Ein Bauer
aus dem Breisgau fährt Sonntag für Sonntag nach Freiburg, stellt sich
dort vor das Münster, und wenn die Gottesdienstbesucher in die Kirche
strömen, fängt er an, Reden zu halten. Er schimpft über die
Landesregierung in Stuttgart, lässt kein gutes Haar an den Politikern in
Berlin und Brüssel. Auch „die da oben“ in der Kirche bekommen ihr Fett
ab. – Dann beklagt er, dass alle nur noch hinter dem Geld her sind, dass
die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer, und dass
niemand mehr wirklich auf den Herrgott hört.
Schließlich droht er, dass es nicht mehr lange so weitergeht. Er
prophezeit Unheil und Unglück. Und sieht den Untergang des sogenannten
christlichen Abendlandes kommen. Wenn man sich nicht besinnt und
umkehrt, werde alles ein schlimmes Ende nehmen. – Das geht so eine Zeit
lang, bis an einem Sonntag der Münsterpfarrer vor die Kirche kommt und
den Störenfried konfrontiert. Was ihm einfällt und wie er überhaupt dazu
komme vor dem Münster Reden zu halten, herum zu stänkern, alles und
jeden zu kritisieren. Er solle gefälligst verschwinden, dahin gehen, wo
er hergekommen sei und seine Landwirtschaft betreiben. Predigen brauche
hier niemand. Das könnten die Bischöfe und Domkapitulare im Münster
selbst ganz gut.
Frei
erfunden ist diese Geschichte. Ein wenig verrückt, zugeben. Und doch
nicht ganz unmöglich. Denn so etwas Ähnliches hat sich ca. 750 vor
Christus an einem Heiligtum in Israel tatsächlich ereignet.
Das
Heilige Land war damals in ein Südreich Juda und in ein Nordreich Israel
geteilt.
Amos, ein
Viehzüchter und Landwirt aus dem Südreich trat in Bet-El, dem Heiligtum
des Nordreiches, auf. Und er nahm kein Blatt vor den Mund. Er redete
Klartext. Er legte die Finger auf die Wunden, im Gegensatz zu den
bezahlten Propheten.
Damals
gab es nämlich an jedem Heiligtum Berufspropheten, Angestellte des
Königs, die auch den göttlichen Willen verkünden sollten. Aber wie es so
ist, wenn jemand berufsmäßig angestellt und vom „Chef“ abhängig ist,
schwammen diese Hoftheologen gern mit dem Strom, passten sich dem
Zeitgeist an und sagten, was den Ohren schmeichelte. Ihre
Prophetensprüche lagen auf der Linie des Königs und des Tempelklerus.
Anders
Amos. Er redete niemand nach dem Mund, weder den weltlichen noch den
kirchlichen Autoritäten, und den – auf Kosten der Armen – Reichen und
Wohlhabenden schon gar nicht.
Er nannte
die Missstände beim Namen: Korruption, Ausbeutung, Unterdrückung,
Willkür in der Rechtsprechung usw.
Zwei Zitate als Kostproben:
Erstens
Gesellschaftskritik:
„Hört dies Wort, die ihr die Schwachen verfolgt und die Armen im Land
unterdrückt. Ihr sagt: Wann ist das Neumondfest vorbei? Wir wollen
Getreide verkaufen. Und wann ist der Sabbat vorbei? Wir wollen den
Kornspeicher öffnen, das Maß kleiner und den Preis größer machen und die
Gewichte fälschen. Wir wollen mit Geld den Hilflosen kaufen, für ein
paar Sandalen die Armen. Sogar den Abfall des Getreides machen wir zu
Geld.“ (Am 8, 4 - 6)
Zweites
Beispiel:
Der Prophet als Sprachrohr Gottes übt Kritik am Tempelkult, am
Gottesdienst:
„Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie. Eure Feiern kann ich nicht
riechen. Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, habe ich kein Gefallen an
euren Gaben. Und eure fetten Opfer will ich nicht sehen. Weg mit dem
Lärm deiner Lieder! Dein Harfenspiel will ich nicht hören. Vielmehr
ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie
verströmender Bach.“
(Am 5, 21 - 24)
Amos,
dieser Hobbyprophet und Quereinsteiger – wie man ihn nennen könnte – war
natürlich alles andere als gern gesehen am Heiligtum von Bet-El. Mit
seinem – in den Augen der anderen – übertrieben Gerechtigkeitssinn
machte er sich keine Freunde.
Er war
unbequem, er eckte an und störte. Ja, man fand ihn schlichtweg
untragbar.
