Evangelium
Der
Menschensohn wird sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen und er
wird die Menschen voneinander scheiden
+ Aus
dem heiligen Evangelium nach Matthäus
In jener Zeit
sprach Jesus zu seinen Jüngern:
31Wenn der
Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann
wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen.
32Und alle Völker
werden vor ihm versammelt werden und er wird sie voneinander scheiden,
wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet.
33Er wird die
Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken.
34Dann wird der
König denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater
gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der
Welt für euch bestimmt ist!
35Denn ich war
hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt
mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen;
36ich war nackt und
ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht;
ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.
37Dann werden ihm
die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig
gesehen und dir zu essen gegeben oder durstig und dir zu trinken
gegeben?
38Und wann haben
wir dich fremd gesehen und aufgenommen oder nackt und dir Kleidung
gegeben?
39Und wann haben
wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?
40Darauf wird der
König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner
geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.
41Dann wird er zu
denen auf der Linken sagen: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das
ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!
42Denn ich war
hungrig und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig und
ihr habt mir nichts zu trinken gegeben;
43ich war fremd und
ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir keine
Kleidung gegeben; ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht
besucht.
44Dann werden auch
sie antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig oder fremd
oder nackt oder krank oder im Gefängnis gesehen und haben dir nicht
geholfen?
45Darauf wird er
ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser
Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.
46Und diese werden
weggehen zur ewigen Strafe, die Gerechten aber zum ewigen Leben.
Kennen Sie Hildegard
Knef, die berühmte Sängerin und Schauspielerin?
Vor
kurzem bin ich auf eine interessante Geschichte von ihr gestoßen. Knef
selbst sagt, dass sie diese Geschichte von ihren amerikanischen Freunden
gehört habe:
Und
zwar soll es in Nordamerika einen - inzwischen ausgestorbenen - kleinen
Indianerstamm gegeben haben.
Und
das Interessante: Die Religion dieses Indianerstammes beruhte auf einem
einzigen Satz. Die Mitglieder des Stammes glaubten nämlich, dass sie
nach ihrem Tod gefragt werden: „Wie viel Menschen waren glücklich,
dass du gelebt hast?“ – Mit dieser einfachen Frage im Hinterkopf
lebten sie. Mit dieser Frage gestalteten sie ihr Miteinander. „Wie
viel Menschen waren glücklich, dass du gelebt hast?“ – Diese Frage
war ihnen Orientierung, Maßstab und Ziel. An dieser Frage versuchten
sie, ihr ganzes Verhalten auszurichten.
Hildegard Knef war – wie sie selbst bekennt – sehr beeindruckt von
dieser kleinen Geschichte und ließ sich dadurch zu einem ihrer letzten
Chansons inspirieren: Sein Titel: „Wer war froh, dass es dich gab?“
Jetzt passen Sie auf: In ihrem typischen und markanten Sprechgesang
stellt Hildegard Knef fest, dass für uns alle – ob wir wollen oder nicht
– der Tag kommen wird, an dem wir vor „einem“ Rechenschaft ablegen
müssen. Auf diesen „einen“ geht sie nicht näher ein. Aber jeder weiß,
wen sie meint. Von diesem „einen“ sagt sie nur, dass der sich weder
austricksen noch belügen lässt. Dieser „eine“ zwingt uns vielmehr –
Knefs Song zufolge – unerbittlich zu einer ehrlichen Lebensbilanz.
Insgesamt sechzehn Mal wiederholt Hildegard Knef in ihrem Chanson –
stakkatohaft, fast schon penetrant – die eindringliche Aufforderung:
„Gib mir Antwort! Gib mir Antwort! – Wer war froh, dass es dich gab? –
Gib mir Antwort!“
Der
Rückblick auf unser Leben – an Hand dieser Frage – dieser Rückblick
wird, so meint Knef in ihrem Chanson, nicht schmeichelhaft für uns
ausfallen. Der Songtext suggeriert, dass nicht viele sich über unser
Leben freuen können. Und er endet mit dem ernüchternden, ja traurigen
Fazit: „Was du hinterlässt, war nur ein schales Fest. Du bestehst ihn
nicht, den großen Abschlusstest.“ Mehrmals wiederholt sie auch
diesen Satz in ihrem Lied. „Was du hinterlässt, war nur ein schales
Fest. Du bestehst ihn nicht, den großen Abschlusstest.“
Liebe Schwestern und Brüder!
