EVANGELIUM
Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!
+ Aus dem heiligen Evangelium nach
Markus
1 4Nachdem
man Johannes den Täufer ins Gefängnis geworfen hatte, ging Jesus wieder nach
Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes
1 5und
sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an
das Evangelium!
16Als
Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des
Simon, die auf dem See ihr Netz auswarfen; sie waren nämlich Fischer.
17Da
sagte er zu ihnen: Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern
machen.
18Sogleich
ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm.
19Als
er ein Stück weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen
Bruder Johannes; sie waren im Boot und richteten ihre Netze her.
20Sofort
rief er sie, und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern im Boot
zurück und folgten Jesus nach.
Erinnern Sie sich noch, liebe Schwestern und Brüder, an das Evangelium
vom letzten Sonntag?
Da weist Johannes der Täufer auf Jesus hin, nachdem er vorher
ausführlich über ihn Zeugnis abgelegt hat.
Zwei Jünger des Johannes gehen daraufhin hinter Jesus her. Jesus merkt,
dass sie ihm folgen, dreht sich um und fragt sie: „Was sucht ihr?“
– Statt eine Antwort zu geben fragen die beiden: „Meister, wo wohnst
du?“ – Jesus antwortet: „Kommt und seht!“ – Dann heißt es:
„Die beiden gingen mit und sahen, wo er wohnte.“ Und es wird noch
hinzugefügt: „Und sie blieben jenen Tag bei ihm.“ Sie machen also
erste Erfahrungen mit Jesus. Sie lernen ihn kennen.
Im weiteren Verlauf dieser Erzählung erfahren wir noch, dass sie von
Jesus so angetan sind, dass sie andere Verwandte und Freunde zu Jesus
führen bzw. auf Jesus aufmerksam machen.
Berufung geschieht hier im Johannesevangelium vermittelt durch andere.
Berufung zieht Kreise.
Auch wenn das kein Protokoll konkreter Ereignisse ist, kein
Tatsachenbericht, so ist mir die Darstellung doch sehr sympathisch. Ich
denke, so oder ähnlich könnte es gewesen sein.
Ganz anders geht es in unserer heutigen Berufungserzählung, wie sie der
Evangelist Markus (und Matthäus) überliefert.
Danach hat Jesus die beiden Brüderpaare Simon und Andreas sowie Jakobus
und Johannes nie zuvor gesehen. Und die jungen Fischer kennen den
Prediger am Ufer ebenfalls nicht.
Aber Jesus spricht sie ganz unvermittelt an. Wörtlich:
„Auf, hinter mich!
Ich werde euch zu Menschenfischern machen.“
Und „sofort“, also auf der Stelle, das heißt auch, ohne eine
Erklärung zu verlangen oder einen Einwand vorzubringen, lassen die
Berufenen ihre Arbeit und ihre Familie hinter sich und ziehen mit Jesus
durchs Land.
Wenn ich diese Art der Berufung vernehme, dann melden sich bei mir
Bedenken. Ob es so gewesen sein kann?
Im realen Leben, so ist meine Erfahrung, geht es anders zu.
Da werden Entscheidungen von großer Tragweite nicht von heute auf morgen
oder sogar von jetzt auf nachher getroffen. Da gehen oft lange
Überlegungen und ein bedächtiges Abwägen des Pro und Contra voraus.
Braucht es nicht doch ein Kennenlernen, ein Vertraut-Werden, sozusagen
ein Beschnuppern, eine Art Praktikum bei derart großen Herausforderungen
und Veränderungen, bei so gravierenden Lebensentscheidungen?
Ob die Berufenen vielleicht nicht doch Fragen und Einwände hatten, von
denen der Evangelist nichts schreibt, weil er die geistige Macht des
Wortes und Anspruchs Jesu deutlich machen wollte?
Eine dritte Variante der Berufung der ersten Jünger bietet das
Lukasevangelium am Beginn des 5. Kapitels.
Auch da ruft Jesus Petrus und seine Gefährten, ihm nachzufolgen. Auch da
kündet er an, sie zu Menschenfischern zu machen. Auch da lassen die
Berufenen alles zurück und folgen Jesus nach.
