EVANGELIUM
Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!
+ Aus dem heiligen Evangelium nach
Markus
14Nachdem
man Johannes den Täufer ins Gefängnis geworfen hatte, ging Jesus wieder nach
Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes
15und
sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an
das Evangelium!
16Als
Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des
Simon, die auf dem See ihr Netz auswarfen; sie waren nämlich Fischer.
17Da
sagte er zu ihnen: Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern
machen.
18Sogleich
ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm.
19Als
er ein Stück weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen
Bruder Johannes; sie waren im Boot und richteten ihre Netze her.
20Sofort
rief er sie, und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern im Boot
zurück und folgten Jesus nach.
Erinnern Sie sich noch, liebe Schwestern
und Brüder, an das Evangelium vom letzten Sonntag?
Da weist Johannes der Täufer auf Jesus
hin, nachdem er vorher ausführlich über ihn Zeugnis abgelegt hat.
Zwei Jünger des Johannes gehen daraufhin
hinter Jesus her. Jesus merkt, dass sie ihm folgen, dreht sich um und
fragt sie: „Was sucht ihr?“ – Statt eine Antwort zu geben fragen
die beiden: „Meister, wo wohnst du?“ – Jesus antwortet: „Kommt
und seht!“ – Dann heißt es: „Die beiden gingen mit und sahen, wo
er wohnte.“ Und es wird noch hinzugefügt: „Und sie blieben jenen
Tag bei ihm.“ Sie machen also erste Erfahrungen mit Jesus. Sie
lernen ihn kennen.
Im weiteren Verlauf dieser Erzählung
erfahren wir noch, dass sie von Jesus so angetan sind, dass sie andere
Verwandte und Freunde zu Jesus führen bzw. auf Jesus aufmerksam machen.
Berufung geschieht hier im
Johannesevangelium vermittelt durch andere. Berufung zieht Kreise.
Auch wenn das kein Protokoll konkreter
Ereignisse ist, kein Tatsachenbericht, so ist mir die Darstellung doch
sehr sympathisch. Ich denke, so oder ähnlich könnte es gewesen sein.
Ganz anders geht es in unserer heutigen
Berufungserzählung, wie sie der Evangelist Markus (und Matthäus)
überliefert.
Danach hat Jesus die beiden Brüderpaare
Simon und Andreas sowie Jakobus und Johannes nie zuvor gesehen. Und die
jungen Fischer kennen den Prediger am Ufer ebenfalls nicht.
Aber Jesus spricht sie ganz unvermittelt
an. Wörtlich:
„Auf, hinter mich! Ich werde euch zu Menschenfischern
machen.“
Und „sofort“, also auf der Stelle,
das heißt auch, ohne eine Erklärung zu verlangen oder einen Einwand
vorzubringen, lassen die Berufenen ihre Arbeit und ihre Familie hinter
sich und ziehen mit Jesus durchs Land.
Wenn ich diese Art der Berufung vernehme,
dann melden sich bei mir Bedenken. Ob es so gewesen sein kann?
Im realen Leben, so ist meine Erfahrung,
geht es anders zu.
Da werden Entscheidungen von großer
Tragweite nicht von heute auf morgen oder sogar von jetzt auf nachher
getroffen. Da gehen oft lange Überlegungen und ein bedächtiges Abwägen
des Pro und Contra voraus.
Braucht es nicht doch ein Kennenlernen,
ein Vertraut-Werden, sozusagen ein Beschnuppern, eine Art Praktikum bei
derart großen Herausforderungen und Veränderungen, bei so gravierenden
Lebensentscheidungen?
Ob die Berufenen vielleicht nicht doch
Fragen und Einwände hatten, von denen der Evangelist nichts schreibt,
weil er die geistige Macht des Wortes und Anspruchs Jesu deutlich machen
wollte?
Eine dritte Variante der Berufung der
ersten Jünger bietet das Lukasevangelium am Beginn des 5. Kapitels.
Auch da ruft Jesus Petrus und seine
Gefährten, ihm nachzufolgen. Auch da kündet er an, sie zu
Menschenfischern zu machen. Auch da lassen die Berufenen alles zurück
und folgen Jesus nach.