Dazu
kommt, dass Amos mit Unglück und Untergang drohte und das baldige
göttliche Strafgericht ansagte. „Jerobeam (der König) stirbt
durch das Schwert und Israel muss sein Land verlassen und in die
Verbannung ziehen.“ (Amos 7, 11)
Übrigens,
die Drohungen des Amos erfüllten sich furchtbar.
Nur
wenige Jahrzehnte nach seinem Auftreten überfielen die Assyrer Israel,
verschleppten die wohlhabende Oberschicht, zerstörten die Städte und
auch das Reichsheiligtum Bet-El.
Die erste Lesung des heutigen Sonntags
berichtet nun von der Begegnung des Amos mit Amazja, dem Oberpriester
des Reichsheiligtums Bet-El, eingesetzt vom König.
Klar,
dass dieser alles andere als erfreut war über Amos.
Er sah in
ihm einen Störenfried, einen Unruhestifter, einen Kritikaster,
vielleicht auch einen Rivalen, einen Konkurrenten.
Amazja
verdächtigte Amos des Aufruhrs und zeigte ihn bei Jerobeam II., dem
König von Israel, an. (vgl. Am 7, 10 - 11)
Schließlich verweist er Amos des Landes: Verschwinde! Rede woanders! Geh
hin, wo du hergekommen bist! Iss dort dein Brot! Tritt dort als Prophet
auf! Lass uns hier in Ruhe.
Amos
protestiert. Er sagt: Ich bin keiner jener selbsternannten Propheten.
Ich habe einen normalen, anständigen Beruf. Gott, der Herr, war es, der
mich von meiner Herde weggeholt hat. Er hat mich berufen. Er hat mich
ausgesandt. In seinem Auftrag rede ich. Ich lasse mich nicht mundtot
machen.
Die Szene
erinnert an die Art wie Martin Luther der Überlieferung nach 1521 vor
dem Reichstag zu Worms aufgetreten ist und gesagt haben soll: „Hier
stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir!“
Was
treibt Amos, seine Landwirtschaft allein zu lassen, um an einem
Heiligtum Missstände anzuprangern und Drohbotschaften von sich zu geben?
Dabei hat er ja gar nichts von seiner Entrüstung. Er erntet nur Ärger
und Spott.
Ein Zwang
scheint auf ihm zu liegen. Er fühlt sich in Pflicht genommen. Gott hat
ihn ergriffen. Und er kann und will sich seiner göttlichen Berufung
nicht entziehen. Er muss ihr folgen, auch wenn es ihn in Gefahr für Leib
und Leben bringt. Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.
Die
echten Propheten haben an ihrer Berufung gelitten. Und es waren oft auch
Märtyrer von Jeremia über Johannes der Täufer bis hin zu Alfred Delp und
Oskar Romero.
Liebe Schwestern und Brüder!
Propheten
brauchen wir auch heute, auch wenn sie manchmal unangenehm sind,
Störenfriede, Sand im Getriebe.
Menschen,
die den Finger auf Wunden legen, die sagen, was Sache ist, die ihr
Fähnchen nicht in den Wind hängen und niemandem nach dem Mund reden.
Menschen, die auf die vielen Verletzungen der Menschenwürde hinweisen,
auf Völkermord, auf die wegen ihres Glaubens oder ihrer Überzeugung
wegen Verfolgten, Gefolterten und Getöteten. Menschen, die auf die
Zerstörung und Plünderung von Naturressourcen durch skrupellose
Politiker und Konzerne hinweisen und sich in ganz konkreten Aktionen für
Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen oder
für die Abschaffung der Todesstrafe.
Man muss
sie nicht mögen diese „Propheten“ heute.
Papst
Franziskus ist in meinen Augen auch so ein Prophet.
Ich
denke, es gehören auch Institutionen dazu wie z.B. Amnesty
International, Green Peace, Ärzte ohne Grenzen, Brot für die Welt und
andere.
Aber
beachten sollten wir sie doch und ihnen Gehör schenken.
Ob Gott
heute nicht auch durch sie spricht und durch sie handelt?
Was würde Amos uns heute sagen, mir und Ihnen?
Vielleicht: Seid nicht selbstgerecht! Übt Solidarität, wo Menschen
schwach und unterdrückt sind! Habt ein Herz für die Armen! Giert nicht,
geizt nicht! Lebt nicht auf Kosten anderer! Seid bereit, zu teilen!
„Sucht das Gute, nicht das Böse; dann werdet ihr leben.“ (Am 5, 14)