ERSTE LESUNG
Geh und rede als Prophet zu
meinem Volk Israel!
Lesung aus dem Buch Amos
In jenen Tagen
12sagte Amazja,
der Priester von Bet-El, zu Amos: Geh, Seher, flüchte ins Land Juda! Iss dort
dein Brot, und tritt dort als Prophet auf!
13In Bet-El
darfst du nicht mehr als Prophet reden; denn das hier ist ein Heiligtum des
Königs und ein Reichstempel.
14Amos
antwortete Amazja: Ich bin kein Prophet und kein Prophetenschüler, sondern ich
bin ein Viehzüchter, und ich ziehe Maulbeerfeigen.
15Aber
der Herr hat mich von meiner Herde weggeholt und zu mir gesagt: Geh und rede als
Prophet zu meinem Volk Israel!
Ein Bauer aus dem
Breisgau fährt Sonntag für Sonntag nach Freiburg, stellt sich dort vor
das Münster, und wenn die Gottesdienstbesucher in die Kirche strömen,
fängt er an, Reden zu halten. Er schimpft über die Landesregierung in
Stuttgart, lässt kein gutes Haar an den Politikern in Berlin und
Brüssel. Auch „die da oben“ in der Kirche bekommen ihr Fett ab. – Dann
beklagt er, dass alle nur noch hinter dem Geld her sind, dass die
Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer, und dass niemand
mehr wirklich auf den Herrgott hört.
Schließlich droht er,
dass es nicht mehr lange so weitergeht. Er prophezeit Unheil und
Unglück. Und sieht den Untergang des sogenannten christlichen
Abendlandes kommen. Wenn man sich nicht besinnt und umkehrt, werde alles
ein schlimmes Ende nehmen. – Das geht so eine Zeit lang, bis an einem
Sonntag der Münsterpfarrer vor die Kirche kommt und den Störenfried
konfrontiert. Was ihm einfällt und wie er überhaupt dazu komme vor dem
Münster Reden zu halten, herum zu stänkern, alles und jeden zu
kritisieren. Er solle gefälligst verschwinden, dahin gehen, wo er
hergekommen sei und seine Landwirtschaft betreiben. Predigen brauche
hier niemand. Das könnten die Bischöfe und Domkapitulare im Münster
selbst ganz gut.
Frei erfunden ist diese
Geschichte. Ein wenig verrückt, zugeben. Und doch nicht ganz unmöglich.
Denn so etwas Ähnliches hat sich ca. 750 vor Christus an einem Heiligtum
in Israel tatsächlich ereignet.
Das Heilige Land war
damals in ein Südreich Juda und in ein Nordreich Israel geteilt.
Amos, ein Viehzüchter und
Landwirt aus dem Südreich trat in Bet-El, dem Heiligtum des Nordreiches,
auf. Und er nahm kein Blatt vor den Mund. Er redete Klartext. Er legte
die Finger auf die Wunden, im Gegensatz zu den bezahlten Propheten.
Damals gab es nämlich an
jedem Heiligtum Berufspropheten, Angestellte des Königs, die auch den
göttlichen Willen verkünden sollten. Aber wie es so ist, wenn jemand
berufsmäßig angestellt und vom „Chef“ abhängig ist, schwammen diese
Hoftheologen gern mit dem Strom, passten sich dem Zeitgeist an und
sagten, was den Ohren schmeichelte. Ihre Prophetensprüche lagen auf der
Linie des Königs und des Tempelklerus.
Anders Amos. Er redete
niemand nach dem Mund, weder den weltlichen noch den kirchlichen
Autoritäten, und den – auf Kosten der Armen – Reichen und Wohlhabenden
schon gar nicht.
Er nannte die Missstände
beim Namen: Korruption, Ausbeutung, Unterdrückung, Willkür in der
Rechtsprechung usw.
Zwei Zitate als
Kostproben:
Erstens
Gesellschaftskritik: „Hört dies Wort, die ihr die Schwachen verfolgt und die Armen im Land
unterdrückt. Ihr sagt: Wann ist das Neumondfest vorbei? Wir wollen
Getreide verkaufen. Und wann ist der Sabbat vorbei? Wir wollen den
Kornspeicher öffnen, das Maß kleiner und den Preis größer machen und die
Gewichte fälschen. Wir wollen mit Geld den Hilflosen kaufen, für ein
paar Sandalen die Armen. Sogar den Abfall des Getreides machen wir zu
Geld.“ (Am 8, 4 - 6)
Zweites Beispiel:
Der Prophet als Sprachrohr Gottes übt Kritik am Tempelkult, am
Gottesdienst:
„Ich hasse eure Feste,
ich verabscheue sie. Eure Feiern kann ich nicht riechen. Wenn ihr mir
Brandopfer darbringt, habe ich kein Gefallen an euren Gaben. Und eure
fetten Opfer will ich nicht sehen. Weg mit dem Lärm deiner Lieder! Dein
Harfenspiel will ich nicht hören. Vielmehr ströme das Recht wie Wasser
und die Gerechtigkeit wie ein nie verströmender Bach.“
(Am 5, 21 - 24)
Amos,
dieser Hobbyprophet und Quereinsteiger – wie man ihn nennen könnte – war
natürlich alles andere als gern gesehen am Heiligtum von Bet-El. Mit
seinem – in den Augen der anderen – übertrieben Gerechtigkeitssinn
machte er sich keine Freunde.
