Evangelium
Keiner von euch kann mein
Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet
+
Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas
In jener Zeit
25begleiteten
viele Menschen Jesus; da wandte er sich an sie
26und
sagte: Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder,
Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht
mein Jünger sein.
27Wer
nicht sein Kreuz trägt und hinter mir hergeht, der kann nicht mein Jünger sein.
28Denn
wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin
und berechnet die Kosten, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen?
29Sonst
könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht
fertigstellen kann. Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten
30und
sagen: Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen.
31Oder
wenn ein König gegen einen anderen in den Krieg zieht, setzt er sich dann nicht
zuerst hin und überlegt, ob er sich mit seinen zehntausend Mann dem
entgegenstellen kann, der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt?
32Kann
er es nicht, dann schickt er eine Gesandtschaft, solange der andere noch weit
weg ist, und bittet um Frieden.
33Ebenso
kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz
verzichtet.
Wer hat da überhaupt noch eine
Chance, Jünger zu werden? Und wer darf sich entsprechend und mit gutem Gewissen
noch als Christ und Christin bezeichnen?
Im heutigen Evangelium hängt die
Messlatte für Jüngerschaft sehr hoch, zu hoch für unseren Geschmack: Das eigene
Leben soll man gering achten. (Im Griechischen ist sogar wörtlich die Rede von
„hassen“, was die Einheitsübersetzung ein wenig abgemildert hat.) Sein Kreuz
soll man tragen. Auf seinen ganzen Besitz soll man verzichten. Die eigenen
Angehörigen soll man gering achten, ja hassen. – Wie passt Letzteres zum
Liebesgebot Jesu? Und ist das alles überhaupt lebbar? Ja, wo kämen wir hin, wenn
wir alle uns so verhalten und so handeln würden? Würde da die Gesellschaft nicht
aus den Fugen geraten? Und würden sich die Familienstrukturen nicht auflösen?
Wie also umgehen mit solchen
kompromisslosen Forderungen? - Andere Texte kommen in den Sinn, die ähnlich
radikal klingen: Wenn nämlich davon die Rede ist, dass wir unsere Feinde lieben
sollen (Lk 6, 27). Oder dass die Toten ihre Toten begraben sollen (Lk 9, 60). –
Das Evangelium scheut drastische Formulierungen nicht, wenn es darauf ankommt,
Menschen aufzurütteln und ihnen die Wahrheit vor Augen zu halten.
Bei unserem heutigen Evangelium
kann uns der Zusammenhang, in dem es steht, den Weg weisen, um es zu verstehen:
„Viele Menschen“ begleiten Jesus. Er gewinnt Anhänger, Sympathisanten.
Sind sie aber auch seine Jünger? Ist es ihnen ernst mit der Nachfolge, die immer
auch zur Kreuzesnachfolge werden kann? Oder ist ihre Begeisterung ein
Strohfeuer, das verlischt, wenn es hart wird und schwer, wenn das Leben übel
mitspielt, wenn sich Nachfolge zur Kreuzesnachfolge wandelt?
Liebe Schwestern und Brüder!
Eine ähnliche Situation erlebten
die allmählich wachsenden christlichen Gemeinden zur Zeit des Lukas. Einerseits
wurde die Zahl der Christen immer größer, andererseits drohte ihnen Verfolgung
und das Martyrium war eine Realität, mit der man rechnen musste.
In beiden Situationen – zur Zeit
Jesu und zur Zeit des Lukas – ist Entscheidung gefordert – und damit auch eine
nüchterne Prüfung. Das bringen die zwei Gleichnisse zum Ausdruck, die Jesus
erzählt: das Gleichnis, von dem Mann, der einen Turm baut und das von dem König,
der in die Schlacht zieht. Ein gutes Hinschauen, ein sorgfältiges Prüfen und
ruhiges Überlegen ist gefordert. Und nicht zuletzt die Notwendigkeit der
Entscheidung. Reichen die Mittel? Reichen die Kräfte? Wie groß ist meine
Bereitschaft?
Jüngerschaft heißt, die Nachfolge
Jesu allem anderen voranstellen: dem eigenen Besitz, den eigenen
Familienbindungen, der Sicherung des eigenen Lebens. Jünger sind eben
„Nachfolger“ und nicht nur „Mitläufer“. Ein bisschen nachfolgen ist zu wenig.
Jesus fordert den Menschen ganz.
Nun, liebe Schwestern und Brüder,
die Härte des Anspruchs Jesu bleibt, auch wenn wir ihn von seinem Kontext her
besser verstehen können. Glatt bügeln lässt sich das Evangelium – Gott sei Dank
– nicht.
In diesem Sinne müssen auch wir
uns fragen lassen, wo unsere Prioritäten liegen. Wo begnüge ich mich mit einem
lauen und mittelmäßigen Christsein? In wie weit ist mein Glaube nur ein
Sonntagsglaube? Und wo bin ich ernsthaft bestrebt, in der Nachfolge Jesu
wirklich und ganz entschieden christlich zu leben? |