37Richtet
nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht,
dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden. Erlasst einander die
Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden.
38Gebt,
dann wird auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem,
überfließendem Maß wird man euch beschenken; denn nach dem Maß, mit dem
ihr messt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden.
Ist das nicht ein Hammer,
was Jesus von uns im Evangelium fordert? – Die Menschen lieben, die uns
hassen; die segnen, die uns verfluchen; für die beten, die uns
misshandeln; auch noch die linke Wange hinhalten, wenn uns jemand auf
die rechte schlägt?
Können wir diese
Forderungen in der Welt, in der wir leben, überhaupt ernst nehmen?
Können wir das, was Jesus verlangt zum Maßstab unseres Handelns machen?
Sind wir da nicht hoffnungslos überfordert?
Überall in unserer
Welt,
in der Politik, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft, auch im
menschlichen Zusammenleben gelten ganz andere Grundsätze. Da lautet die
Devise: Wie du mir, so ich dir! Da lautet das Schema: Gleiches mit
Gleichem. Rache ist süß. Dem zahl` ich’s heim!
Man kann sich doch nicht
alles gefallen lassen? Man kann doch nicht alles mit sich machen lassen?
Man kann doch nicht immer nachgeben, alle Hiebe einstecken, alle
Beleidigungen hinnehmen, alle Gehässigkeiten hinunterschlucken und alles
auf sich sitzen lassen? – Ist man sonst nicht der Dumme? Wird
Gutmütigkeit nicht ausgenützt?
Kann man so leben, wie
es Jesus hier vorschlägt?
Viele sagen: es geht
nicht. Geht es wirklich nicht? Viele fragen: wo kämen wir hin, wenn man
sich danach richten würde?
Aber, liebe
Mitchristen,
wo kommen wir hin, wenn wir nach dem Motto handeln „Wie du mir, so
ich dir?“ Wo kommen wir hin, wenn wir nur ans Heimzahlen denken?
Sind das nicht Mafiamethoden? Wird da nicht oft neues Unrecht geboren?
Führt das nicht zu einer nie endenden Kette von Unrecht, zu einer
Eskalation von Hass, zu einem Teufelskreis der Gewalt und Rache? Wird
dort, wo sich einer rächt, nicht alles noch schlimmer? Merken wir nicht
bei den blutigen Tragödien im Nahen Osten und sonst wo, wie sich dieses
System buchstäblich tot läuft?
Geht es wirklich nicht
anders?
Jesus meint jedenfalls
seine Worte sehr ernst. Er will uns unruhig machen. Er fordert uns auf,
unsere allzu selbstverständlichen Reaktionen zu überprüfen.
Muss es denn wirklich
sein, dass ihr hauptsächlich in den Kategorien von Macht und Gewalt, von
Überlegenheit und Vergeltung denkt? Könnt ihr euch denn gar nicht
vorstellen, dass es auch anders gehen könnte?
Jesus zeigt die
Alternative.
Sie lautet: Gewaltverzicht
Sie ist ein Herzstück
seiner Verkündigung und seines Verhaltens. Gewaltverzicht im Sinne Jesu
ist jedoch nicht mit Passivität gleichzusetzen, mit Verzicht auf
Widerstand.
Jesus sagt nicht:
Wenn dich jemand schlägt, dann steck’s ein, opfere es auf; ertrag`s
geduldig. – Jesus verkündet keine Moral für Feiglinge und Duckmäuser. Er
plädiert nicht dafür, sich passiv zu verhalten. Er sagt ja eben nicht:
Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, nimm’s hin, sondern dann
halte auch die andere hin. Bete für deine Feinde. Tu Gutes, denen die
dich hassen!
Sehen Sie:
Jesus durchbricht den Mechanismus der Vergeltung. Er schlägt einen Keil
in den Teufelskreis von Rache und Hass. Er hebt das Freund-Feind-Schema
aus den Angeln. Er zeigt eine Alternative. – Er sagt nicht nur ein
eindeutiges „Nein“ zur Gewalt, sondert fordert das „Ja“ zum Frieden. –
Er ermuntert zu einem Mehr, zu einem Darüber hinaus, zu einer
ungewöhnlich neuen Initiative. „Was ihr von
anderen erwartet, das tut ebenso für sie.“
Liebe Schwestern und
Brüder!