Aber es geht einiges voraus. Jesus war
für die Jünger kein total Unbekannter. Sie haben bereits einiges mit ihm
erlebt. Sie haben ganz erstaunliche Erfahrungen mit Jesus gemacht.
Unmittelbar vor dieser Berufungserzählung
steht der reiche Fischfang. Petrus und seine Gefährten sind total
überrascht und betroffen. Weiter geht voraus die Heilung der
Schwiegermutter des Petrus und andere Heilungen von Kranken und
Besessenen. Außerdem erleben die Jünger Jesus als machtvollen Verkünder
des Wortes. Viele Menschen drängen sich zu ihm und wollen ihn hören.
Diese Variante der Jüngerberufung ist für
mich auch gut nachvollziehbar und einleuchtend.
Wie auch immer die Berufung der Jünger
sich vollzogen hat, es waren in jedem Fall Menschen, die ansprechbar
waren, die für den Ruf Jesu offen waren und die ihn gehört haben.
Und es blieb nicht nur beim Hören. Ob
sofort oder nach Erfahrungen mit Jesus und ihn Kennenlernen, haben sie
wirklich vieles, ja alles gelassen, losgelassen, zurückgelassen, haben
sich auf Jesus eingelassen, haben seinem Ruf Folge geleistet und sind zu
einem neuen Leben aufgebrochen.
Wie auch immer die Berufung der ersten
Jünger sich ereignet hat, ich denke, dass Jesus etwas in diesen Menschen
angerührt hat, dass er eine offene Stelle in ihrem Herzen erreicht hat,
so dass sie sich in ihrem Alltag, in ihrer Arbeit unterbrechen ließen,
innehielten, hinhörten und sich zu Aufbruch und Nachfolge bewegen
ließen.
Wie immer es tatsächlich auch war und
zuging bei der Berufung der ersten Jünger, ich glaube, dass Jesus diese
Menschen in einer tiefen Sehnsucht getroffen hat, in einer verschütteten
und dennoch unstillbar lebendigen Sehnsucht, und dass in ihnen – mitten
im Vertrauten, Eingespurten, Sicherheit und Heimat Gebenden – ein Hunger
nach dem ganz Anderen aufgebrochen ist. Ein vielleicht lebenslang
domestizierter Hunger, vergraben in der Herzenstiefe und dennoch wild
und unbändig.
Auf diesen offen gelegten und hungrigen Sehnsuchts-Boden
fällt dann Jesu Ruf: „Komm und folge mir nach!
Ja, dich meine ich. Um dich geht es mir, und zwar so wie du bist, nicht
wie du sein könntest. Du bist mir wichtig. Ich brauche ich. Ich habe
eine große Aufgabe für dich. Komm!“
Und Jesu Ruf ist stärker, zwingender und
gewinnender als alle Bedenken, als alles Zögern, als alle Einwände.
Und dann: Kein Ausbruch, sondern ein
Verlassen: ein Sich-verlassen auf ihn, der Leben, Zukunft und Sinn
verheißt.
Noch ist es nicht mehr als eine
Verheißung. Es gibt keine Garantien. Es ist ein Wagnis, das Wagnis des
Lebens.
Sicherheit schenkt allein dies: gerufen
und berufen zu sein von einem, der von Gott kommt und der es ernst meint
mit mir.
Was fanden die Jünger in der
Lebensgemeinschaft mit Jesus?
Sie fanden wohl mehr als sie aufgegeben
hatte: eine Weite und Freiheit des Geistes, wie sie ihnen noch nicht
begegnet war, eine Geborgenheit in Liebe und eine seelische Heimat für
Zeit und Ewigkeit.
Liebe Schwestern und Brüder, der Ruf Jesu
in seine Nachfolge ist nie verstummt. Er ergeht auch heute noch. Gemeint
sind nicht nur die sogenannten geistlichen oder kirchlichen Berufe. Wir
alle sind berufen und gesandt, jede an ihrem Ort und jeder an seinem
Platz.
Gibt es nicht in uns allen eine Sehnsucht
nach mehr, nach anderem, nach Geborgenheit in Gott, nach erfülltem
Leben, nach intensivem Leben aus dem Glauben, in Jesu Spur und in seiner
Sendung?
Damals waren es Petrus und Andreas,
Jakobus und Johannes.
Heute sind wir es, du und ich.
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