Das
Bild von einem „großen Abschlusstest“, von einem letzten Gericht, gehört
auch zur Botschaft der neutestamentlichen Verkündigung.
Und
gerade im Monat November werden wir oft daran erinnert: wenn wir auf den
Friedhöfen an unsere Verstorbenen denken, wenn – durch verschiedene
Feiertage wie Allerseelen, Totensonntag, Volkstrauertag – der Gedanke an
den Tod stärker als sonst ins Bewusstsein rückt, auch der Gedanke an den
eigenen Tod, der niemandem erspart bleibt, der unausweichlich auf uns
zukommt und an dem kein Weg vorbeiführt.
Liebe Schwestern und Brüder!
Bis
hier hin kann ich den Gedanken von Hildegard Knef ganz gut folgen. Nur
„was du hinterlässt, war nur ein schales Fest.“ Ehrlich gesagt: Da
sträubt sich etwas in mir. Ich hoffe doch, dass mein und Ihr Leben, wenn
wir einmal zurückschauen, nicht nur schal und hohl und leer war, nicht
nur düster und traurig und letztlich total vergeblich, unerfüllt und
sinnlos.
Ich
hoffe und wünsche, dass es da auch andere Augenblicke, Stunden und Tage
gab – und selbst in schweren und leidvollen Zeiten – schöne, frohe,
helle und glückliche Momente. Und dass es da neben manchem
Bruchstückhaftem, neben Fehlern, Versäumnissen und Schuld auch manches
Gute gab, Verständnis, Wohlwollen, Liebe, Güte, Geduld und Verzeihen.
"Was du hinterlässt, war nur ein schales Fest. Du bestehst ihn nicht,
den großen Abschlusstest.“ Auch mit der zweiten Feststellung, die
Hildegard Knef in ihrem Lied knallhart trifft: „Du bestehst ihn
nicht, den großen Abschlusstest“, habe ich meine Schwierigkeiten.
auch ein großes Fragezeichen.
Der
„eine“, vor dem wir unser Leben verantworten werden und den Hildegard
Knef nicht näher beschreibt, dieser „eine“ hat für mich und er hat für
uns als Christen nämlich einen Namen. Wir kennen seine Lebensgeschichte.
Wir haben seine treffenden Worte und seine einleuchtenden
Beispielerzählungen im Ohr. Wir wissen, wie er sich den Menschen
zugewandt, wie er sie aufgerichtet und in seine Gemeinschaft geholt hat.
Ich
hoffe sehr, dass er sich mir nicht als strenger Richter aller Sünden
zeigt, sondern als gnädiger Richter, auch im Gericht noch als Heiland
und Erlöser. Ich hoffe, dass in ihm – mir und uns allen – die richtende
Liebe Gottes begegnet und dass er einmal zu uns sagen wird:
Abschlusstest bestanden!
Als
nämlich niemand meinen Hunger nach Aufmerksamkeit und Wertschätzung
gespürt hat; als ich kraftlos, ausgetrocknet, ohne Sinn und Ziel war;
als ich mich mit meinen Ansichten wie ein Fremder unter Freunden gefühlt
habe; als ich von meinen Kollegen bloßgestellt wurde; als mich die
Gleichgültigkeit der anderen verletzt und krank gemacht hat; als ich in
meinen Terminen und Verpflichtungen gefangen war – da war ich richtig
froh, dass es dich gab; dass du mir gezeigt hast, wie wichtig ich dir
bin; dass du mich nicht mit Floskeln abgespeist hast, sondern mir einen
neue Perspektive für mein Leben eröffnen konntest; dass du mir ein
einfühlsamer Zuhörer warst; dass du mich aus meinem Hamsterrad befreit
hast.
Mit
dieser Hoffnung, auf einen bestandenen Abschlusstest am Ende des Lebens,
und weil es da hoffentlich doch Menschen gibt, die bei meinem Tod sagen
„Ich war froh, dass es dich gab“, könnten wir uns vornehmen,
jetzt schon und vielleicht noch viel mehr als bisher – wann immer sich
die Gelegenheit bietet – die anderen spüren zu lassen, es zu
signalisieren und zu sagen „Ich bin froh, dass es dich gibt.“ |