Er war unbequem, er eckte
an und störte. Ja, man fand ihn schlichtweg untragbar.
Dazu kommt, dass Amos mit
Unglück und Untergang drohte und das baldige göttliche Strafgericht
ansagte. „Jerobeam (der König) stirbt durch das Schwert und
Israel muss sein Land verlassen und in die Verbannung ziehen.“ (Amos
7, 11)
Übrigens, die Drohungen
des Amos erfüllten sich furchtbar.
Nur wenige Jahrzehnte
nach seinem Auftreten überfielen die Assyrer Israel, verschleppten die
wohlhabende Oberschicht, zerstörten die Städte und auch das
Reichsheiligtum Bet-El.
Die erste Lesung des
heutigen Sonntags
berichtet nun von der Begegnung des Amos mit Amazja, dem Oberpriester
des Reichsheiligtums Bet-El, eingesetzt vom König.
Klar, dass dieser alles
andere als erfreut war über Amos.
Er sah in ihm einen
Störenfried, einen Unruhestifter, einen Kritikaster, vielleicht auch
einen Rivalen, einen Konkurrenten.
Amazja verdächtigte Amos
des Aufruhrs und zeigte ihn bei Jerobeam II., dem König von Israel, an.
(vgl. Am 7, 10 - 11)
Schließlich verweist er
Amos des Landes: Verschwinde! Rede woanders! Geh hin, wo du hergekommen
bist! Iss dort dein Brot! Tritt dort als Prophet auf! Lass uns hier in
Ruhe.
Amos protestiert. Er
sagt: Ich bin keiner jener selbsternannten Propheten. Ich habe einen
normalen, anständigen Beruf. Gott, der Herr, war es, der mich von meiner
Herde weggeholt hat. Er hat mich berufen. Er hat mich ausgesandt. In
seinem Auftrag rede ich. Ich lasse mich nicht mundtot machen.
Die Szene erinnert an die
Art wie Martin Luther der Überlieferung nach 1521 vor dem Reichstag zu
Worms aufgetreten ist und gesagt haben soll: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir!“
Was treibt Amos, seine
Landwirtschaft allein zu lassen, um an einem Heiligtum Missstände
anzuprangern und Drohbotschaften von sich zu geben? Dabei hat er ja gar
nichts von seiner Entrüstung. Er erntet nur Ärger und Spott.
Ein Zwang scheint auf ihm
zu liegen. Er fühlt sich in Pflicht genommen. Gott hat ihn ergriffen.
Und er kann und will sich seiner göttlichen Berufung nicht entziehen. Er
muss ihr folgen, auch wenn es ihn in Gefahr für Leib und Leben bringt.
Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.
Die echten Propheten
haben an ihrer Berufung gelitten. Und es waren oft auch Märtyrer von
Jeremia über Johannes der Täufer bis hin zu Alfred Delp und Oskar
Romero.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Propheten brauchen wir
auch heute, auch wenn sie manchmal unangenehm sind, Störenfriede, Sand
im Getriebe.
Menschen, die den Finger
auf Wunden legen, die sagen, was Sache ist, die ihr Fähnchen nicht in
den Wind hängen und niemandem nach dem Mund reden. Menschen, die auf die
vielen Verletzungen der Menschenwürde hinweisen, auf Völkermord, auf die
wegen ihres Glaubens oder ihrer Überzeugung wegen Verfolgten,
Gefolterten und Getöteten. Menschen, die auf die Zerstörung und
Plünderung von Naturressourcen durch skrupellose Politiker und Konzerne
hinweisen und sich in ganz konkreten Aktionen für Frieden, Gerechtigkeit
und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen oder für die Abschaffung der
Todesstrafe.
Man muss sie nicht mögen
diese „Propheten“ heute.
Papst Franziskus ist in
meinen Augen auch so ein Prophet.
Ich denke, es gehören
auch Institutionen dazu wie z.B. Amnesty International, Green Peace,
Ärzte ohne Grenzen, Brot für die Welt und andere.
Aber beachten sollten wir
sie doch und ihnen Gehör schenken.
Ob Gott heute nicht auch
durch sie spricht und durch sie handelt?
Was würde Amos uns
heute sagen, mir und Ihnen?
Vielleicht: Seid nicht
selbstgerecht! Übt Solidarität, wo Menschen schwach und unterdrückt
sind! Habt ein Herz für die Armen! Giert nicht, geizt nicht! Lebt nicht
auf Kosten anderer! Seid bereit, zu teilen! „Sucht das Gute, nicht
das Böse; dann werdet ihr leben.“ (Am 5, 14)