, wo er eingelassen wird“, sagt ein chassidisches Sprichwort. Wir dürfen Gott beim Wort nehmen und ihn bitten: „Sprich du das Wort, das tröstet und befreit!“ (Gl 422). ER wird seine Zusage erfüllen.