Ein wogendes Ährenfeld in
sommerlicher Flur. Und darin Jesus mit seinen Freunden. Ein idyllisches
Bild.
Die Jünger reißen Ähren
ab und verspeisen die Körner.
Was soll’s? Ist doch
harmlos! Und sogar „gesetzlich“ erlaubt.
Im Buch Deuteronomium 23,
16 heißt es nämlich:
„Wenn du durch das
Kornfeld eines anderen kommst, darfst du mit der Hand Ähren abreisen,
aber die Sichel darfst du auf dem Kornfeld eines anderen nicht
schwingen.“
Also gar nicht so
schlimm, was die Jünger Jesu da machen.
Doch prompt melden sich
die Gesetzeshüter. Das Ährenrupfen geschieht am Sabbat. Ährenrupfen gilt
als Arbeit. Und damit ist es am Sabbat verboten.
Nun könnte man über die
Pharisäer spotten und sagen: Die ticken doch nicht richtig. Wegen ein
paar Ähren am Sabbat so ein Theater zu machen und Streit anzufangen!
Wie reagiert Jesus auf
die Vorwürfe der Pharisäer?
Er bleibt sachlich und
führt David als Beispiel an. Als Beispiel dafür, dass jemand unter
Umständen etwas Verbotenes tun kann, ohne sich schuldig zu machen. – Not
kennt kein Gebot. Und keine Regel ohne Ausnahmen.
Ganz entscheidend ist,
was Jesus dann sagt: „Der Sabbat ist für den
Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.“
Liebe Schwestern und
Brüder!
Unser Leben und unser
Miteinander braucht Regeln und Ordnungen. Das fängt im Straßenverkehr an
und hört bei EU-Verordnungen auf. – Aber sie dürfen nicht ausufern, sie
dürfen nicht verabsolutiert und zum Selbstzweck werden.
Jesus wendet sich heute
im Evangelium – wie auch an anderen Stellen – gegen eine zu penible und
kleinliche Auslegung des Sabbatgebotes.
„Der Sabbat ist für
den Menschen da.“
Nicht Gott braucht diesen
Tag, sondern der Mensch.
Der Sabbat – wie auch
unser Sonntag – soll dem Menschen zum Heil gereichen und ihm zum Segen
werden. Er soll ihn befreien und nicht wieder unterdrücken und knechten.
Gott will nicht, dass wir
total in Beruf und Arbeit aufgehen und schließlich darin untergehen. Er
will die heilsame Unterbrechung von alltäglicher Routine und
Betriebsamkeit. Er will die Befreiung von ständiger Unrast, pausenlosem
Aktivismus und permanentem Gefordert- Eingespannt- und in
Anspruch-genommen-Sein.
Der Mensch soll einmal
abschalten können von den Sorgen des Alltags und den Zwängen der Arbeit.
Er soll einmal herauskommen aus der Tretmühle der täglichen Pflichten
und Aufgaben, aussteigen aus dem Hamsterrad, ausspannen, aufatmen. Der
Sabbat will ein Atemholen der Seele ermöglichen.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Es geht Jesus nicht
darum, den Sabbat abzuschaffen. Jesus hat den Sabbat grundsätzlich
anerkannt. Es ist gut, dass es ihn gibt.
C. G. Jung hat einmal
gesagt: „Der Sabbat ist das größte Geschenk des Judentums an die
Menschheit“ Und er hat recht.
Das Sabbatgebot schützt
den Menschen vor Ausbeutung und Versklavung. – Aber schlimm ist es, wenn
er durch Legalismus und Formalismus wiederum in eine neue Form der
Unterdrückung und Versklavung führt.
Im Laufe der Zeit kamen
zum Sabbatgebot viele Vorschriften und Bestimmungen dazu, immer neue
Präzisierungen und Festlegungen. Ein ausgefeiltes Regelwerk von Menschen
erdacht und gemacht.
Jesus geht es darum, den
Sabbat auf seinen ursprünglichen Sinn zurückzuführen und ihm die
Bedeutung zu geben, die Gott gewollt hat.
Der zentrale Satz lautet:
„Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den
Sabbat.“ Und Jesus fügt hinzu: „Denn der
Menschensohn ist Herr auch über den Sabbat.“
Sehen Sie: Wenn Jesus das
sagt, wenn er sich als Menschensohn bezeichnet und wenn er behauptet,
Herr auch über den Sabbat zu sein, dann tritt er mit einem ungeheuren
Anspruch auf. Er reklamiert für sich eine Vollmacht sonders gleichen. Er
nimmt für sich etwas heraus, was nur Gott zusteht.
Er stellt sich damit auf
eine Ebene mit Gott, der den Sabbat eingesetzt hat, als er am 7. Tag der
Schöpfung ausruhte von seinen Werken.
Vor dem Ährenrupfen im
heutigen Evangelium hat Jesus im Zusammenhang mit der Heilung eines
Gelähmten Sünden vergeben, was letztlich allein Gott kann. Das hat die
Führer der Juden bereits gehörig gegen ihn aufgebracht.
Anschließend an die
Episode des Ährenrupfens heilt Jesus am Sabbat in der Synagoge einen
Mann mit einer verdorrten Hand.
Da platzt den
Gesetzeshütern vollends der Kragen. Und sie sinnen darauf, Jesus, diesen
Unruhestifter und Gotteslästerer, nicht mehr nur verbal mundtot zu
machen, sondern ihn vollends fertig zu machen. Sie streben seine
Hinrichtung an.
Fällt ihnen etwas auf,
liebe Mitchristen?
Vordergründig geht es im
heutigen Evangeliumsabschnitt um den Sabbat. In Wirklichkeit geht aber
darum, wer Jesus ist. Es geht um den Anspruch Jesu, den Willen Gottes
endgültig und mit göttlicher Vollmacht zu verkünden und auszulegen.
„Der Sabbat ist für
den Menschen da.“
Wie können wir das heute
umsetzen im Blick auf den Sonntag, der für uns Christen der erste Tag
der Woche ist, der Tag der Auferstehung und immer auch ein kleines
Osterfest?
Gott hat Interesse am
Heil des Menschen. Das Heil des Menschen besteht nicht in Gewinn- und
Profitmaximierung, auch nicht in Produktionssteigerung oder in noch mehr
Konsum.
Wie oft setzt sich der
„Stress der Woche“ am Sonntag fort?
Auch ein Zuviel an
Terminen und Aktivitäten in der Freizeit kann die sonntägliche Ruhe
rauben und auf Dauer dem Heil des Menschen mehr schaden als nützen.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Finden wir am Sonntag zu
uns selbst! Und finden wir zu dem, der unser Ursprung ist und unser
Ziel! Nehmen wir uns auch Zeit für die Begegnung mit ihm, unseren Herrn
und Erlöser, dem wir so viel zu verdanken haben!
Liebe Mitchristen!
Was in der Diskussion um
den Sonntag auch heute heilsam und notwendig wäre, das hat meines
Erachtens der Münchner Kardinal Faulhaber einmal kurz und bündig so auf
den Punkt gebracht: „Gib der Seele ihren
Sonntag und gib dem Sonntag seine Seele.“
Das wär’s, auch heute
noch, beides: Der Seele ihren Sonntag geben und dem Sonntag seine Seele.