Aber es geht einiges voraus. Jesus war für die Jünger kein total
Unbekannter. Sie haben bereits einiges mit ihm erlebt. Sie haben ganz
erstaunliche Erfahrungen mit Jesus gemacht.
Unmittelbar vor dieser Berufungserzählung steht der reiche Fischfang.
Petrus und seine Gefährten sind total überrascht und betroffen. Weiter
geht voraus die Heilung der Schwiegermutter des Petrus und andere
Heilungen von Kranken und Besessenen. Außerdem erleben die Jünger Jesus
als machtvollen Verkünder des Wortes. Viele Menschen drängen sich zu ihm
und wollen ihn hören.
Diese Variante der Jüngerberufung ist für mich auch gut nachvollziehbar
und einleuchtend.
Wie auch immer die Berufung der Jünger sich vollzogen hat, es waren in
jedem Fall Menschen, die ansprechbar waren, die für den Ruf Jesu offen
waren und die ihn gehört haben.
Und es blieb nicht nur beim Hören. Ob sofort oder nach Erfahrungen mit
Jesus und ihn Kennenlernen, haben sie wirklich vieles, ja alles
gelassen, losgelassen, zurückgelassen, haben sich auf Jesus eingelassen,
haben seinem Ruf Folge geleistet und sind zu einem neuen Leben
aufgebrochen.
Wie auch immer die Berufung der ersten Jünger sich ereignet hat, ich
denke, dass Jesus etwas in diesen Menschen angerührt hat, dass er eine
offene Stelle in ihrem Herzen erreicht hat, so dass sie sich in ihrem
Alltag, in ihrer Arbeit unterbrechen ließen, innehielten, hinhörten und
sich zu Aufbruch und Nachfolge bewegen ließen.
Wie immer es tatsächlich auch war und zuging bei der Berufung der ersten
Jünger, ich glaube, dass Jesus diese Menschen in einer tiefen Sehnsucht
getroffen hat, in einer verschütteten und dennoch unstillbar lebendigen
Sehnsucht, und dass in ihnen – mitten im Vertrauten, Eingespurten,
Sicherheit und Heimat Gebenden – ein Hunger nach dem ganz Anderen
aufgebrochen ist. Ein vielleicht lebenslang domestizierter Hunger,
vergraben in der Herzenstiefe und dennoch wild und unbändig.
Auf diesen offen gelegten und hungrigen Sehnsuchts-Boden fällt dann Jesu
Ruf: „Komm und folge mir nach! Ja, dich meine ich. Um dich geht es
mir, und zwar so wie du bist, nicht wie du sein könntest. Du bist mir
wichtig. Ich brauche ich. Ich habe eine große Aufgabe für dich. Komm!“
Und Jesu Ruf ist stärker, zwingender und gewinnender als alle Bedenken,
als alles Zögern, als alle Einwände.
Und dann: Kein Ausbruch, sondern ein Verlassen: ein Sich-verlassen auf
ihn, der Leben, Zukunft und Sinn verheißt.
Noch ist es nicht mehr als eine Verheißung. Es gibt keine Garantien. Es
ist ein Wagnis, das Wagnis des Lebens.
Sicherheit schenkt allein dies: gerufen und berufen zu sein von einem,
der von Gott kommt und der es ernst meint mit mir.
Was fanden die Jünger in der Lebensgemeinschaft mit Jesus?
Sie fanden wohl mehr als sie aufgegeben hatte: eine Weite und Freiheit
des Geistes, wie sie ihnen noch nicht begegnet war, eine Geborgenheit in
Liebe und eine seelische Heimat für Zeit und Ewigkeit.
Liebe Schwestern und Brüder, der Ruf Jesu in seine Nachfolge ist nie
verstummt. Er ergeht auch heute noch. Gemeint sind nicht nur die
sogenannten geistlichen oder kirchlichen Berufe. Wir alle sind berufen
und gesandt, jede an ihrem Ort und jeder an seinem Platz.
Gibt es nicht in uns allen eine Sehnsucht nach mehr, nach anderem, nach
Geborgenheit in Gott, nach erfülltem Leben, nach intensivem Leben aus
dem Glauben, in Jesu Spur und in seiner Sendung?
Damals waren es Petrus und Andreas, Jakobus und Johannes.
Heute sind wir es, du und ich.
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