„Sagt den Verzagten: Seid stark,
fürchtet euch nicht! Seht, euer Gott!... Er selbst kommt und wird euch retten!“
Jes 35,4
Erste Lesung
Die Ohren der Tauben öffnen sich;
die Zunge des Stummen frohlockt
Lesung
aus dem Buch Jesája
4Sagt den
Verzagten: Seid stark, fürchtet euch nicht! Seht, euer Gott! Die Rache kommt,
die Vergeltung Gottes! Er selbst kommt und wird euch retten.
5Dann werden die
Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben werden geöffnet.
6Dann springt
der Lahme wie ein Hirsch und die Zunge des Stummen frohlockt, denn in der Wüste
sind Wasser hervorgebrochen und Flüsse in der Steppe.
7aDer glühende
Sand wird zum Teich und das durstige Land zu sprudelnden Wassern.
Evangelium
Er macht, dass die Tauben hören
und die Stummen sprechen
+
Aus dem heiligen Evangelium nach Markus
In jener Zeit
31verließ
Jesus das Gebiet von Tyrus und kam über Sidon an den See von Galiläa, mitten in
das Gebiet der Dekápolis.
32Da
brachten sie zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, er möge
ihm die Hand auflegen.
33Er
nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und
berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel;
34danach
blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu ihm: Éffata!, das heißt: Öffne
dich!
35Sogleich
öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er
konnte richtig reden.
36Jesus
verbot ihnen, jemandem davon zu erzählen. Doch je mehr er es ihnen verbot, desto
mehr verkündeten sie es.
37Sie
staunten über alle Maßen und sagten: Er hat alles gut gemacht; er macht, dass
die Tauben hören und die Stummen sprechen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Diese Worte haben wir eben in der
Lesung aus dem Ersten Testament gehört. Es sind Worte des Propheten Jesaja. Und
das Buch, in dem sie stehen, nennen wir das „Trost-Buch“.
Israel stand damals in der Gefahr,
aufgelöst und zerrieben zu werden. Es befand sich in der Verbannung. Nachdem es
seine Heimat verloren hatte, stand es nun auch kurz davor, seinen Glauben zu
verlieren. – Eine Situation, die vielen Angst machte und verzagen ließ.
Genau in diese Bedrohung und Angst
hinein spricht der Prophet. Und er tröstet, er macht Mut. Fürchtet euch nicht!
Bei all Eurer Bedrängnis ist da doch immer noch Gott. Und dieser Gott lässt Euch
nicht hängen. Sondern er selbst wird Euch retten.
Liebe Schwestern und Brüder!
Als Markus sein Evangelium
schreibt, da hat er dieses Trostbuch sehr wohl im Kopf. Und mit seinem
Evangelium, mit seiner Frohen Botschaft will er sagen:
Jetzt macht Gott ernst. Dieser
Jesus ist nicht irgendwer. Er ist nicht irgendein Wunderdoktor, der gute Tricks
draufhat, um Menschen zu heilen, sondern er ist die Erfüllung der Zusage Gottes.
In Jesus, da löst Gott sein altes Versprechen ein. In Jesus macht Gott wahr, was
bereits durch die Propheten angekündigt worden ist: „Seht, hier ist Gott!“
– Ein Gott, der rettet – und zwar so, dass man es sehen und hören kann.
Liebe Schwestern und Brüder!
Da bringt man also einen
Taubstummen zu Jesus. Unsere Bibelwissenschaftler sagen, dass diese Taubstumme
ein Bild ist, ein Bild für viele Menschen, die irgendwie krank geworden sind:
Menschen, die irgendwann stumm
geworden sind, weil niemand ihnen mehr wirklich zuhört; Menschen, die nichts
mehr sagen wollen und können, weil keiner hinhört auf das, was sie wirklich
sagen wollen, wenn sie von ihrem Leid, von ihrer Not und von ihren Ängsten
sprechen; Menschen, die sich zurückgezogen haben und irgendwann total verstummt
sind, weil niemand sich mehr für die interessiert.
Dieser Taubstumme ist auch ein
Bild für Menschen, die nichts mehr hören wollen, weil man ihnen immer nur gesagt
hat, was sie alles nicht richtig machen, wo sie noch Defizite haben oder was sie
schon wieder falsch gemacht haben – und dass sie aus all diesen Gründen nicht ok
sind: Menschen, die „dicht gemacht“ und zugemacht haben, um überhaupt noch
weiter leben zu können – und an die niemand mehr rankommt. Und davon gibt es –
weiß Gott – viele.
