EVANGELIUM
Seid barmherzig, wie es euer
Vater ist
+Aus
dem heiligen Evangelium nach Lukas
27 Euch, die ihr mir
zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen.
28 Segnet die, die euch
verfluchen; betet für die, die euch misshandeln.
29 Dem, der dich auf die
eine Wange schlägt, halt auch die andere hin, und dem, der dir den Mantel
wegnimmt, lass auch das Hemd.
30 Gib jedem, der
dich bittet; und wenn dir jemand etwas wegnimmt, verlang es nicht zurück.
31 Was ihr
von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen.
32 Wenn ihr nur die
liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder lieben
die, von denen sie geliebt werden.
33 Und wenn ihr nur
denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun
auch die Sünder.
34 Und wenn ihr nur
denen etwas leiht, von denen ihr es zurückzubekommen hofft, welchen Dank
erwartet ihr dafür? Auch die Sünder leihen Sündern in der Hoffnung, alles
zurückzubekommen.
35 Ihr aber sollt
eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür
erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten
sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.
36 Seid barmherzig,
wie es auch euer Vater ist!
37 Richtet nicht,
dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch
ihr nicht verurteilt werden. Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch
die Schuld erlassen werden.
38 Gebt, dann wird
auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird
man euch beschenken; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird auch
euch zugeteilt werden.
Ist das nicht ein Hammer, was Jesus von uns im Evangelium fordert? – Die
Menschen lieben, die uns hassen; die segnen, die uns verfluchen; für die
beten, die uns misshandeln; auch noch die linke Wange hinhalten, wenn
uns jemand auf die rechte schlägt?
Können wir diese Forderungen in der Welt, in der wir leben, überhaupt
ernst nehmen? Können wir das, was Jesus verlangt zum Maßstab unseres
Handelns machen? Sind wir da nicht hoffnungslos überfordert?
Überall in unserer Welt,
in der Politik, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft, auch im
menschlichen Zusammenleben gelten ganz andere Grundsätze. Da lautet die
Devise: Wie du mir, so ich dir! Da lautet das Schema: Gleiches mit
Gleichem. Rache ist süß. Dem zahl` ich’s heim!
Man kann sich doch nicht alles gefallen lassen? Man kann doch nicht
alles mit sich machen lassen? Man kann doch nicht immer nachgeben, alle
Hiebe einstecken, alle Beleidigungen hinnehmen, alle Gehässigkeiten
hinunterschlucken und alles auf sich sitzen lassen? – Ist man sonst
nicht der Dumme? Wird Gutmütigkeit nicht ausgenützt?
Kann man so leben, wie es Jesus hier vorschlägt?
Viele sagen: es geht nicht. Geht es wirklich nicht? Viele fragen: wo
kämen wir hin, wenn man sich danach richten würde?
Aber, liebe Mitchristen,
wo kommen wir hin, wenn wir nach dem Motto handeln „Wie du mir, so
ich dir?“ Wo kommen wir hin, wenn wir nur ans Heimzahlen denken?
Sind das nicht Mafiamethoden? Wird da nicht oft neues Unrecht geboren?
Führt das nicht zu einer nie endenden Kette von Unrecht, zu einer
Eskalation von Hass, zu einem Teufelskreis der Gewalt und Rache? Wird
dort, wo sich einer rächt, nicht alles noch schlimmer? Merken wir nicht
bei den blutigen Tragödien im Nahen Osten und sonst wo, wie sich dieses
System buchstäblich tot läuft?
Geht es wirklich nicht anders?
Jesus meint jedenfalls seine Worte sehr ernst. Er will uns unruhig
machen. Er fordert uns auf, unsere allzu selbstverständlichen Reaktionen
zu überprüfen.
Muss es denn wirklich sein, dass ihr hauptsächlich in den Kategorien von
Macht und Gewalt, von Überlegenheit und Vergeltung denkt? Könnt ihr euch
denn gar nicht vorstellen, dass es auch anders gehen könnte?
Jesus zeigt die Alternative.
Sie lautet: Gewaltverzicht
Sie ist ein Herzstück seiner Verkündigung und seines Verhaltens.
Gewaltverzicht im Sinne Jesu ist jedoch nicht mit Passivität
gleichzusetzen, mit Verzicht auf Widerstand.
Jesus sagt nicht:
Wenn dich jemand schlägt, dann steck’s ein, opfere es auf; ertrag`s
geduldig. – Jesus verkündet keine Moral für Feiglinge und Duckmäuser. Er
plädiert nicht dafür, sich passiv zu verhalten. Er sagt ja eben nicht:
Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, nimm’s hin, sondern dann
halte auch die andere hin. Bete für deine Feinde. Tu Gutes, denen die
dich hassen!