Das neue Verhalten hat
seinen Grund: nämlich GOTT.
GOTT handelt so. ER lässt
seine Sonne aufgehen über Guten und Bösen. ER ist gütig. ER ist
barmherzig. ER verzeiht.
Die Aufforderung zur
Feindesliebe
ist ganz tief im Glauben an Gott begründet. Wenn wir ihn „Vater“ nennen,
wenn wir das von ihm glauben und verkünden, dann muss es auch in unserem
Leben gelten. Man kann nicht „Vater unser“ sagen und gleichzeitig
die geballte Faust in der Tasche halten.
„Seid barmherzig,
weil auch euer Vater barmherzig ist.“
Die christliche Liebe –
und in ihrer letzten Konsequenz auch die Feindesliebe – wurzelt in der
Erfahrung, dass ich selbst ganz ungeschuldet und unverdient von Gott
geliebt bin. Seitdem versteht sich christliche Liebe immer auch als
Weitergabe der Liebe Gottes.
Kann man so leben?
Jesus hat es wahr
gemacht. Er ging nicht über Leichen, er gab sich für andere hin. Er
fluchte nicht seinen Henkern und Feinden, er betete für sie.
Immer wieder haben
Menschen
haben im Lauf der Jahrhunderte versucht, die Worte Jesu ernst zu nehmen
und konsequent zu befolgen? Es sind die wahren Revolutionäre,
Revolutionäre der Liebe, Menschen, die sich von Jesus, von seinem Geist,
seiner Gesinnung haben inspirieren, motivieren, anstecken und antreiben
lassen. Ich denke an Franz von Assisi, an Maximilian Kolbe, an Martin
Luther King.
Nelson Mandela
z. B. war über dreißig Jahre im Gefängnis.
Als er zum Präsident von
Südafrika gewählt wurde, lud er seinen langjährigen weißen
Gefängniswärter als Ehrengast ein. Ein Beispiel praktizierter
Feindesliebe.
Wichtig ist, dass wir uns
hineinstellen in den Strom der schenkenden Liebe Gottes und die
empfangene Liebe Gottes weitergeben an alle Menschen:
-
Gut sein, auch dort,
wo’s nichts bringt
-
Geben, auch dort, wo
ich nichts zurückbekomme
-
Verzeihen, auch dort,
wo ich nicht schuld bin
-
Den Nachbar grüßen,
auch wenn der nicht grüßt
Das ist nicht immer
leicht.
Und es wird auch nicht immer gleich gut gelingen. Wo wir aber Schritte
in diese Richtung tun in der neuen Gangart des Lebens, da entsteht ein
neues Klima, da entstehen neue Spielräume des Handelns, da erfahren wir
eine ganz neue Freiheit. Da ist ein Stück Reich Gottes jetzt schon
gegenwärtig.
Gewiss,
eine solche Friedensinitiative wird manchmal ohne Antwort bleiben. Sie
gelingt vielleicht auch nicht immer. Oft braucht es viel Geduld und
langen Atem. Aber sollten wir Christen nicht Menschen sein, die solche
Geduld und solchen langen Atem haben und den Mut, der das Risiko nicht
scheut?
Eine östliche Weisheit
lautet: „Niemals hört im Weltenlauf die Feindschaft je durch Feindschaft auf. –
Durch Liebe nur erlischt der Hass. Ein ewiges Gesetz ist das.“
Martin Luther King
hat einmal gesagt: „Dunkelheit kann die
Dunkelheit nicht vertreiben, das kann nur das Licht. Hass kann den Hass
nicht vertreiben, das kann nur die Liebe.“
Sehr eindrucksvoll
spiegelt sich das heutige Evangelium in einem Gebet wieder, das dem
heiligen Franziskus zugeschrieben wird:
„Herr, mach mich zu
einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich Liebe übe, wo
man sich hasst,
dass ich verzeihe, wo
man sich beleidigt,
dass ich verbinde, wo
Streit ist,
dass ich die Wahrheit
sage, wo Irrtum herrscht,
dass ich Hoffnung
wecke, wo Verzweiflung quält,
dass ich ein Licht
anzünde, wo die Finsternis regiert,
und Freude bringe, wo
der Kummer wohnt…“