Aber Jesus kommt an diesen
Menschen ran. Jesus kann ihm helfen. – Aber Jesus tut es nicht mit Hokuspokus
oder so was, nicht mit frommen Sprüchen, sondern durch Zuwendung und Nähe, durch
die Art und Weise wie er ihm begegnet.
Liebe Schwestern und Brüder!
Dieser Jesus kommt nicht mit
wieder neuen Ermahnungen, nicht mit Aufforderungen wie „Jetzt reiß dich mal
zusammen! – Lass dich nicht so hängen!“ Da ist kein „Was ist denn jetzt schon
wieder los!“
Da ist vielmehr Zuwendung ohne
viele Worte. Aber dafür ganz viel Nähe, die diesem Taubstummen zeigt: Du bist
mir wichtig! Da ist ganz viel Aufmerksamkeit, die diesem Taubstummen
signalisiert: Ich bin jetzt nur für dich da. Alles andere muss jetzt warten. Ich
habe jetzt Zeit. Ich habe ein Ohr für dich und deine Probleme. Ich sehe dich in
deiner Not.
Und genau das verändert die Welt
dieses Taubstummen. Genau das öffnet diesen Menschen wieder für das Leben. Und
das macht ihn heil und gesund.
Das einzige Wort, das Jesus
spricht ist „Effata“ – „Öffne dich“. Alles andere ist Nähe, Aufmerksamkeit,
Zuwendung.
„Effata“, liebe Schwestern und
Brüder, so hat man auch einmal zu jeder und jedem von uns gesagt. So wurden
wir alle einmal ermutigt – in einem Moment, in dem Gott auch uns ganz nahe
gekommen ist, mit ganz viel Liebe und Zuneigung. Denn „Effata“, so spricht der
Priester oder Diakon bei jeder Taufe.
Öffne dich! Das will wohl sagen:
Gott will offene Menschen, keine Menschen, die sich verkrümmen, ducken oder
klein machen – nicht vor den Menschen und zweimal nicht vor IHM. Nein, Gott will
Menschen, die aufrecht stehen, damit sie hören und sehen und entdecken, wie
wichtig sie für Gott sind – für jenen Gott, der unser Heil will. Das ist die
Frohe Botschaft dieses Evangeliums.
Aber da gibt es noch eine zweite
Botschaft in diesem Text, die man fast übersieht, weil es fast nur eine
Randnotiz ist. – Da steht: Da brachte man einen Taubstummen zu Jesus. Das heißt:
Da gab es Menschen, die einen, der total zugemacht hatte, der schon taub und
stumm für alles geworden war, zu Jesus bringen, Menschen, die diesen Kranken
sozusagen zum Heil hinbringen.
Da gab es „Heils-Vermittler“ und
Heils-Vermittlerinnen.
Menschen also, die genau damit zum
„Heiland“ für andere werden können, weil sie nicht schon zufrieden sind, wenn es
ihnen selbst gut geht, sondern weil sie wollen, dass auch andere dieses Heil
finden, dass auch andere Anteil am Leben haben.
Ich denke, das ist die Stelle, an
der wir in dieses Evangelium hineinkommen. Das ist die Stelle, an der wir
gefragt und notwendig sind. Als Menschen, die offen sind für die Not der anderen
– und offen für das Heil, das allein Gott schenken kann – und die dann einen
Menschen dorthin führen, wo sie das Heil erfahren können – zu Gott. Und zwar zu
einem liebenden und tröstenden, zu einem rettenden Gott, der nicht nur damals
Mensch geworden ist in Jesus Christus, sondern auch heute Mensch werden will –
in uns, damit auch wir so handeln wie Jesus gehandelt hat: heilend und
befreiend, aufrichtend und vergebend, liebevoll und tröstend – so dass Menschen
sich öffnen können, weil wir ihnen so begegnet sind, dass sie durch uns das Heil
erfahren haben.
Wenn wir dazu fähig sind – zu
heilsamen und heilenden Begegnungen mit unseren Mitmenschen, dann sind wir
wirklich Kirche, Kirche unseres Herrn Jesus Christus.
Diese Predigt orientiert sich an
einer Vorlage von Richard Baus |