Sehen Sie:
Jesus durchbricht den Mechanismus der Vergeltung. Er schlägt einen Keil
in den Teufelskreis von Rache und Hass. Er hebt das Freund-Feind-Schema
aus den Angeln. Er zeigt eine Alternative. – Er sagt nicht nur ein
eindeutiges „Nein“ zur Gewalt, sondert fordert das „Ja“ zum Frieden. –
Er ermuntert zu einem Mehr, zu einem Darüber hinaus, zu einer
ungewöhnlich neuen Initiative. „Was ihr von anderen erwartet, das tut
ebenso für sie.“
Liebe Schwestern und Brüder!
Das neue Verhalten hat seinen Grund: nämlich GOTT.
GOTT handelt so. ER läßt seine Sonne aufgehen über Guten und Bösen. ER
ist gütig. ER ist barmherzig. ER verzeiht.
Die Aufforderung zur Feindesliebe
ist ganz tief im Glauben an Gott begründet. Wenn wir ihn „Vater“ nennen,
wenn wir das von ihm glauben und verkünden, dann muss es auch in unserem
Leben gelten. Man kann nicht „Vater unser“ sagen und gleichzeitig
die geballte Faust in der Tasche halten.
„Seid barmherzig, weil auch euer Vater barmherzig ist.“
Die christliche Liebe – und in ihrer letzten Konsequenz auch die
Feindesliebe – wurzelt in der Erfahrung, dass ich selbst ganz
ungeschuldet und unverdient von Gott geliebt bin. Seitdem versteht sich
christliche Liebe immer auch als Weitergabe der Liebe Gottes.
Kann man so leben?
Jesus hat es wahr gemacht. Er ging nicht über Leichen, er gab sich für
andere hin. Er fluchte nicht seinen Henkern und Feinden, er betete für
sie.
Immer wieder haben Menschen
haben im Lauf der Jahrhunderte versucht, die Worte Jesu ernst zu nehmen
und konsequent zu befolgen? Es sind die wahren Revolutionäre,
Revolutionäre der Liebe, Menschen, die sich von Jesus, von seinem Geist,
seiner Gesinnung haben inspirieren, motivieren, anstecken und antreiben
lassen. Ich denke an Franz von Assisi, an Maximilian Kolbe, an Martin
Luther King.
Nelson Mandela
z. B. war über dreißig Jahre im Gefängnis.
Als er zum Präsident von Südafrika gewählt wurde, lud er seinen
langjährigen weißen Gefängniswärter als Ehrengast ein. Ein Beispiel
praktizierter Feindesliebe.
Wichtig ist, dass wir uns hineinstellen in den Strom der schenkenden
Liebe Gottes und die empfangene Liebe Gottes weitergeben an alle
Menschen:
-
Gut sein, auch dort, wo’s nichts bringt
-
Geben, auch dort, wo ich nichts zurückbekomme
-
Verzeihen, auch dort, wo ich nicht schuld bin
-
Den Nachbar grüßen, auch wenn der nicht grüßt
Das ist nicht immer leicht.
Und es wird auch nicht immer gleich gut gelingen. Wo wir aber Schritte
in diese Richtung tun in der neuen Gangart des Lebens, da entsteht ein
neues Klima, da entstehen neue Spielräume des Handelns, da erfahren wir
eine ganz neue Freiheit. Da ist ein Stück Reich Gottes jetzt schon
gegenwärtig.
Gewiss,
eine solche Friedensinitiative wird manchmal ohne Antwort bleiben. Sie
gelingt vielleicht auch nicht immer. Oft braucht es viel Geduld und
langen Atem. Aber sollten wir Christen nicht Menschen sein, die solche
Geduld und solchen langen Atem haben und den Mut, der das Risiko nicht
scheut?
Eine östliche Weisheit lautet:
„Niemals hört im Weltenlauf die Feindschaft je durch Feindschaft auf. –
Durch Liebe nur erlischt der Hass. Ein ewiges Gesetz ist das.“
Martin Luther King
hat einmal gesagt: „Dunkelheit kann die Dunkelheit nicht vertreiben,
das kann nur das Licht. Hass kann den Hass nicht vertreiben, das kann
nur die Liebe.“
Sehr eindrucksvoll
spiegelt sich das heutige Evangelium in einem Gebet wieder, das dem
heiligen Franziskus zugeschrieben wird:
„Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich Liebe übe, wo man sich hasst,
dass ich verzeihe, wo man sich beleidigt,
dass ich verbinde, wo Streit ist,
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum herrscht,
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält,
dass ich ein Licht anzünde, wo die Finsternis regiert,
und Freude bringe, wo der Kummer wohnt…“ |